Vom Arztdasein in Amerika
Verlieren Ärzte den Anschluss an die oberen 1 Prozent?
Dienstag, 27. April 2021
Die Gesellschaft in den USA polarisiert sich zunehmend. Das gilt gerade auch hinsichtlich des Geldes: Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer.
All das sind Gemeinplätze und den meisten bekannt. Doch diese Entwicklung hat Relevanz für die amerikanische Ärzteschaft, denn bis heute gilt wer einmal in den USA Arzt geworden ist, der wird sein Leben lang wohlhabend, wenn nicht sogar reich sein. Das Bild des Golf spielenden, Mercedes fahrenden und erste Klasse fliegenden Arztes trifft auf viele meiner Kollegen zu, und sie genießen das.
Wenig überraschend finden sich seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts immer mehr Menschen im Arztberuf wieder, die weniger Arzt aus Leidenschaft als aus Geldaffinität oder gar Gier heraus geworden sind. Deshalb sind beliebte Themen im Arztzimmer mögliche Aktieninvestitionen oder Luxus- und Hauskäufe im privaten Bereich.
Wenn ich solchen geldzentrierten Gesprächen lausche, kommt in mir oft die Sorge hoch, dass wir den Dienst am Geld an die Stelle des Dienstes am Menschen gesetzt haben. Doch ehrlicherweise muß ich fragen: Trifft das mittlerweile nicht auf viele Berufe und Lebensbereiche zu?
Obwohl es uns Ärzten finanziell wirklich gut geht, haben viele meiner Kollegen dennoch Angst davor, nicht mit anderen Wohlhabenden und Reichen mithalten zu können. Das wird aber immer schwieriger, denn die oberen 1% erleben seit Jahren zum Teil zweistellige prozentuale Zuwächse hinsichtlich ihres Einkommens. So haben alleine in den letzten fünf Jahren die oberen 1% in den USA einen Anstieg ihres Jahresgehaltes um 28,7% erlebt: Während im Jahr 2015 ein Jahresverdienst von $421.926 (als Schwellenwert) genügte, um zum obersten Prozent der Gesellschaft zu gehören, lag dieser Wert im Jahr 2019 schon bei mehr als einer halben Million US-Dollar, 538.926 US-Dollar um ganz genau zu sein.
Das ist übrigens fast eine Verdopplung zu den knapp $300.000, die man im Jahr 2000 pro Jahr verdienen mußte, um zu den oberen 1 Prozent zu gehören.
Das bringt viele Ärzte in eine Bredouille. Zwar können manche Fachrichtungen wie die Orthopäden (durchschnittliches Jahresgehalt von 511.000 US-Dollar) oder Schönheitschirurgen (479.000 US-Dollar Jahressalär) weiterhin mit den Reichen mithalten, aber nicht die große Gruppe der Internisten (251.000 US-Dollar), der Haus- ($234.000) und Kinderärzte (232.000 US-Dollar). Im Laufe der letzten Jahre haben sich die oberen 1 Prozent von den Ärzten finanziell abgesetzt.
Diese zunehmende Kluft spüre auch ich wenn ich die Preise diverser Luxusgüter, Hotelübernachtungen, größerer Autos oder Fortbildungen betrachte. Noch dazu bin ich in der aus der Sicht eines Amerikaners mißlichen Situation, daß aufgrund meines finanziellen Desinteresses und fehlenden Verhandlungsgeschicks, mein Stundenlohn zwischen 2015 und 2021 stagnierte, also um keinen einzigen Cent angestiegen ist. Das erklärt natürlich auch wieso ich als selbständiger Krankenhausinternist mich vor Arbeitsanfragen kaum retten kann – ich bin immer günstiger im Gegensatz zur Konkurrenz geworden.
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Doch selbst meine Kollegen, die einen jährlichen Anstieg um zwei oder drei Prozent erlebt haben, merken diese zunehmende Kluft. Doch wie geht man mit diesem relativen Abfallen der finanziellen Position um?
Einer wie ich, der bescheiden aufwuchs, ein kleines und älteres Auto fährt und wahlweise in einer Dreizimmerwohnung in einer mittelgroßen Stadt im Mittleren Westen in den USA oder in einem von mir selber renovierten Haus an der Nordsee bei Bremerhaven lebt, machen diese Veränderungen trotz vieler Kinder und finanzieller Verpflichtungen kaum etwas aus.
Andere Ärzte hingegen investieren und spekulieren in Aktien und Immobilien, um am Kuchen der Reichen einige Krümmel abzubekommen. Andere wiederum leisten sich den immer teurer gewordenen Urlaub in Aspen und das Ferienhaus in Florida, in dem sie immer mehr Schichten arbeiten, manche sogar zwei oder drei Monate am Stück. Das kann doch nicht auf ewig gutgehen, oder?