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Vom Arztdasein in Amerika

Vom Arztdasein in Amerika

Das Staatsexamen wurde 2007 abgelegt, und nicht nur die Frage der Fachrichtung, sondern auch die des Arbeitsortes musste beantwortet werden. Nachdem das Assistenzarztdasein in Frankreich und Deutschland ausprobiert wurde, ging es nach Minneapolis im Jahr 2009. Es schreibt Dr. Peter Niemann über seine Ausbildung zum Internisten (sowie der Zeit danach) und über die Alltäglichkeiten, aber auch Skurrilität eines Arztlebens in USA.

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Vom Arztdasein in Amerika

Die präklinische Notfallversorgung

Freitag, 25. Juni 2021

Wer sich mit medizinischen Notfallsystemen auseinandersetzt wird schnell feststellen, dass es zwei unterschiedliche Behandlungsansätze in der Notfallversorgung von Kranken und Verletzten außerhalb des Krankenhauses gibt.

Man kann auf der einen Seite eine am Unfall- bzw. Auffindort stattfindende Erstbehandlung und Stabilisierung durchführen oder auf der anderen Seite sich auf den zügigen Abtransport des Verunfallten bzw. Kranken in ein nahegelegenes Behandlungszentrum konzentrieren.

Typisch für den englischsprachigen Raum hat man hierfür griffige Formulierungen gefunden und spricht entweder vom Auflesen- und Wegfahrprinzip („Scoop and Run“) oder dem Verbleiben- und Behandlungsprinzip („Stay and Play“).

Die Begriffe sind von mir übrigens mit Absicht nicht ganz korrekt übersetzt worden, denn die englische Sprache hat in ihrer Begriffswahl im Regelfall schon eine Wertung vorgenommen, so auch hier und zugunsten des „Scoop and Run“-Ansatzes.

Das amerikanische Gesundheitssystem bevorzugt also den schnellen Abtransport des Verunfallten, das Auflesen- und Wegfahrprinzip. Die Nachteile sind offensichtlich: Man verliert wertvolle Zeit bei der Behandlung einer bestimmten Krankheit, während die Vorteile ebenfalls klar erkennbar sind, denn es kommt durch diese Methode eher niedrigbezahltes und -qualifiziertes Notfallpersonal in großer Masse als eine Art Notfalltaxi zum Einsatz, während das teuer bezahlte ärztliche Personal dann in wenigen Krankenhäusern, die als zentrale Traumazentren fungieren, konzentriert werden kann. In diesen werden dann das Gros der Unfälle, Schlaganfälle, Herzinfarkte usw. behandelt, wobei über Lautsprecher und Piepser bzw. Telefone eine Vorankündigung erfolgt, damit dann beim Eintreffen des Kranken bis zu zehn Personen auf einmal an der Behandlung eines Einzelnen mitwirken können.

Das eher im französisch- und deutschsprachigen Raum angewandte Verbleiben- und Behandlungsprinzip hingegen hat jenen Vorteil, dass eine Therapie schon vor Ort angewendet werden kann, also keine wertvolle Zeit mit dem Abtransport verloren wird.

Der Nachteil liegt ebenfalls auf der Hand, denn einerseits muss hierfür ausreichend hochqualifiziertes Personal – also oft ein Notarzt – zur Verfügung stehen, dieser aber auch mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet sein. Da die moderne Technologie, Kommunikationsmöglichkeiten einschließlich Medikamenten mittlerweile sehr weit fortgeschritten sind, kann selbst auf einer Autobahn nicht nur intubiert und beatmet werden, sondern ossäre Zugänge gelegt, Blut transfundiert, diverse Organe geschallt oder begrenzte Thorakotomien vorgenommen werden, neben vielem mehr.

Die Studienlage zu diesen unterschiedlichen präklinischen Notfallversorgungssystemen ist sehr heterogen, so dass man Studien für jeweils die eine oder die andere Methode als Begründung für ihre Überlegenheit anführen kann. Ich denke, dass vor allem wirtschaftliche und politische Gründe also eine Rolle spielen, wieso eine bestimmte Methode in einem Land vorherrschend ist.

Aber als vor allem in den USA ausgebildeter und tätiger Arzt bevorzugte ich bis vor kurzem die amerikanische Methode, also das „Scoop and Run“.

Doch dann fiel mein zehn Monate alter Sohn ins Schwimmbad, und ich fand ihn leblos, ohne Puls und nicht mehr atmend vor. Ich habe zwar das Notfallsystem aktiviert, aber die nach sieben Minuten eintreffenden Feuerwehrleute hatten, wie sich im Nachhinein herausstellte, nicht die nötige Erfahrung oder Kompetenz um meinen Sohn zu retten. Damit wäre wertvolle Zeit verloren gewesen bis mit der eigentlichen Reanimation begonnen worden wäre und das wäre gleichbedeutend mit Hirnfunktion und Überlebenswahrscheinlichkeit gewesen.

Da ich aber gleich eine mehr oder minder auf meinen Sohn zugeschnittene Therapie vor Ort begann, also ihn reanimierte, konnte er schnell zum Leben zurückgebracht werden. Ich behandelte am Ort des Geschehen, eben „stay and play“. Hätte man also ein dichtes Netz an Notärzten gehabt, wäre ein anderes Kind an einem anderen Ort wohl auch in wenigen Minuten versorgt worden statt erst mit dem Hubschrauber ins 25 Minuten entfernte Spezialkrankenhaus verbracht zu werden wo mit der Behandlung dann erst begonnen worden wäre.

Am eigenen Leib habe ich mich also überzeugen können, dass das in einigen europäischen Ländern, gerade auch dem deutschsprachigen Raum, angewandte Notarztprinzip doch dem amerikanischen überlegen sein könnte. Übrigens gibt es auch in den USA erste Stimmen, die dieses System einführen wollen (und dann lieber die englischen Wörter „stay and stabilize“ verwenden). Doch ob das jemals möglich sein könnte, steht auf einem anderen Blatt.

LNS
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