Gratwanderung
Menschen mit Behinderung: Auf der Leinwand gefeiert, in der Realität oft unerwünscht
Donnerstag, 12. August 2010
In Spanien war Pablo Pineda bereits vor dem Kinofilm ein Medienstar: Er ist der erste Europäer mit Down Syndrom, der ein Hochschulstudium absolviert hat. Jetzt ist er in seiner ersten Filmrolle zu bewundern. Heute läuft in den deutschen Kinos „Me Too – Wer will schon normal sein?“ an.
Der Film erzählt die Geschichte des 34-jährigen Daniel (Pablo Pineda), der trotz Down-Syndrom sein Studium mit Auszeichnung beendet hat und sich in eine Kollegin verliebt. Während Pineda und der Film international mit guten Kritiken belohnt wurden, entsteht gleichzeitig europaweit – nicht zuletzt durch die Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik – ein zunehmend behindertenfeindliches Klima.
So wurde vor kurzem die Präimplantationsdiagnostik (PID) vom deutschen Bundesgerichtshof in engen Grenzen für zulässig erklärt. Und dass mit dieser genetischen Untersuchungsmethode eine Selektion behinderten Lebens verbunden ist, ist wohl unbestritten.
Die Argumentation der Richter, dass auf diese Weise Spätabtreibungen verhindert werden könnten, ist allerdings nachvollziehbar. So ist zwar immerhin beim Abbruch aus medizinischer Indikation nicht die Behinderung des Kindes ausschlaggebend, sondern dass die Schwangere sich in einer für sie ausweglosen Notlage befindet und sich deshalb nach intensivem Abwägen und Beratung für diesen Schritt entscheidet, dennoch zeigt die Praxis, dass Embryonen häufig wegen festgestellter Behinderungen abgetrieben werden.
Doch wo soll diese Entwicklung enden? Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich festgestellt, dass die PID nur zur Entdeckung schwerster genetischer Schäden erlaubt werden darf. Die spanische Firma Dexeus wirbt aber beispielsweise unter www.dexeus.com auch in Deutschland und in deutscher Sprache für ihre Dienste.
Und zu den 50 monogenen Erbkrankheiten, die anhand der PID analysiert werden können und die von der Firma aufgeführt werden, gehört auch das fragile X-Syndrom, eine unterschiedlich stark ausgeprägte Intelligenzminderung, deren Schwere von Lernproblemen bis hin zu schwergradiger kognitiver Beeinträchtigung reichen kann.
Da ist die Befürchtung, ob Lernprobleme eine PID legitimieren und ob diese Methode nicht doch letztendlich den Weg zu Designerbabys ebnet, nicht von der Hand zu weisen. So meinte der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, wohl zu Recht gegenüber Focus online: „Da kann man noch so schön drum herum reden: PID bedeutet eine Auslese, was lebenswert ist und was nicht.“
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