Vom Arztdasein in Amerika
Eine Stunde Natrium
Montag, 6. Februar 2012
Derzeit bin ich in der
Nephrologie und arbeite als Konsilarzt im Krankenhaus. Die Nephrologiesekretärin
piepst oder ruft mich morgens an und gibt mir meine zwei bis vier Tageskonsile
durch: Zum Beispiel 2Patient X in Zimmer Y hat einen Kreatininwert von 3,7;
Verdacht auf oligourisches Nierenversagen“ und „refraktäre Hypokaliämie,
Patient Y in Zimmer Z“. Es ist eine typische Rotation in der Inneren Medizin
wie man sie im dritten Jahr an meinem Lehrkrankenhaus erlebt – Konsilarzt in
einem der diversen Unterspezialisierungen der Inneren Medizin. Das Motiv
dahinter ist das Lernen am konkreten Beispiel, also am Patienten.
So schreitet man zum
Konsil: Es wird eine Anamnese erhoben, eine körperliche Untersuchung durchgeführt
und im Anschluss entweder ein Konsilbericht diktiert oder in unser
elektronisches Medizinsystem eingetippt. Das dauert zumeist eine Stunde. Es wird
dann der für den jeweiligen Fall zuständige Fach- oder Oberarzt angepiepst, der
zügig zum Patienten kommt.
Er lässt sich die Patientenanamnese
und Befunde, sowie die Konsilempfehlung erläutern und visitiert im Anschluss
den Patienten. Nach dieser Visite setzt man sich zusammen, und der Facharzt
erklärt einem, ob und inwieweit er mit dem Konsilergebnis übereinstimmt. Die
Erklärung, die dann auch eine Art Minivortrag ist, dauert meistens eine
Viertelstunde. Danach geht man zum nächsten Konsil oder, bei Muße, liest ein
wenig nach.
Vor kurzem erhielt ich
ein Konsil: „Asymptomatische Hyponatriämie, 94-jähriger Patient, eingewiesen
wegen massiven Rückenschmerzen, Natriumwert 124, Zimmer XY“. Das Konsil hatte
ich nach 50 Minuten erledigt, der nephrologische Oberarzt erschien innerhalb
von drei Minuten nach Anpiepsen und ließ sich alles erläutern. Er stimmte
meinem Konsil weitestgehend zu, hatte nur Kleinigkeiten zu monieren.
Obwohl ich dachte, dass
die Hyponatriämie ein einfaches Thema sei, begann er mich abzufragen und
stellte Lernbedarf fest. Die anschließende Diskussion dauerte dann mehr als
eine Stunde und am Ende drückte er mir freundlich mehrere Studien „zum
Nachlesen“ in die Hand. Im Rahmen eines kollegialen Gespräches hatte der
Erfahrenere (der Oberarzt) dem Unerfahreneren (mir) sein Wissen und Erfahrung
vermittelt. Ich habe das Gespräch sehr genossen.
Solche Situationen
begeistern mich: Stete Anleitung, stetes Lernen in einem
professionell-hoeflichen Klima. Jawohl, auch wenn es Probleme bei der Rückkehr
in deutsche Gefilde gibt: Für mich hat sich die Ausbildung zum Internisten in
den USA gelohnt.
Gibt es so etwas auch in
deutschen Krankenhäusern? Wenn nicht, wieso nicht? Wie können wir so eine
Atmosphäre für uns Assistenten dort schaffen?
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