Vom Arztdasein in Amerika
Als junger Mensch und Patient ernst genommen
Freitag, 16. März 2012
Vor knapp zehn Jahren auskultierte ich an mir ein Herzgeräusch. Da ich
sportlich schon immer sehr aktiv war und beispielsweise einen Marathon damals
unter vier Stunden lief, wusste ich zwar, dass es wohl nichts allzu Ernsthaftes
sein könne, dennoch war ich besorgt und wollte es abklären lassen. Ich
unternahm hierfür mehrere Anläufe bei verschiedenen Internisten und Kardiologen
in Deutschland, doch wenngleich jeder Arzt den Auskultationsbefund bestätigte,
so unternahm keiner von ihnen weitere Diagnostik und selbst die Anamnese war dürftig.
Als Fließgeräusch konnte es nicht abgetan werden, dafür waren Qualität und
Lokalisation zu atypisch, aber „es sei wohl nichts“ wie man mir versicherte.
Ein Arzt sagte mir damals sogar, dass er Wichtigeres zu tun habe als auf ängstliche
Befindlichkeiten eines Medizinstudenten einzugehen.
Ich schob das Herzgeräusch beiseite und ließ meine Arztkollegen damit in
Ruhe. Doch etwas Frust blieb zurück. Außerdem die Frage, wieso man es nicht abgeklärt
hatte: Weil man mit dem Stethoskop so sicher sein und etwas Pathologisches
ausschließen könne?
Nein, die Sensitivität und Spezifität sind dafür nicht hoch genug. Oder weil
ich gesetzlich krankenversichert war? Oder weil ich jung bin und man das Geld bei
jungen Patienten sparen muss zugunsten der Krankenversorgung der Alten?
Immerhin liegt das Durchschnittsalter von uns Deutschen mit 44,1 Jahren selbst
jetzt noch 12 Jahre über meinem Lebensalter (z.B. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,754546,00.html).
Die Krankenkassen haben gerne Patienten wie mich, weil ich wenig koste, aber
viel zahle.
Nun ging ich in den USA kürzlich zu einem Internistenkollegen, eine seit
vielen Jahren überfällige Routineuntersuchung. Ohne dass ich es ansprach,
stellte er sogleich das atypische Herzgeräusch bei der Auskultation fest und
meldete mich zu einem Herzultraschall an. „Es wird wohl nichts sein, aber wir
wollen sicher sein“ sagte er zu mir und ordnete eine Reihe weiterer Laborwerte
und Untersuchungen an. „Wir wollen Sie auch noch in 40 Jahren als Arzt arbeiten
haben“, sagte er mir zuzwinkernd.
So kann ich das leise Systolikum endlich abklaeren
lassen und werde wohl in Baelde optisch erfahren, ob es etwas Ernsthaftes ist. Ich
fuehle mich ernst genommen als Patient. Aber es bleiben obige Fragen: Haette
man das wohl in Deutschland abgeklaert wenn ich Privatpatient gewesen waere?
Stimmt meine Einschaetzung, dasz man in Deutschland versucht Ressourcen bei
jungen Menschen zu sparen, um es dann fuer die Alten in ausreichendem Masze zu
haben? Zugespitzt gefragt: Muessen die Jungen also nicht nur fuer die Rente der
Alten arbeiten, sondern auch fuer deren Gesundheitsversorgung Abstriche
hinnehmen?