Dr. McCoy
Lichtblick
Freitag, 4. Mai 2012
Ach ja – die e-Card-Gegner. Lange hatte ich sie nicht mehr live erlebt. Aber vor zweieinhalb Wochen, da haben sie sich in Berlin getroffen. Ich bin dann auch mal hingegangen. Schließlich hat sich in den letzten Jahren ja allerhand getan im Projekt elektronische Gesundheitskarte. Aber ich war enttäuscht. Denn was ich hörte waren dann doch nur die im wesentlichen immer gleichen, leierkastenartig vorgetragenen Contra-Argumente zur Gesundheitskarte:
Im Kern geht die Behauptung so: Demnächst werden zwangsweise die Gesundheitsdaten aller 80 Mio. Bundesbürger online ins Internet gestellt. Und so werden sie dann zum leichten Ziel jedweder Hackerangriffe gemacht. Das ist so platt, so verkürzend und letztlich einfach auch falsch, dass es von der Erörterung der – wie ich denke längst schon erheblichen – Datenschutzprobleme in unserem Gesundheitswesen ablenkt.
Denn die angsteinflößende Ungeheuerlichkeit der von den e-Card-Gegnern vorgetragenen Behauptungen verhindert seit Jahren eine sachliche Auseinandersetzung mit den Fragen, die sich durch die längst stattfindende digitale Vernetzung des Gesundheitswesens für die Ärzteschaft stellen. Angst ist ein schlechter Ratgeber – das ist nicht nur in der ärztlichen Erfahrungswelt eigentlich eine Binsenweisheit. Und trotzdem: Wer versucht, nüchtern nachzudenken und nachzufragen, für den wird richtig tief in die Polemik-Kiste gegriffen: „Facebook-Timeline der Medizin“, „Nacktscanner“, „Mittelalterliches Panoptikum“ und „Massentierhaltung“. Man kann sich aussuchen, wobei einem am meisten schaudert.
Aber einen Lichtblick gab´s dann doch. Und zwar da, wo ich ihn eigentlich gar nicht erwartete: Die Ärztin auf dem Podium, Kollegin Fr. Dr. Silke Lüder – gewissermaßen die Jeanne d’Arc der deutschen e-Card-Gegner – berichtete, in ihrer Praxis seien die Daten von 24.000 Patienten vollständig digital gespeichert. Alle hereinkommenden Befunde und Briefe würden gescannt und der elektronischen Akte zugefügt. Fast kein Papier mehr. Und natürlich sei es hilfreich, bei einem Patientenkontakt mal schnell in den Computer zu schauen, um sich ein besseres Bild zu machen.
Soweit so gut, dachte ich. Da bin ich mir als Krankenhausarzt mit der Hausärztin dann ja wirklich mal einig: IT kann helfen, die Behandlungsqualität zu verbessern!
Was aber – so meine Frage an die Kollegin –, wenn denn ihre Patienten am Samstagabend mit exacerbierter COPD oder dekompensierter Herzinsuffizienz oder was weiß ich in die Notaufnahme unseres Krankenhauses kommen? Dann, in einer Situation mit Zeitdruck, schwer krankem Patienten, komplexer Vorgeschichte und schwierigen Anamnesebedingungen, dann stehen diese Daten ja gerade nicht zur Verfügung.
Ob es denn nicht vielleicht möglich wäre, dass diejenigen, die jetzt auch immerhin schon seit bald zehn Jahren gegen die elektronische Gesundheitskarte sind, mal formulieren, wofür sie denn eigentlich sind, um dieses Problem besser als bisher zu lösen? Dazu meine Bitte, einen solchen Vorschlag doch einfach mal auf ein paar Seiten in den wesentlichen technischen und organisatorischen Details als positive Vision zu skizzieren und dann zu veröffentlichen.
Und siehe da: Es geschah, was ich nicht erwartet hatte. In der Veranstaltung „Medizinqualität statt e-Card Bürokratie“ wurde mir genau dies dann in Aussicht gestellt! Einfach so! Ich war etwas baff. Am Ende dann, als alles vorbei war, bekam ich sogar noch ein freundliches Wort von der Kollegin: Ja, da hätte ich schon recht, in Zukunft müssten sie (die e-Card-Gegner) auch mal ein wenig mehr die Vorteile von Informationstechnologie im Gesundheitswesen in den Vordergrund rücken.
Na denn – jetzt bin ich aber mal gespannt!