Vom Arztdasein in Amerika
Das aussterbende Doppelzimmer
Dienstag, 22. Mai 2012
Vor kurzem wurde ein älterer Patient mit einer nicht allzu schwerwiegenden Cholezystitis
aufgenommen. Seine Schmerzen waren mit Opiaten leicht zu
kontrollieren und das Aufnahmegespräch in der Notaufnahme fand entsprechend in sehr
angenehmer Gesprächsatmosphäre statt. Eine halbe Stunde später war er auf
Station, und ich ging meinen anderen ärztlichen Tätigkeiten nach.
Mein iPhone-Piepser ging plötzlich los, und mittels der Textnachricht, die
auf ihm erschien, bat mich die Schwester auf Station zu eben jenem Patienten zu
kommen; es sei kein Notfall, aber er sei etwas erbost. Zügig kam ich der
Aufforderung nach, gerade auch, weil wir an unserem Krankenhaus versuchen, die
Patientenzufriedenheit so hoch wie möglich zu halten; tatsächlich traf ich
einen erzürnten Patienten an. Ob es mein und unser Ernst sei, ihm ein
Doppelzimmer zuzumuten, fragte er mich.
Worauf ich etwas hilflos nur auf
das andere im Zimmer stehende leere Bett verweisen konnte und die Vorhänge, die
ihn von einem potenziell anderen Patienten trennen würde. Doch meine
Versicherung, dass heute Nacht wohl niemand mehr aufgenommen würde, und er
voraussichtlich nur zwei Nächte im Krankenhaus liegen würde half nicht – er
bestand darauf, in eines unserer Einzelzimmer verlegt zu werden. Das
war nicht schwer, denn mittlerweile machen sie knapp 90% unseres
800-Bettenkrankenhauses aus, Tendenz weiter steigend.
Es wurde mir wieder einmal bewusst, wie groß die Anspruchshaltung der
US-Patienten ist, wie ernst die Patientenzentriertheit von Ärzten und
Krankenschwestern genommen wird, dass man einen diensthabenden Arzt für eine
Komfortfrage des Patienten mitten in der Nacht herzitiert. Außerdem wurde mir
der Komfortstatus unserer Patientenzimmer erneut bewußt: Flachbildschirmfernseher,
eigenes Bad mit Dusche, großteils Einzelzimmer, Krankenhausbett mit einer
Vielzahl an Funktionen, PC im Zimmer, kabelloses Internet, Lehnsessel, der zu
einem Ausziehbett für Angehörige umkonvertiert werden kann usw. usf. Der hohe
Technologiestandard und die hohen Löhne im US-Gesundheitswesen sind Teil der
hohen Gesundheitskosten, aber auch die Patienten mit ihren hohen Ansprüche
tragen Mitverantwortung.