Vom Arztdasein in Amerika

Vom Arztdasein in Amerika

Das Staatsexamen wurde 2007 abgelegt, und nicht nur die Frage der Fachrichtung, sondern auch die des Arbeitsortes musste beantwortet werden. Nachdem das Assistenzarztdasein in Frankreich und Deutschland ausprobiert wurde, ging es nach Minneapolis im Jahr 2009. Es schreibt Dr. Peter Niemann über seine Ausbildung zum Internisten (sowie der Zeit danach) und über die Alltäglichkeiten, aber auch Skurrilität eines Arztlebens in USA.

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Vom Arztdasein in Amerika

Wir arbeiten zu wenig!

Donnerstag, 14. Juni 2012

Im März des Jahres 1984 verstarb die 18-jährige Studentin Libby Zion in einem New Yorker Krankenhaus am Serotoninsyndrom. Die sie betreuenden Ärzte, eine Assistenzärztin im 1. Jahr ihrer Ausbildung, Luise Weinstein, und der ihr übergeordnete Assistenzarztkollege Gregg Stone, im 2. Jahr seiner Ausbildung, wurden USA-weit berühmt als Folge der sich nach dem Tod Libby Zions jahrelang anschließenden juristischen und medialen Gefechte.

Libby Zion hatte am Tag vor ihrer Aufnahme, Kokain und ihr tägliches Antidepressivum Phenelzin zu sich genommen. Im Laufe des Aufnahmemorgens hatte sie Fieber und Myalgien entwickelt. Ihr Hausarzt Dr. Raymond Sherman ließ sie zur symptomatischen Therapie und Hydrierung stationär aufnehmen. Die beiden oben genannten Assistenzärzte nahmen sie in jener Nacht auf und betreuten neben ihr mehrere Dutzend andere Patienten; sie waren im früher üblichen 36-Stundendienst.

Diese Faktoren wurden später auch als Teilursache für den Tod Zions angesehen: Denn als die junge Patientin im Laufe der Nacht neben Fieber auch noch Muskelzuckungen entwickelte, wurde telefonisch das Antipyretikum Meperidin verschrieben; im Laufe der Nacht wurde sie zunehmend agitiert, woraufhin erneut telefonisch Therapien verschrieben wurden: Bettfesseln wurden angelegt und Haloperidol gegeben. Zum Teil wegen all dieser Interventionen und ohne größere ärztliche Evaluierung verschlechterte sich der Zustand der Patientin zunehmend mit Anstieg des Fiebers auf mehr als 42 Grad Celsius; sie verstarb weniger als 24 Stunden nach Aufnahme an kardiovaskulärem Versagen.

Der Vater der jungen Frau war nicht nur Journalist, sondern auch Rechtsanwalt. So folgte das, was in den USA oft passiert: Ein Gerichtsverfahren wurde gegen alle beteiligten Ärzte und das Krankenhaus eingeleitet. Es zog sich über viele Jahre hin, schlug sehr hohe Wellen und ging durch einige Instanzen; an dessen Ende stand neben diversen Geldzahlungen auch eine Reform des Arbeitszeitgesetzes für Assistenzärzte in den USA, das 2003 offiziell eingeführt wurde.

Seither ist es Assistenzärzten nicht gestattet, länger als 80 Wochenstunden zu arbeiten (maximal 28 Stunden am Stück), und sie müssen mindestens 24 Stunden am Stück pro Woche frei haben. Ich habe in einem vergangenen Blogbeitrag hierauf schon hingewiesen (siehe “Die fachärztliche Ausbildung wird nicht schlechter”).

Nun ist im New England Journal of Medicine Ende Mai eine Befragung unter Assistenzärzten genau zu diesem Thema veröffentlicht worden (Drolet BC et al “Resident’s response to duty-hour regulations – a follow-up national survey”, NEJM 2012 May 30, e35(1-4)). Interessanterweise ist die Mehrheit der Assistenzärzte nicht so zufrieden mit den Arbeitszeitbegrenzungen und –regelungen wie man es sich zunächst denken mag: Sie haben das Gefühl, weniger zu lernen als früher und empfinden nicht unbedingt eine Verbesserung ihrer Freizeit. Man könnte plakativ sagen: Sie wollen wieder mehr arbeiten. Das Bruttosozialprodukt wird sich freuen.

LNS
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