Gesundheit
Mikrobiom: Volkszählung im menschlichen Ökosystem
Donnerstag, 14. Juni 2012
Bakterium Enterococcus faecalis © dapd
Nach fünf Jahren Arbeit hat das amerikanische Human
Microbiome Project in zwei Artikelserien in Nature und in den Journalen der
Public Library of Science erste Zwischenergebnisse vorgestellt. Ein Team von
200 Wissenschafter an 80 Universitäten hat bei 242 Männern und Frauen an
verschiedenen Stellen von Nase, Haut, Mund, Darm und bei den Frauen auch aus
der Vagina alle bakteriellen Gene sequenziert, die sie finden konnte. Sie
sammelten dabei 3,5 Terabasen an Genomdaten, die zu etwa 10.000 verschiedenen
Bakterienspezies gehören dürften. Jetzt muss das Material ausgewertet werden.
Die Forscher ziehen den – vielleicht etwas übertriebenen – Vergleich mit den
geografischen Entdeckungen des 15. Jahrhunderts. Wie Kolumbus 1492 nicht
wusste, dass er Amerika entdeckt hatte, ist den Mikrobiomforscher heute unklar,
wie sie die Daten, die sie vor sich haben, bewerten sollen.
Klar ist, dass die Forscher Neuland betreten. Denn Bakterien
und anderen Mikroorganismen auf Haut und Schleimhaut wurde in der Vergangenheit
wenig Bedeutung beigemessen, obwohl sie in dem „Ökosystem auf zwei Beinen“ den
menschlichen Zellen zahlenmäßig im Verhältnis von 10 zu 1 überlegen sind. Keime
galten lange als potenzielle Krankheitserreger, die es zu vernichten galt. In
Wirklichkeit hat die Flora im Darm und auf den anderen Oberflächen des Körpers
eine wichtige Funktion für die Gesundheit. So sind Darmbakterien an der
Verdauung der Nahrung beteiligt. Sie synthetisieren sogar für uns
lebenswichtige Vitamine.
Die Darmflora spielt bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa
eine wichtige Rolle. Die Besiedlung der Haut könnte Psoriasis und atopischer
Dermatitis beeinflussen oder auch von ihr beeinflusst werden. Keime im Genitaltrakts
können die Anfälligkeit vor Infektionen erhöhen, oder aber vor ihnen schützen.
Die Datenflut wird in den nächsten Jahren wahrscheinlich
noch die eine oder andere Erkenntnis zur Pathogenese hervorbringen und
vielleicht Anregungen zu neuen Therapie liefern. Kolumbus konnte die Auswirkung
seiner Entdeckung zeitlebens nicht erkennen. Bei der Geschwindigkeit der
heutigen Genomforschung sollte es weniger lange dauern, bis die Bedeutung des
Ökosystems Mensch für die Gesundheit besser verstanden wird.
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