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Vom Arztdasein in Amerika

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Das Staatsexamen wurde 2007 abgelegt, und nicht nur die Frage der Fachrichtung, sondern auch die des Arbeitsortes musste beantwortet werden. Nachdem das Assistenzarztdasein in Frankreich und Deutschland ausprobiert wurde, ging es nach Minneapolis im Jahr 2009. Es schreibt Dr. Peter Niemann über seine Ausbildung zum Internisten (sowie der Zeit danach) und über die Alltäglichkeiten, aber auch Skurrilität eines Arztlebens in USA.

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Vom Arztdasein in Amerika

Der Patient als juristische Gefahr – Teil II

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Als ich diesen Artikel verfasste, war eine Patientin erst vor wenigen Stunden in meiner Anwesenheit verstorben. Seither dachte ich mehrmals mit Schrecken an einen Rechtsanwalt und das juristische System.

Was war passiert?
Die Patientin war 84 Jahr alt, dement und mit rezidivierender Aspirationspneumonie jüngst aufgenommen und nach längerem Aufenthalt mit verbessertem Zustand in ein ambulantes Hospiz  entlassen worden. Nach wenigen Tagen wurde sie – trotz Hospizstatus – wieder ins Krankenhaus aufgenommen – erneut mit der Diagnose Aspirationspneumonie. Ich übernahm den Fall am fünften Krankenhaustag von einem Kollegen und setzte die Behandlung entsprechend fort. Mittlerweile waren komplizierend tachykardes Vorhofflimmern und Nierenversagen hinzugekommen.

Trotz Dosisreduktion des Beta-Blockers und Kalziumantagonisten bei ansteigenden Nierenwerten glitt mir die Patientin in einen bradykarden Kammerrhytmus ab, und weder das Spritzen von Atropin, Kalzium, Glukagon und allerlei anderer Medikamente vermochte diese Bradykardie zu verbessern. Einen externen Schrittmacher durfte ich laut ihrer Patientenverfügung nicht benutzen, wie wir auch keine Wiederbelebung oder Intubation durchführen durften.

Die Patientin wurde zunehmend lethargisch – zuletzt Glasgow-Koma-Skala von 4 – und aspirierte mehrmals laut Pflege, um dann vor meinen ärztlichen Augen in die Nullinie der Asystolie überzugehen. Ich hatte natürlich mehrmals im Laufe des Tages mit den Angehörigen telefonisch gesprochen, und sie traten in jenem Moment der Asystolie in das Patientenzimmer ein.

Es herrschte Trauer, Wut und Unglaube im Raum. Wir besprachen uns mehrmals im Laufe der nächsten Stunden, und es fielen viele Anschuldigungen gegen das Krankenhaus und die Ärzte. Die Patientin hatte am Vortag eine Influenzaimpfung erhalten, und es wurde der Vorwurf erhoben, sie sei daran verstorben. Einer der Töchter zeigte mir einen Schein, auf dem als Allergie „Influenzaimpfung” vermerkt war. Die Drohung einer juristischen Auseinandersetzung wurde mehrfach geäuβert und die Arztnamen inklusive meinem aufgeschrieben, wie auch die gesamte wohl 500-seitige Patientenakte angefordert. Sie meinten es wohl ernst.

Ich ging bedrückt nach Hause, Stunden jenseits meines Feierabendes. Nicht nur, dass die Patientin gestorben war, nun auch solche Drohungen... Juristisch ist es zwar nicht wahrscheinlich, dass der Fall erfolgreich bestehen würde, aber der psychologische Druck ist immens und das Gefühl sehr belastend, dass man trotz aller richtigen Maßnahmen verklagt werden könnte. Klar ist: Sollte ein Jurist diesen Fall annehmen, dann muss er ein unmöglicher Vertreter seines Faches.

LNS
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