Studierender Blick
In der Klasse liegt die Masse
Dienstag, 7. Mai 2013
"Generation
Y" – ein Neologismus, der unsere Generation beschreiben soll, wenngleich
sie sich selbst nicht damit beschrieben fühlt. Es steht unter anderem für
Jungärzte, die sich immer mehr trauen, mutige Forderungen zu stellen – auch und
vielleicht vor allem, weil sie grundlegende, subjektiv empfundene
Ungerechtigkeiten in konventionellen Handlungsweisen sehen. Sie sollen den Ton
in Diskussionen angeben und lang ersehnte Wunschvorstellungen umsetzen, sagen
die Einen.
Die anderen mögen behaupten, dass die Generation Y schleierhaft oder
gar delphisch sei, da sie (uncharakteristisch für eine Bewegung) kein
lokalisierbares Zentrum hat. Sie konstituiert sich binnen Stunden über
Massenmedien, mit Hilfe von "likes", "shares" oder
"retweets". Am Ende zählt nicht, wer eine Aktion gestartet hat,
sondern wie viele die Idee dahinter als vertretbar fanden. Es kondensiert sich
alles auf Prinzipien, Motivationen und Denkanstöße. Und manchmal auch ein
„Wo warst du, als die Aktion stieg?”.
Gegen Ende des Studiums
blicke ich tatsächlich auf einige Ungereimtheiten zurück, bei denen
Medizinstudierende allerorts durchaus eine sehr einschlägige Meinung hatten und
diese kundgetan haben. Allerdings glaube ich gleichzeitig, eine Art
Unentschlossenheit in den Blicken festzustellen.
Wussten Sie, dass immer
weniger Studierende in Einrichtungen des sozialpolitischen Engagements aktiv
sind? Circa die Hälfte der Parteimitglieder der CDU, CSU und SPD sind älter als 60 (laut der Bundeszentrale für politische Bildung). Auch in studentischen
Hochschulwahlen hält sich die Rücklaufquote moderat zurück, ganz zu schweigen
von der Anzahl tatsächlich aktiver Studierendenvertreter.
Man würde denken, dass
jeder mal probiert, über den Tellerrand zu schauen und dabei gesellschaftlich
aktiv wird, oder zumindest etwas Tolles tut, „um es sich auf seinen
Lebenslauf zu schreiben”. (Verzeihen Sie mir die Gänsefüßchen an dieser
Stelle, das ist nur ein persönlicher Kommentar im Subtext.) Im Vergleich der
letzten 50 Jahre ist studentisches Engagement auf einem anhaltenden Tiefpunkt,
und das schon seit mindestens einem Jahrzehnt.
Ich bemerke aber auch
eine Art Unentschlossenheit, wenn es sich um die Zukunftsperspektiven von
Studierenden dreht. Ein großer Prozentsatz von Medizinstudierenden, unabhängig
von Studienort oder Alter, weiß nicht direkt „was er/sie mal werden
will”, wie wir es immer spaßhaft untereinander formulieren. Sie wissen
auch nicht unbedingt, wohin sie ziehen wollen, um zu arbeiten, oder wann sie eine
Familie gründen wollen. Das sind alles durchaus natürliche Fragen, mit denen
sich jeder in unserem Alter beschäftigt. Dennoch frage ich mich manchmal, wie
eine fast schon mystisch umworbene „Generation Y” zu ihrem Namen
gekommen ist, wo sie stellenweise zu Recht unsicher erscheint.
Was treibt sie also?
Bei genauerem Hinschauen, interessieren sie sich eben doch für soziale Themen,
wenn auch schemenhaft. In meinem Umfeld möchten die meisten Männer später mal
Elternzeit nehmen, ohne es vor ihrem Arbeitgeber breit diskutieren zu müssen. Es
erscheint ihnen auch selbstverständlich, dass Frauen in Leitungspositionen
gehören sollen, selbst wenn ihnen bewusst ist, dass die Realität das nicht
widerspiegelt. Wenn man sie frage, warum sie das so sehen, antworten viele in
dieselbe Richtung, vereinfacht: „Weil das halt so sein sollte". Sie
wissen nicht, wann sie eine Familie gründen wollen, aber wenn sie das tun,
möchten sie bei ihr sein, den Kindern bei den ersten Schritten zusehen – und
das nicht über Videonachricht von der Tagesmutter, sondern vor Ort.
Diese
Selbstverständlichkeit, mit der sie die Schemen beurteilen, ist kein Ergebnis
aktiver Selbstüberzeugung - sie validieren sich gegenseitig in diesem Glauben
und geben das an ihre jüngeren Freunde alltäglich weiter. Es gibt natürlich
auch jene, die eher konventioneller denken, ich möchte das nicht verschweigen.
Aber solange ich keinem Halo-Effekt unterliege, bin ich der festen Überzeugung,
dass das nur eine abnehmende, kleine Minderheit ist.
Warum jedoch spüren wir
noch nicht in vollem Ausmaß, wie diese Schemen im Alltag realisiert werden?
Vielleicht hat die „Generation Y“ aus der Vergangenheit gelernt. Viele
Gesellschaftskritiker behaupten, dass zu schneller Umwurf meistens nicht gut
enden kann. Vielleicht nimmt sie sich deshalb so viel Zeit, die Umstände zu
debattieren, bevor voreilige Entscheidungen getroffen werden. Aber in dieser
beständigen „Langsamkeit” liegt auch eine gewisse Ruhe – das
Bewusstsein, dass sie es sein werden, die in 30 Jahren die Entscheidungen der
Gesundheitspolitik und ihre lokale Umsetzungen prägen.
Ich sehe in den
heutigen Studierenden und künftigen Ärzten ein enormes Potenzial, in der Masse aufzutrumpfen. Und vielleicht sollte man sie mit gezielten Impulsen stärker
einbinden, denn ich glaube, dass diese Generation sich noch selber positiv
überraschen wird.