Gesundheit
Forensik: Wie falsche Erinnerungen entstehen
Freitag, 26. Juli 2013
Erinnerungen sind
unzuverlässig, manchmal fügen sie anderen Menschen auch Unrecht zu. Wir sind
sicher, die Urlaubslektüre in den Koffer gelegt zu haben, doch nach der
Rückkehr findet sie sich zuhause im Bücherregel. Zeugen beteuern oft
glaubwürdig, dass sie den Täter erkannt haben, doch ein späterer DNA-Test
belegt die Unschuld. Fast drei Viertel von 250 Menschen, die in den USA durch
DNA-Befunde entlastet wurden, waren vorher aufgrund glaubwürdiger Zeugenaussagen
verurteilt worden.
Schon länger vermuten die
Hirnforscher, dass die beiden Hippocampi, seepferdchenförmige Kerne in den
Temporallappen, für die Bildung von Erinnerungen zuständig sind. In den 1940er
Jahren konnte der kanadische Neurochirurg Wilder Penfield durch die elektrische
Reizung des Hippocampus spezifische Erinnerungen bei seinen Patienten
hervorrufen. (Penfield hatte bei den Patienten nach dem Entstehungsort von
epileptischen Anfällen gesucht, um ihn herauszuschneiden). Die Krankengeschichte
des Patienten H.M., dem bei einer Epilepsiechirurgie unter anderem beidseitig
Teile des Hippocampus entfernt wurden, bestätigte die Rolle dieser Hirnregion
für die Gedächtnisbildung. Der Patient verlor selektiv die Fähigkeit neue
Erfahrungen ins Langzeitgedächtnis zu überführen.
Das Team um Susumu Tonegawa
(Nobelpreis 1987, für ein ganz anderes Thema) vom Picower Institute for
Learning and Memory in Cambridge/Massachusetts konnte den Ort für die
Gedächtnisspeicherung kürzlich auf eine kleine Anzahl von Nervenzellen in der
Körnerschicht des Gyrus dentatus zurückführen, der auch als Eingangsstation des
Hippocampus bezeichnet wird. In den jüngsten Experimenten nutzte das Team die
neue Technik der Optogenetik, um bei Mäusen gezielt falsche Erinnerungen zu induzieren.
Bei der Optogenetik wird das
Steuergen Channelrhodopsin in Nervenzellen implantiert. Danach können diese
Zellen von außen durch Lichtsignale aktiviert und bei Ausschalten des Lichts
auch wieder deaktiviert werden. Im ersten Schritt wurden die Hirnzellen
markiert, die bei der Bildung von neuen Erinnerungen aktiviert werden. Dazu
wurden die Tiere in einen für sie fremden, die Fantasie anregenden Käfig
gesetzt. Die angenehme Atmosphäre führte dazu, dass die Tiere den Ort neugierig
beschnüffelten. In die dabei aktivierten Zellen implantierten die Forscher das
Steuergen.
Am nächsten Tag wurden die
Tiere in einen neuen Käfig gesetzt, der sich in der Ausstattung vom ersten
Käfig unterschied. Dieses Mal wurde den Tieren der Aufenthalt durch Stromstöße verleidet,
die sie bei jedem Schritt im Käfig erhielten. Die Angst siegte über die
Neugierde. Die Tiere verkrochen sich in eine Ecke des Käfigs und blieben
bewegungslos. Gleichzeitig hatten die Forscher durch einen Lichtstrahl (über
eine in das Gehirn implantierte Glasfaser) genau die Nervenzellen aktivierten,
die die Erinnerungen des ersten Tages gespeichert hatten.
Dies hatte zur Folge,
dass sich die Tiere die Umgebung des negativen Käfigs nicht merkten und die
Stromstöße stattdessen mit dem Käfig des ersten Tages assoziierten. Als sie am
nächsten Tag wieder in diesen harmlosen Käfig gesetzt wurden, verharrten sie in
Erwartung von Stromstößen verängstigt in einer Ecke. Wenn sie dagegen in einen
dritten, bisher unbekannten Käfig gesetzt wurden, zeigten sie keine Scheu.
Das Experiment belegt laut
Tonegawa, dass die Tiere aufgrund der künstlichen Aktivierung früherer
Gedächtnisinhalte die beiden Käfige verwechselten. Solche falschen
Gedächtnisbildungen sind auch beim Menschen möglich, vielleicht sind sie gar nicht
so selten. Hirnforscher gehen davon aus, dass der Akt des Erinnerns zu einer
Veränderung von Gedächtnisinhalten führen kann. Dies kann vor Gericht leicht
dazu führen, dass Zeugen sich später sehr genau an Dinge erinnern, die
vielleicht gar nicht passiert sind. Eine andere Variante der falschen
Erinnerung ist der Fall einer Frau, die zuhause überfallen wurde, während sie
ferngesehen hatte. Sie behauptete später steif und fest, dass der Moderator der
TV-Show der Täter gewesen sei.
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