Britain-Brain-Blog
Ambulant und stationär – die Versorgungsstrukturen
Montag, 26. August 2013
Mehrwöchige Klinikaufenthalte – und dann? Von nahezu 100prozentiger Versorgung im stationären Bereich wieder auf 0 Prozent...sich selbst überlassen?
Neulich habe ich mich mit englischen Kollegen genau darüber unterhalten, denn
mittlerweile fällt es mir schwer, mich zu erinnern, wie wir das in Deutschland
ohne „Care Coordinators“ und „Home Based Treatment Teams“ geregelt haben.
Idealerweise werden Patienten ja geheilt entlassen, aber häufig ist das bei
chronisch psychischen Erkrankungen nicht der Fall. Üblicherweise wurden unsere
Patienten in Deutschland nach Entlassung an einen niedergelassenen Psychiater
oder eine Institutsambulanz angebunden, was aufgrund der Versorgungssituation
im ambulanten Bereich nicht immer leicht war. In Einzelfällen erinnere ich mich
auch, dass spezialisierte psychiatrische Pflegedienste eingebunden wurden. In
relativ vielen Fällen zogen schwer chronisch psychisch Kranke – sofern sie dem
zustimmten – in betreute Wohneinrichtungen (bzw. wohnten zum Aufnahmezeitpunkt bereits in einer solchen Einrichtung). So zumindest mein subjektiver Eindruck.
In Großbritannien hingegen merkt man deutlich, dass sowohl ambulante als auch stationäre Versorgung „unter einem Dach“, nämlich durch den NHS koordiniert wird. Das Interesse des NHS sind möglichst wenige stationäre Aufnahmen, da ambulante Versorgung deutlich günstiger als stationäre ist – ergo dem Steuerzahler Geld spart. Dementsprechend spezialisiert sind ambulante Versorgungsstrukturen. Von vorneherein versuchen Krisenteams (CRT) im Rahmen des „Home Based Treatment“ (HBT) Aufnahmen durch intensive Betreuung in der Häuslichkeit abzuwenden.
Sie können Patienten ggf. mehrmals täglich daheim besuchen und dort psychiatrisch-pflegerisch, bzw. bei Bedarf auch ärztlich versorgen. Werden die Risiken für das HBT zu hoch eingeschätzt, kommt es zur
stationären Aufnahme. Das CRT dient in diesem Fall als „Gatekeeper“ und muss ein Bett identifizieren. Dieser Prozess kann Stunden dauern, da die Bettenanzahl aus Kostengründen sehr begrenzt ist. Mindestens zweimal wurde mir bei Aufnahmen gesagt das nächste freie NHS Bett sei erst wieder ab London zu finden (zur Erinnerung: das ist fast vier Stunden südlich von unserer Stadt).
In beiden Fällen kamen die Patienten in privaten Krankenhäusern unter, wofür die Finanzierung erst beantragt werden muss, was ebenfalls lange dauert. Der stationäre Aufenthalt soll in jedem Fall kurz gehalten werden, was wiederum durch die eben erwähnten ambulanten Strukturen möglich gemacht werden soll. Nach kurzer stationärer Krisenintervention kann eine vorzeitige Entlassung beispielsweise mit Hilfe des HBT ermöglicht werden.
In der Praxis klappt das nicht immer ganz so effizient wie es nun klingt, aber die grundsätzliche Idee
dahinter macht Sinn. Chronisch Kranke oder diejenigen mit mehr Betreuungsbedarf werden einem „Care Co-Ordinator“ (CC) zugeordnet, der die langfristige Versorgung überblickt und koordiniert. Kommt es beispielsweise zu einer stationären Aufnahme, wird der CC sofort informiert und meist auch
kontinuierlich in den Verlauf und die Entlassungsplanung mit eingebunden.
Kontinuität und bedarfsgerechte Versorgung werden somit wahrscheinlicher und als Kliniker hat man eine gewisse Sicherheit, dass nach Entlassung die weitere ambulante Betreuung organisiert wird. Unsere Patienten haben zudem ausnahmslos einen sogenannten „7-day follow up“, bei dem jemand innerhalb der ersten Woche nach Entlassung jemand den Patienten kontaktiert und sich erkundigt ob alles in Ordnung ist.
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.