PJane
Wenn ein Mensch geht.
Mittwoch, 12. August 2015
Im Krankenhaus arbeiten wir meistens unter Stress. Wir machen vieles gleichzeitig und wir machen es schnell: Blutwerte werden nachgesehen, es wird telefoniert, Kurven werden herausgesucht, Flexülen gelegt und Konsile in Auftrag gegeben.
Besonders bei Notfällen muss es schnell gehen: Befragen, Vitalwerte überprüfen, Sauerstoff anschließen, Flüssigkeit anhängen, das EKG auswerten- jede Minute zählt.
Schnell.
Obwohl all dies unbestreitbar nicht ohne ein gewisses Maß an Gründlichkeit, Fachkunde und Nachdenken funktioniert – Schnelligkeit ist immer Teil des Jobs.
Von Beginn an werden wir darauf getrimmt, und auch an Tagen ohne markante Notfälle wird uns auffallen: Wir eilen durch die Gänge, wir essen schnell, wir beeilen uns, wohin wir auch gehen.
Die Schnelligkeit ist Teil unserer Routine geworden. Nahezu unbemerkt hat sie sich über unsere Arbeitsroutine gelegt wie eine zweite Haut. Trotz diverser, vieler Nachteile vermag sie es, paradoxerweise, uns ein Stück weit Gelassenheit zu vermitteln: Wenn wir mit einer Sache zügig fertig werden, sind wir gerüstet, sollte kurze Zeit später ein Notfall hereinkommen, etwas passieren. Wir sind bereit, das möchten wir jedenfalls sein.
Und dann gibt es Menschen hinter den Türen, für die können wir nichts mehr tun.
Unsere Schnelligkeit kann ihnen keinen Nutzen mehr erweisen, sie ist diesbezüglich eine nutzlos angeeignete Fähigkeit. Keine schnell angelegte Infusion, kein rasch ausgewertetes EKG kann ihnen jetzt noch helfen.
Wir sind ausgebremst.
Die Sonne scheint herein, als wir das Zimmer betreten und es kommt mir seltsam ironisch vor. Sie sieht klein aus, so dünn unter der großen Decke und doch friedlich. Wir überlegen, reden über unseren Plan. Und wir alle – wir in weiß und die Verwandten- wissen: Wir warten jetzt nur noch. Das ist manchmal der Lauf der Dinge, wenn jemand alt werden und leben durfte, dann wiederum furchtbar brutal, wenn jemand noch nicht die Chance hatte, dies zu tun. Immer ist es: Traurig. Wenn ein Mensch gehen muss, wenn wir nichts mehr tun können, dann werden wir klein.
Wir entschleunigen, weil wir nichts mehr tun können.
Für diesen Moment scheint die Zeit angehalten und der Augenblick konserviert: Eine haltende Hand über ihrer faltigen, ein Sonnenstrahl über ihrem Gesicht. Eine Kerze, die brennt. Es ist beruhigend, sie nicht allein zu sehen, denn wir müssen weiter, zum nächsten Zimmer.
Ein wenig hilflos lässt es uns zurück. Und dennoch: Unvergessen bleibt, wie hinter ihrer Tür die Zeit stehen blieb.
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