Res medica, res publica
Die Glyphosat-Story oder Grüne gegen grünes Institut
Dienstag, 29. September 2015
Wer einen Garten hat, hat möglicherweise – wie der Autor – auch schon mal dazu beigetragen: Sechs Millionen Tonnen des Wirkstoffs Glyphosat werden in Deutschland jährlich ausgebracht, um Beete oder Wege unkrautfrei zu bekommen („Roundup“). Der Löwenanteil wird großflächig in der Landwirtschaft versprüht. Immerhin 811 Tonnen des Herbizids wurden 2012 von Privatanwendern gekauft, Grund genug für Anton Hofreiter, den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, schon im Mai in einem offenen Brief an die Baumärkte und Gartencenter im Land zu appellieren, freiwillig alle Glyphosat-Herbizide aus dem Sortiment zu nehmen.
Denn Glyphosat steht im Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein. Seit Jahren treten beispielsweise in der Hauptversammlung der Bayer AG Redner auf, die auf die Gefahren durch das weltweit meistverkaufte Pestizid aufmerksam machen und den Vorstand auffordern, die Produktion glyphosathaltiger Produkte zu stoppen. Seit diesem Frühjahr werden solche Forderungen mit neuer Vehemenz vorgetragen. Denn die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Glyphosat im März als wahrscheinlich krebserregend für den Menschen eingestuft.
Eigentlich wollte die EU-Kommission in diesem Herbst turnusmäßig über die Neuzulassung von Glyphosat entscheiden, denn die Genehmigung läuft Ende des Jahres aus. Da die WHO dazwischenfunkte, will sie die Frist um ein halbes Jahr verlängern, um mehr Zeit für eine gründliche Prüfung zu haben.
Die Grünen hatten zuvor schon eine Aussetzung der Zulassung gefordert, bis die unterschiedlichen Meinungen zur krebserregenden Wirkung geklärt seien. Das aber, erst recht ein weltweites Verbot würde einen riesigen gewinnträchtigen Markt zusammenbrechen lassen, zum Beispiel für den amerikanischen Hersteller Monsanto, der – außerhalb der EU - gentechnisch erzeugtes glyphosatresistentes Saatgut anbietet, damit die Landwirte Unkräuter einfacher mit dem Pestizid vernichten können. .
Politisch pikant ist, dass sich die Grünen, allen voran ihr Gentechnik-Sprecher Harald Ebner, auf eine Bundesbehörde eingeschossen haben, die vor mehr als einem Jahrzehnt von einer grünen Verbraucherschutzministerin namens Renate Künast gegründet wurde: das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Sein gesetzlicher Auftrag: die gesundheitliche Bewertung von Lebensmitteln, Futtermitteln und Chemikalien auf wissenschaftlicher Basis. Ebner wirft dem BfR vor, das von Glyphosat ausgehende Krebsrisiko zu verharmlosen. „Das BfR kommt nach Prüfung aller bislang vorliegenden Studien zu dem Ergebnis, dass nach derzeitiger wissenschaftlicher Kenntnis bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Glyphosat kein krebserzeugendes Risiko für den Menschen zu erwarten ist“, heißt es auf der Website des Instituts.
Ausgerechnet das BfR wurde im Rahmen der Glyphosat-Neubewertung in der EU mit der Bewertung des gesundheitlichen Risikos des Wirkstoffs beauftragt, was Umweltschützern überhaupt nicht passt. Sie unterstellen einigen Experten dort eine zu große Nähe zur Industrie.
Das BfR weist alle Vorwürfe zurück, auch den, schlampig gearbeitet zu haben und beispielsweise Leserbriefe in Fachzeitschriften als wissenschaftliche Studien aufzuführen. Es verweist zudem auf das ebenfalls bei der WHO angesiedelte Gremium Joint Meeting on Pesticide Residues, das die BfR-Einschätzung teile. Einige Studien, die gegen Glyphosat ins Feld geführt werden, weisen nach Feststellung des Instituts schwerwiegende methodische Fehler auf.
Zu einem Test von Glyphosat-Rückständen in Muttermilch, dessen Ergebnisse die Grünen im Juni mit großem Medienecho verbreitet hatten, heißt es: Aus der wissenschaftlichen Literatur sei überhaupt keine Methode bekannt, mit der die berichteten geringen Mengen (0,21 bis 0,43 Nanogramm pro Milliliter) überhaupt nachgewiesen werden könnten, weder in Kuh- noch in Muttermilch. Eine Vielzahl von Studien dagegen habe keine Hinweise für eine Anreicherung von Glyphosat im Organismus erbracht.
Seit dieser Woche bewegt sich das BfR ziemlich überraschend auf das WHO-Gremium zu: „Die Bewertung der epidemiologischen Studien durch Deutschland als berichterstattenden Mitgliedsstaat unter Berücksichtigung der durchgeführten öffentlichen Konsultation entspricht der Bewertung durch die IARC“, heißt es in schönstem Bürokratendeutsch in einer „Hintergrundinformation“ vom 22. September 2015.
Dabei liegt die Betonung auf epidemiologischen Studien, denn das BfR hält toxikologische Studien für wichtiger. Denn in epidemiologischen Studien werde Glyphosat nicht als Reinsubstanz, sondern in verschiedenen Gemischen als handelsübliches Pflanzenschutzmittel untersucht. „Da die Toxizität der Beistoffe höher sein kann als die des Wirkstoffs Gyphosat,“ sei die Aussagekraft dieser Studien im Rahmen des EU-Genehmigungsverfahrens gering. Deshalb empfiehlt das BfR schon heute für den Fall einer erneuten Zulassung des Wirkstoffs, im Rahmen der nachgelagerten nationalen Zulassung der konkreten Pflanzenschutzmittel zusätzliche Untersuchungen.
Ist das ein mit wissenschaftlichen Argumenten verbrämtes Einlenken? Die Kontroverse muss jedenfalls schnell geklärt werden, auch wenn das BfR es für alltäglich in der Risikobewertung hält, „dass verschiedene Gremien . . . Sachverhalte unterschiedlich einschätzen.“
Leserkommentare
Um Artikel, Nachrichten oder Blogs kommentieren zu können, müssen Sie registriert sein. Sind sie bereits für den Newsletter oder den Stellenmarkt registriert, können Sie sich hier direkt anmelden.