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Der 1. Examenstag: Eine Patientin aus dem Lostopf und ein Hochzeitsbild

Sonntag, 20. März 2016

Am ersten der beiden mündlichen Examenstage trafen meine Freundin und beste Lernpartnerin uns um kurz vor acht auf der uns zugeteilten Station. Trotz vieler, vieler Prüfungen, die schon hinter uns lagen, kann ich mich nicht erinnern, seit dem Physikum wieder jemals so nervös gewesen zu sein. Wie gut, dass wir uns zumindest gegenseitig hatten! Dann kam auch schon unsere Prüferin aus der Inneren Medizin in den Seminar­raum und begrüßte uns mit einem Lächeln, das in dieser Situation wirklich gut tat – die Kliniker sind in meiner persönlichen Wahrnehmung auch einfach empathischer als die Vorkliniker, aber das nur am Rande.

Die Patientenaufteilung stand an und besagte Ärztin löste diese Aufgabe auf die fairste Art: Die Patientennamen wanderten in den Lostopf („Es gibt Patienten, da ist das Ganze vielleicht nicht ganz so klar wie bei anderen, das ist nun einmal die Natur auf einer normalen internistischen Station, da müssen Sie ja später auch durch.“) und wir zogen.

Ich saß vorne, durfte also zuerst ziehen und bin, nun ja, für mein Losglück nicht gerade berühmt. So kam es, dass unsere Prüferin als sie meinen Zettel sah, erst einmal bemüht lächelte, um eine Art Zen-artige Atmosphäre auf mich überschwappen zu lassen, während sie mir mitteilte: „Ja, also das ist genau diejenige, die ich meinte...also sehr nette Dame, aber von den Krankheitsbildern wahrscheinlich das, was sie so gar nicht erwartet haben. Aber machen sie sich bitte keine Sorgen!“.

Tja. Genau das, was man hören möchte in den ersten fünf Minuten. Nun gut, Murphy im Kopf und mein schwindendes Nervengerüst gut maskiert, marschierte ich mit den anderen auf den Gang der Station, wo wir die Zimmer unserer Prüfungspatienten suchten.

Hinter jeder Tür ein anderes Schicksal. Es sollte sich herausstellen, dass meine Patientin in ihrem relativ jungen Alter ziemlich gebeutelt von eben diesem war. Allein die Anamnese dauerte ewig, trotz strukturierten Nachfragens kamen immer wieder wichtige Details ans Licht.

Bis zum Schluss der Untersuchung kam mir ihre Geschichte noch nicht ganz rund vor. Mir fehlte einfach die Zeit, logische Verbindungen zu schließen – ein unschönes Gefühl. Ich hoffte inständig, dass sich das beim Nachdenken im Seminarraum und Schreiben der Epikrise noch legen würde (tat es, wenn auch unter einer Menge Stress).

Der Zwiespalt: Ich hätte mir gerne mehr Zeit genommen, auf sie einzugehen, aber das hier war mein wichtigster mündlicher Prüfungstermin. So versuchte ich, Verständnis für ihre geäußerten Gefühle und ich-stelle-sie-jetzt-mal- untersuchungsmäßig-auf-den-Kopf soweit unter einen Hut zu bringen.  Eine Mischung, mit der meine Patientin anscheinend auch zufrieden war – am Ende steckte sie mir ihr vor einem halben Jahr entstandenes Hochzeitsbild zu, um mir eindrucksvoll zu zeigen, wie viel Gewicht sie durch ihre Kortisontherapie zugenommen hatte. Ich könne es auch bei der Prüfung verwenden. Sie gab es mir und ihre Augen sahen traurig aus. Klar, vor allem für eine junge Frau eine unangenehme Nebenwirkung. Sie schreit: Seht her, ich bin krank. Sie ist schlecht zu verbergen.

Dieses Foto. Ich steckte es in meine Kitteltasche, gesehen hatte ich die Gewichts­zunahme direkt, aber das hier war mehr. Es sagte, ich vertraue Ihnen und Sie werden das heute gut machen. Während ich die Epikrise schrieb und nachher meine Patientenvorstellung ausarbeitete, überlegte, was man differenzialdiagnostisch noch anbringen könnte, und was ich für die wahrscheinlichste Diagnose und warum, konnte ich es in meiner Kitteltasche rascheln hören. „Versau’ es nicht“, dachte ich mir, „gib dein aller-, allerbestes.“

Der Plan ging auf. Im Endeffekt war sie keine einfache Patientin- im Sinne einer einzigen Diagnose oder einem klaren Verlauf. Aber sie war in diesem Moment meine Patientin. Eine junge Frau, die schon viel durchgemacht hatte und trotzdem noch genug Lebensfreude hatte, um mir an diesem wichtigen Tag die Daumen zu drücken.

Sich nicht zu beschweren, dass ich ihr wahrscheinlich die gleichen Fragen stellte, wie schon fünf Leute vor mir. Die kein Problem damit hatte, schon wieder vor jemanden im Seiltänzergang auf einer imaginären Linie zu laufen. Die sich richtig freute und nach 45 Prüfungsminuten vor der Kommission beim Hinausgehen sagte:“Na, das hat se doch richtig gut gemacht!“ Ich bin mir sicher, sie hatte in diesem Moment wahrlich tiefgreifendere Sorgen als mein Examen.

Drei Tage später, als alles über- und vor allem bestanden war, besuchte ich sie wie versprochen.

Für mich hatte sich viel geändert: Ich war glücklich, erleichtert, kam das erste Mal als Ärztin und nicht mehr als Studentin.

Sie saß auf gepackten Taschen, da sie beurlaubt werden konnte – und war doch immer noch dabei, ihre Krankheit zu bekämpfen. Für Examina kann man pauken, üben, sich am Riemen reißen. Krankheiten wie die ihre kommen und dann kann man nur noch reagieren. Als ich an die frische Luft trat, dachte ich mir, ich hoffe, sie schafft das. Und ich dachte: Danke, dass ich genau ihren Zettel aus dem Topf zog.

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