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Vom Arztdasein in Amerika

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Das Staatsexamen wurde 2007 abgelegt, und nicht nur die Frage der Fachrichtung, sondern auch die des Arbeitsortes musste beantwortet werden. Nachdem das Assistenzarztdasein in Frankreich und Deutschland ausprobiert wurde, ging es nach Minneapolis im Jahr 2009. Es schreibt Dr. Peter Niemann über seine Ausbildung zum Internisten (sowie der Zeit danach) und über die Alltäglichkeiten, aber auch Skurrilität eines Arztlebens in USA.

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Vom Arztdasein in Amerika

Kalifornische Ärztin wegen Mordes verurteilt

Dienstag, 22. November 2016

In den hiesigen Praxen werden verschreibungspflichtige Schmerzmittel und angstlösende Medikamente immer seltener an Patienten ausgestellt. Gerade opioidhaltige Schmerzmedikamente wie Morphin, Oxycodon oder Hydromorphon sowie die angstlösenden Mittel aus der Benzodiazepingruppe wie Lorazepam, Diazepam oder Alprazolam, um einige bekannte Wirkstoffe aus diesen beiden Gruppen zu nenen, werden immer weniger von Ärzten verschrieben – mittlerweile werden viele Patienten nur noch zu Schmerzspezialisten oder Psychiater geschickt.

Man geht in den USA von Millionen abhängiger Patienten und mehr als 20.000 Todesfällen wegen direkter und indirekter Folgen dieser Medikamente aus, daher rühren also verschärfte Gesetze und Überwachungsmechanismen. Doch im persönlichen Gespräch mit Kollegen gibt es noch einen anderen Grund für diesen Rückgang, nämlich die Verurteilung der Hausärztin „Lisa“ Tseng Anfang diesen Jahres wegen Mordes und daraus resultierender, aus meiner Sicht irrationaler, Angst ähnlich belangt zu werden.

Der erwähnte Fall wurde medial sehr bekannt als Anfang Februar 2016 zum ersten Mal in der modernen US-Medizingeschichte eine Hausärztin, nämlich Dr. Hsiu-Ying „Lisa“ Tseng wegen des Verschreibens von Schmerz- und Antiangstmitteln und hierbei erfolgten Todes in insgesamt 12 Fällen des Mordes für schuldig erklärt und verurteilt wurde. Siehe hierzu L.A. Times vom 5. Februar, 2016: http://www.latimes.com/local/lanow/la-me-ln-doctor-murder-overdose-drugs-sentencing-20160205-story.html <http://www.latimes.com/local/lanow/la-me-ln-doctor-murder-overdose-drugs-sentencing-20160205-story.html> .

Die Hintergründe sind schnell erzählt: Die Hausärztin Dr. Tseng arbeitete gemeinsam mit ihrem Ehemann in ihrer Praxis in Rowland Heights, einem Vorort von Los Angeles. Zwischen 2007 und 2010 war sie Ärztin einer sehr gut gehenden Praxis und verschrieb dort eine sehr große Zahl an Opiaten und Benzodiazepinen.

Diese Medikamente können zwar bei Angst- und Schmerzzuständen sehr hilfreich sein, da sie aber nach nur kurzer Zeit zur Abhängigkeit, in höheren Dosierungen zu Benommenheit, Lethargie bis hin zu Koma und Tod führen und viele zum Teil die Potenz beträchtlich stärkende Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Alkohol eingehen, können sie sehr gefährlich sein. Man kann sie illegalerweise sich injizieren oder inhalieren und auf dem Schwarzmarkt werden sie zum Teil für 20 oder 30 Dollar pro Tablette verkauft.

Entsprechend war die Praxis dieser Hausärztin eine sehr beliebte, denn bei nur sehr begrenzter ärztlicher Tätigkeit und Untersuchung wurden oft größere Tablettenzahlen verschrieben. Patienten reisten zum Teil von anderen Bundesstaaten an, im Wissen dort meist auf einfache Art und Weise ein Rezept dieser für viele als anregend angesehenen Medikamente zu erhalten.

Obwohl es im Laufe dieser vier Jahre zu wiederholten Todesfällen, Anrufe von besorgten Gerichtsmedizinern und Beamten, Überdosierungserscheinungen selbst in den Praxisräumen und Eingeständnis der Ärztin gegenüber ihrem Personal dass es sich bei einigen ihrer Patienten um „Junkies“ handele, so änderte sie nicht ihren Verschreibungsstil. Man munkelte, daß dieses einer Geldaffinität geschuldet war denn alleine zwischen 2007 und 2010 soll die besagte Praxis einen Gewinn von knapp fünf Millionen US-Dollar ihr und den anderen Inhabern beschert haben.

Als dann im Jahr 2010 drei weitere Patienten, dieses Mal junge Männer im Alter von 21, 25 und 28 Jahren aufgrund von Überdosierung verstarben, wurde Anzeige erstattet, die Staatsanwaltschaft und Polizei eingeschaltet, die Ärztin verhaftet und sehr viele Unterlagen und Beweismaterial beschlagnahmt. Das Ausmaß der Verantwor­tungslosigkeit, der schluderigen Dokumentation und vieler anderer Mißstände kam allmählich ans Licht und Anfang 2016 wurde gegenüber Dr. Tseng ein Hafturteil zu 30 Jahren Gefängnis wegen Mordes ausgesprochen. So erlangte sie traurige Berühmtheit, nämlich der erste Arzt zu sein der wegen inkorrekter Medikamentenverschreibung zu Gefängnishaft verurteilt wurde.

Der Fall schlug hohe Wellen nicht nur in der Öffentlichkeit sondern auch unter vielen von uns Ärzten. Meine Kollegen und ich wissen, dass wir stets Gefahr laufen, im klagefreudigen US-System verklagt zu werden, das ist unser tägliches Brot, doch bei manchen von uns ist tatsächlich nun eine weitere Angst hinzugekommen, nämlich vor Gericht verklagt zu werden wegen falscher Medikamentenverschreibung von Opiaten oder Benzodiazepinen. Ich meine, daß es eine irrationale Angst sei, aber beobachte wie immer mehr Kollegen tatsächlich weniger von diesen Medikamenten ihren Patienten geben.

LNS
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