Gesundheit
Werden Antibiotika zu lange eingenommen?
Freitag, 28. Juli 2017
Zu den Grundregeln der Antibiotikatherapie im ambulanten Bereich gehört, dass die Medikamente auch dann noch eingenommen werden, wenn die Symptome bereits abgeklungen sind. Als Grund wird nicht nur die Gefahr von Rezidiven genannt. Die längere Einnahmezeit soll auch die Entwicklung von Resistenzen verhindern. Diese Begründung, die sich international in den meisten Leitlinien findet (und in England zum Lehrplan für den Biologieunterricht an Schulen gehört), wird jetzt von einem britischen Infektiologen infrage gestellt.
Martin Llewelyn von der Brighton and Sussex Medical School weist darauf hin, dass die Empfehlungen, die je nach Indikation eine 7 oder 14-tägige Einnahmedauer vorsehen, nur selten in randomisierten Studien überprüft wurden. Und in den Studien, die Therapien unterschiedlicher Dauer verglichen, hat sich die kürzere Antibiotika-Einnahme in der Regel als gleichwertig, wenn nicht sogar als vorteilhaft erwiesen (einzige Ausnahme war die Otitis media, wo in einer Vergleichsstudie zehn Tage besser waren als fünf). Ein Anstieg der Resistenzen wurde in keiner Studie gefunden.
Für Llewelyn wäre dies auch überraschend, denn die meisten Resistenzen entwickeln sich nicht bei den Bakterien, die die Infektion auslösen und Ziel der Antibiotikatherapie sind, sondern als „Kollateral“-Selektion bei Bakterien, die auch bei gesunden Menschen Haut und Schleimhäute besiedeln. Die Gefahr von Resistenzen bei „professionellen“ Erregern, die nur im Krankheitsfall den Menschen angreifen, sieht Llewelyn nur bei wenigen Erregern. Mycobacterium tuberculosis, Neisseria gonorrhoe und Salmonella typhi gehören dazu oder auch Parasiten wie der Malariaerreger Plasmodium falciparum oder das HI-Virus. Bei diesen Erregern werden heute zumeist Kombinationen eingesetzt, die das Risiko der Resistenzentwicklung senken sollen. Hier bleibt ein Abschluss der Behandlung bis zur Eliminierung aller Erreger wichtig.
Bei gewöhnlichen ambulanten Infektionen durch opportunistische Erreger wie Staphylokokken und Streptokokken könnte die Behandlung nach Ansicht von Llewelyn bereits früher beendet werden. Wie früh, lässt Llewelyn offen. Er kann allerdings darauf verweisen, dass in der Klinik in der Regel bei jeder Visite neu entschieden werde, ob eine Antibiotikatherapie weiter fortgesetzt werden soll.
Dort werden Biomarker wie der Procalcitonin-Test benutzt, um die Indikation zu überprüfen. Im ambulanten Bereich ist dies kaum praktikabel. Die radikale Forderung von Llewelyn, die Patienten sollten die Mittel einfach absetzen, wenn sie sich besser fühlen, dürfte von den wenigsten Infektiologen geteilt werden. Sie ist ebensowenig evidenzbasiert, wie die langen Antibiotika-„Kuren“. Die Fachgesellschaften dürften sich deshalb den Empfehlungen von Llewelyn nicht anschließen. Die Hypothese könnte jedoch Grundlage für randomisierte klinische Studien bilden.
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