MEDIZIN: Übersichtsarbeit
Klinik der Dissektionen hirnversorgender Halsarterien
The clinical features of dissection of the cervical brain-supplying arteries
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Hintergrund: Dissektionen hirnversorgender Halsarterien zählen zu den Hauptursachen ischämischer Schlaganfälle bei jungen Erwachsenen. Die jährliche Inzidenz der Dissektionen liegt bei 2,5–3/100 000 für die Arteria carotis beziehungsweise 1–1,5/100 000 für die Arteria vertebralis. Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Zur Unterstützung der frühen Diagnose werden in der vorliegenden Übersichtsarbeit die klinischen Symptome dargestellt.
Methode: Selektive Literaturrecherche in PubMed.
Ergebnisse: Spontane Dissektionen der Arteria carotis interna oder Arteria vertebralis sind charakterisiert durch ein Hämatom der Gefäßwand. Ein solches Hämatom entsteht oft in Zusammenhang mit Bagatellverletzungen, wobei möglicherweise prädisponierend eine – eventuell nur temporäre – Arterienwandschwäche zugrunde liegt. Leitsymptom ist der akute einseitige Schmerz: bei Dissektionen der Arteria carotis interna in 46 % beziehungsweise 19 % der Fälle in Schläfenregion und Stirn, bei Dissektionen der Arteria vertebralis in 80 % der Fälle in Nacken und Hinterkopf. Schmerzen und lokale Symptome wie das Horner-Syndrom treten früh auf, Schlaganfälle meist um Stunden bis Tage verzögert.
Eine frühzeitige Diagnose mit Magnetresonanztomografie, Computertomografie oder Ultraschall kann zur Schlaganfallprävention mit gerinnungshemmenden Mitteln beitragen, bei allen Untersuchungsmethoden kommen aber falsch-negative Befunde vor. Das Rezidivrisiko einer Dissektion ist gering, außer bei Vorliegen einer Bindegewebserkrankung wie Ehlers-Danlos-Syndrom oder fibromuskuläre Dysplasie. Von der spontanen Dissektion der Halsarterien abzugrenzen sind die Aortendissektion mit Ausbreitung in supraaortale Gefäße und die traumatische Dissektion bei stumpfer oder penetrierender Gefäßverletzung.
Schlussfolgerung: Um Schlaganfällen vorzubeugen, ist die Kenntnis des Krankheitsbildes Dissektion und seiner klinischen Symptome wichtig, da die ausgewählte Bildgebung nicht immer eine Pathologie zeigt.


Die Dissektion der Halsarterien bezeichnet ein Hämatom in der Wand zumeist der A. carotis interna oder der A. vertebralis. Sie ist eine der Hauptursachen für ischämische Schlaganfälle bei jungen Erwachsenen (1). Das mittlere Alter bei Auftreten einer Dissektion wird mit 44 Jahren angegeben (e1), Männer sind mit 53–57 % etwas häufiger betroffen als Frauen (e2). Die jährliche Inzidenz der Erkrankung wird mit 2,5–3 pro 100 000 Personen für die Arteria carotis interna sowie 1–1,5 pro 100 000 Personen für die Arteria vertebralis angegeben (2). Wahrscheinlich wird die Häufigkeit aber unterschätzt, weil Dissektionen ohne Schlaganfall unerkannt bleiben können (3, 4). Da ein Schlaganfall meist nicht als frühes Symptom der Dissektion, sondern erst mit Verzögerung auftritt (5), könnte die genaue Kenntnis des Krankheitsbildes, seiner klinischen Symptome und Auslöser dazu beitragen, dass Dissektionen frühzeitig erkannt und behandelt werden.
Methode
Im Januar 2022 erfolgte eine selektive Literaturrecherche in PubMed für die Suchbegriffe „dissection“ in Verbindung mit „carotid“, „vertebral“ oder „cervical artery“ im Titel von Original- und Übersichtsarbeiten.
Pathologische Anatomie
Die spontane Dissektion der Arteria carotis interna oder Arteria vertebralis, die auch die Dissektion nach einer Bagatellverletzung einschließt, ist charakterisiert durch ein Wandhämatom, das primär ohne Einriss der Intima entsteht (6). Ursache ist wahrscheinlich die Ruptur von Vasa vasorum (7). Das Hämatom wirkt raumfordernd, es führt gleichzeitig zu einer Gefäßerweiterung nach außen und zu einer Lumeneinengung nach innen (Grafik 1a). Es kann sich in der Gefäßwand nach proximal und distal ausbreiten. Das intramurale Hämatom kann lumenwärts durchbrechen und sekundär zu einem Einriss der Intima führen (7). Dadurch entsteht eine Intimalefze, kurzstreckig können sich auch zwei Lumen ausbilden (8).
Dissektionsbefunde haben eine erhebliche Dynamik im Verlauf. Das Gefäßwandhämatom bildet sich in den meisten Fällen innerhalb von einigen Wochen oder Monaten zumindest teilweise zurück (9). Damit verbunden ist die Rekanalisation von Stenosen. Im Frühstadium kann das Hämatom auch zunehmen, insbesondere unter Behandlung mit Antikoagulanzien (9).
Von der spontanen Dissektion abzugrenzen sind zwei weitere Krankheitsbilder mit Dissektion der Halsarterien, die im Folgenden nicht berücksichtigt werden, da sich die pathologische Anatomie und klinische Symptomatik dieser Dissektionen grundlegend von den Befunden der spontanen Dissektion unterscheiden:
- Aortendissektion mit Ausbreitung in supraaortale Gefäße: Hier sehen wir in Halsarterien, besonders häufig in der Arteria carotis communis, die von der Aortendissektion bekannten Befunde (Grafik 1b). Typisch ist ein langstreckig doppeltes Lumen, wobei das falsche Lumen rostral blind oder mit einer Reentry-Verbindung endet (10).
- Traumatische Dissektion nach stumpfer oder penetrierender Gefäßverletzung, auch iatrogen bei einer Fehlpunktion der Halsvenen: Hier ist die Arteria carotis communis ebenfalls am häufigsten betroffen. Die pathologische Anatomie ist vielgestaltig, das Trauma kann Intimarupturen und Wandhämatome, Gefäßstenosen und Pseudoaneurysmen sowie AV-Fisteln verursachen (11).
Klinische Symptome
Grafik 1a veranschaulicht drei Arten von Symptomen, die durch die Dissektion entstehen:
- Symptome der Gefäßwand: Die Aktivierung von Nozizeptoren in der Gefäßwand führt ipsilateral zu Kopf- und/oder Gesichtsschmerzen. Typisch sind Kopfschmerzen in der Schläfenregion in 46 % und in der Stirn in 19 % der Fälle bei einer Dissektion der Arteria carotis interna (12) sowie Nacken-Hinterkopfschmerzen in 80 % bei einer Dissektion der Arteria vertebralis (12). In nur etwa 10 % der Fälle kommen allein extrakranielle Schmerzen vor (3). Die Schmerzen beginnen plötzlich (13), sind sofort sehr stark ausgeprägt und den Betroffenen aus der Vorgeschichte nicht bekannt (12).
- Gefäßerweiterung nach außen: Das Wandhämatom wirkt lokal raumfordernd und kann an der Arteria carotis interna Sympathikusfasern schädigen, die außen auf der Gefäßwand verlaufen (mit der Klinik eines Horner-Syndroms), oder kaudale Hirnnerven komprimieren (14). Bei einer Dissektion der Arteria vertebralis können zervikale Nervenwurzeln geschädigt werden (15).
- Gefäßstenose: Das Wandhämatom drückt auch nach innen, komprimiert das Gefäßlumen und führt abhängig vom Ausmaß des Hämatoms zu einer Stenosierung, die insbesondere im Frühstadium sehr hochgradig sein kann (16). Ausgehend von intraluminalen Thromben, die sich an der Stenose entwickeln, können zerebrale Ischämien durch eine arterioarterielle Embolie entstehen (17). Dies ist die Begründung für den Einsatz gerinnungshemmender Mittel zur Primär- und Sekundärprävention (18), siehe Kasten „Therapie“. Seltener treten bei unzureichenden Kollateralen auch hämodynamisch bedingte Ischämien auf. Ein weiteres mögliches Symptom der Stenose ist ein einseitiges pulssynchrones Ohrgeräusch bei etwa 25 % der Patientinnen und Patienten mit einer Dissektion der Arteria carotis interna (3). Das Geräusch entsteht durch Strömungsstörungen unmittelbar distal der Stenose, die nahe dem Innenohr lokalisiert ist.
Die verschiedenen Symptome der Dissektion treten nicht gleichzeitig auf. Der Kopfschmerz ist das früheste Symptom, das mit der Entwicklung des Wandhämatoms entsteht (5, 12). Ein Schlaganfall durch eine arterioarterielle Embolie entsteht aber erst mit einer Verzögerung von Stunden bis Tagen (3), je nachdem wie lange der intraluminale Thrombus braucht, um sich zu bilden. Für Arteria-carotis-interna-Dissektionen wird die mittlere Dauer bis zum Auftreten zerebraler Symptome mit 8,8 Tagen (Median 96 Stunden) angegeben (5). So besteht die Möglichkeit, eine Dissektion frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, ehe eine zerebrale Ischämie eintritt (3).
Wichtig für die Analyse der klinischen Symptome ist, dass Dissektionen in etwa 15 % der Fälle gleichzeitig an mehreren hirnversorgenden Arterien auftreten: bilateral an der Arteria vertebralis oder Arteria carotis interna oder gleichzeitig an der Arteria carotis interna und Arteria vertebralis (19).
Typische Befundkonstellationen
Verdächtig auf das Vorliegen einer Dissektion der Arteria carotis interna sind akute Schläfenkopfschmerzen oder andere einseitige Kopf- und/oder Gesichtsschmerzen, verbunden mit einem der folgenden Symptome und Befunde:
- Horner-Syndrom, ipsilateral: Zusammen mit einer zerebralen oder okulären transitorisch-ischämischen Attacke (TIA) ipsilateral liegt eine typische Symptomtrias vor, die unter Einschluss aller, auch bleibender Ischämien, in einem Drittel der Fälle vorkommt (3). Bei einer TIA bestehen Kopfschmerz und Horner-Syndrom nach Rückbildung der Ischämiesymptome fort.
- pulssynchrones Ohrgeräusch, ipsilateral (13): Das pulssynchrone Ohrgeräusch muss oft erfragt werden, es wird von betroffenen Patienten nicht immer spontan angegeben.
- kaudale Hirnnervenstörung, ipsilateral: Hypoglossusparese mit Abweichen der herausgestreckten Zunge zur gelähmten Seite; Vagusparese mit ipsilateral herabhängendem Gaumensegel und Schluckstörung oder Glossopharyngeusparese mit Schluckstörung (3).
Für die Häufigkeit der meisten Symptome und Befundkonstellationen existieren keine Daten in der Literatur.
Bei Dissektionen der Arteria vertebralis sind Befunde durch die Raumforderung nach außen relativ selten, sodass einseitige Schmerzen in Nacken und Hinterkopf initial meist das einzige Symptom sind, es können aber Läsionen zervikaler Nervenwurzeln auftreten (3). Bei der Differenzierung gegenüber zervikogenen Schmerzen ist wichtig, dass die Schmerzen bei einer Dissektion plötzlich beginnen (13), sofort sehr stark ausgeprägt und aus der Vorgeschichte nicht bekannt sind (12). Ein Hinweis auf die Dissektion kann auch der Beginn der Schmerzen in zeitlichem Zusammenhang mit einer ruckartigen Kopfbewegung sein (3).
Lokalisation der Dissektion
Den typischen Lokalisationen ist gemeinsam, dass die Gefäße aus einem mobilen in einen knöchern fixierten Abschnitt übergehen und hier mechanisch besonders beansprucht sind. Für die Arteria carotis interna ist das der Abschnitt vor dem Eintritt in das Felsenbein (Grafik 2a).
Die Dissektion kann sich langstreckig vom Felsenbein nach kaudal bis einige Zentimeter oberhalb der extrakraniellen Bifurkation ausbreiten (14). An der Arteria vertebralis ist besonders der V3-Abschnitt ober- und unterhalb des ersten Halswirbels (C1) betroffen (Grafik 2b). Dissektionen entstehen auch vor Eintritt in die Wirbelsäule bei C6, zwischen C6 und C2 sowie am Durchtritt durch die Dura im Foramen magnum (6). Die Dissektion kann sich vom V3-Abschnitt nach intrakraniell bis in die Arteria basilaris fortsetzen (6) und auch extrakraniell langstreckig ausbreiten (3, 6). Selten können andere intrakranielle Gefäße betroffen sein (e3, 6).
Technische Untersuchungen
Die Diagnosestellung erfolgt in zwei Schritten. Erster Schritt ist die klinische Verdachtsdiagnose. Für die definitive Diagnose sind im zweiten Schritt bildgebende Verfahren notwendig, die mit gezielter Fragestellung durchgeführt werden. Bei einer routinemäßigen Anwendung der Methoden wird eine Dissektion leicht übersehen. Eine internationale Expertengruppe hat folgende Befunde als typisches Erscheinungsbild einer Halsarteriendissektion definiert: Wandhämatom, Pseudoaneurysma, langgestreckte, sich zuspitzende Stenose, Intimalefze, Doppellumen, Verschluss mehr als 2 cm oberhalb der Karotisbifurkation mit Nachweis eines Pseudoaneurysmas (19). Jeweils eines dieser Kriterien ist ausreichend für die Diagnose. Für die Erkennung dieser Befunde stehen Duplexsonografie, Computertomografie (CT) und CT-Angiografie (CTA), Magnetresonanztomografie (MRT) und Magnetresonanzangiografie (MRA) sowie digitale Subtraktionsangiografie (DSA) zur Verfügung. Bei allen Verfahren kommen aber falsch-negative Befunde vor (3).
Ultraschall
Die Duplexsonografie eignet sich besonders gut, um Dissektionen der Arteria vertebralis nachzuweisen, da sich das Gefäß vom Anfangsabschnitt bis zur Einmündung in die Arteria basilaris darstellen lässt (20), jeweils mit kurzen Unterbrechungen beim Verlauf durch knöcherne Strukturen (Abbildung a,b). Besonders wichtig ist die Untersuchung ober- und unterhalb des ersten Halswirbels (20). Die Sensitivität der Duplexsonografie wird mit 92 % angegeben (21), wobei weniger erfahrene Untersucherinnen und Untersucher diese Ergebnisse wahrscheinlich nicht erreichen.
Die Arteria carotis interna ist unmittelbar unter der Schädelbasis mit Ultraschall nicht direkt darstellbar, deshalb können kurzstreckige, gering stenosierende Arteria-carotis-interna-Dissektionen dem sonografischen Nachweis entgehen. Für Arteria-carotis-interna-Dissektionen, die nur zu lokalen klinischen Symptomen geführt haben, wird die Sensitivität mit 69 % angegeben (22). Hochgradig stenosierende Dissektionen können aber über hämodynamische Kriterien erfasst werden, etwa den Seitenvergleich der Strompulskurven in der Arteria carotis communis oder den Nachweis von Kollateralen (23). Für Dissektionen der Arteria carotis interna, die zu Ischämien geführt haben, wird die Sensitivität der Duplexsonografie im Vergleich zu der Katheter-Angiografie mit 96 % angegeben, die Spezifität mit 94 % (23)
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Magnetresonanztomografie/Magnetresonanzangiografie
Standarduntersuchung ist die MRT ohne Kontrastmittel unter Einschluss fettsupprimierter T1-gewichteter Sequenzen in transversaler und koronarer Schnittführung (Abbildung c). Besonders empfehlenswert sind 3D-Sequenzen, die zusätzlich das Protonensignal des Blutflusses unterdrücken („black-blood“-Sequenzen). Charakteristischer Befund bei einer Dissektion ist eine exzentrische Signalanhebung in der Gefäßwand in den fettsupprimierten T1-Sequenzen als Korrelat des Wandhämatoms. Diese Signalanhebung entsteht durch die Bildung von Methämoglobin im Hämatom, das Signal fehlt aber oft in den ersten 72 Stunden nach Eintritt der Dissektion (24). Die Signalintensität des Wandhämatoms verändert sich im Zeitverlauf: Eine Multisequenz-MRT kann helfen, das Alter einer arteriellen Dissektion zu bestimmen (25). Abhängig vom Ausmaß des Hämatoms zeigt sich in der MRA eine Lumeneinengung bis hin zum vollständigen Gefäßverschluss (Abbildung d). Die kontrastmittelgestützte MRA, die stets nach den nativen Sequenzen durchgeführt wird, liefert hochwertige Bilder der gesamten Gefäßstrecke der extra- und intrakraniellen Arterien, auch in der Nähe von Metallartefakten (26).
Computertomografie/Computertomografie-Angiografie
Die CT mit CTA und 3D-Rekonstruktion erlaubt die Beurteilung einer Dissektion mit Darstellung der Gefäßwand und des Gefäßlumens. Vorteilhaft sind eine hohe räumliche Auflösung, die sehr schnelle Befunderhebung und ihre breite Verfügbarkeit. Nachteilig ist die Strahlenbelastung, die für die meist jüngeren Patienten mit Dissektion durchaus relevant ist. Häufige Befunde bei einer Dissektion sind ein unregelmäßig stenosiertes Lumen und der Nachweis eines intramuralen Hämatoms, das sich als Verdickung der Gefäßwand mit halbmondförmiger Hyperdensität darstellt. Die höhere räumliche Auflösung der CT/CTA erlaubt häufiger als bei der MRT/MRA den Nachweis von Intimalefzen oder intraluminalen, wandständigen Thromben (27). Schwierigkeiten ergeben sich beim Eintritt der Gefäße in die Schädelbasis. Die Befunde bei Wandverdickung sind weniger spezifisch, die Differenzierung von Wandhämatom und Vaskulitis oder Atherosklerose kann schwierig sein, mit MRT stellt sich das Wandhämatom verlässlicher dar (28, 24).
Digitale Subtraktionsangiografie
Die DSA war lange Zeit Goldstandard für die Diagnose Dissektion, denn sie erlaubt die beste Darstellung des Gefäßlumens und seiner pathologischen Veränderungen. Die Abbildung der Arterienwand mit den neueren Bildgebungstechniken hat aber gezeigt, dass die DSA in bis zu 17 % der Fälle falsch-negativ sein kann (3). Die breite Verfügbarkeit der nichtinvasiven Bildgebung und die Risiken der invasiven Methode schränken die Indikation der DSA zusätzlich ein (3). Eine Indikation ergibt sich bei einer Notfall-Thrombektomie, wenn die Dissektion zu einer Embolie in proximale Hirnarterien geführt hat.
Alle vier beschriebenen technischen Untersuchungen sind demnach dazu geeignet, Dissektionen der Halsarterien nachzuweisen. Für alle gilt jedoch, dass die Sensitivität nicht so hoch ist, dass Dissektionen immer sicher ausgeschlossen werden können. Die American Heart Association und die American Stroke Association folgen in ihrer gemeinsamen Stellungnahme zur Diagnostik von Dissektionen der Halsarterien ausdrücklich nicht einer früheren Empfehlung der European Federation of Neurological Societies, die MRT/MRA als erstes bildgebendes Verfahren bei Dissektion betrachtet (29), sondern sehen keine der bildgebenden Methoden als Goldstandard an (3). Die verschiedenen Modalitäten ergänzen sich und sollten komplementär eingesetzt werden. Die deutsche Leitlinie empfiehlt sogar, immer zwei Verfahren kombiniert zur Diagnostik einzusetzen: MRT/MRA oder CT/CTA plus Ultraschall (30). Wichtige Differenzialdiagnosen der Dissektion sind in der Tabelle aufgelistet.
Bei der Gefäßdiagnostik sollte auch geprüft werden, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine fibromuskuläre Dysplasie an der Arteria carotis interna oder der Arteria vertebralis vorliegt (31), da diese Bindegewebserkrankung das Rezidivrisiko erhöht.
Ätiologie
Dissektionen treten häufig in Zusammenhang mit einer ruckartigen Bewegung der Halswirbelsäule auf, etwa beim Tennisaufschlag, Golfschlag oder Volleyballspiel mit plötzlicher Streckung des Kopfes (6). Da betroffene Patienten diese Bewegung schon oft ohne gesundheitliche Folgen ausgeführt haben, bei dem aktuellen Ereignis aber gleich mehrere Gefäße durch die Dissektion betroffen sein können (19), gehen aktuelle pathogenetische Konzepte von einer prädisponierenden, möglicherweise temporären Arterienwandschwäche aus (14). So könnte beispielsweise ein Virusinfekt, der die Arterien mit betrifft, die Empfindlichkeit gegenüber einer mechanischen Einwirkung vorübergehend erhöhen (32). Zwei ältere Studien haben einen Zusammenhang zwischen einem kürzlich erlittenen Infekt und einer Dissektion festgestellt (33, e4).
Eine Bindegewebserkrankung kann ebenfalls ein prädisponierender Faktor sein (6, 34): In Dissektionsregistern findet sich eine fibromuskuläre Dysplasie in 5,6 % der Fälle (19), beim Ehlers-Danlos-Syndrom kommen Halsarterien-Dissektionen in 1,9 % der Fälle vor (e5).
Obwohl mehrere Berichte über Dissektionen nach einer zervikalen Manipulationstherapie vorliegen (e6), konnte ein kausaler Zusammenhang bisher nicht bestätigt werden, und nur bei einem sehr kleinen Teil der mit Manualtherapie behandelten Patienten trat überhaupt eine Dissektion auf (3). Die seltenen Fälle einer Dissektion nach einer Manualtherapie könnten vielleicht mit einer temporären Vulnerabilität durch eine biomechanische Einwirkung erklärt werden. Kürzlich konnte die Hypothese, dass eine Dissektion in Einzelfällen möglicherweise schon vor der Manualtherapie unerkannt vorlag und durch die Behandlung verschlechtert wurde (e7), an einem gut dokumentierten Fall bestätigt werden (4).
Inzwischen sind zahlreiche weitere Risikofaktoren für die Dissektion bekannt geworden, wie arterielle Hypertonie, Migräne, Gefäßschleifen und Knickbildungen (14, 3). Die Bedeutung dieser häufigen Erkrankungen oder Befunde für den Pathomechanismus der Dissektion ist bisher nicht sicher geklärt. Überhaupt gibt es noch viele Unklarheiten im Verständnis von Ätiologie und Pathogenese der Dissektion (14).
Verlauf und Prognose
Das Wandhämatom und die Stenosen bilden sich im Verlauf der meisten Fälle zurück. Auch hochgradig stenosierte oder verschlossene Arterien rekanalisieren vollständig oder teilweise innerhalb von sechs Monaten in 60–67 % der Fälle, in den folgenden sechs Monaten in weiteren 6,8 % der Fälle (e8).
Das Rezidivrisiko der Dissektion ist nach der Postakutphase sehr gering (30). Es beträgt schon ab dem 4. Monat nur noch 3–6 % (e9), langfristig wird eine Rezidivrate von 0–1 % pro Jahr angegeben (e1, e10).
Patienten mit Dissektion sollten sich in den ersten Monaten körperlich schonen. Frühestens nach drei Monaten können sie mit Ausdauersport und nach 6–12 Monaten mit anderen Sportarten beginnen. Ruckartige Kopfbewegungen sind dabei zu vermeiden. Ein internationales Expertengremium hat ausführlichere Empfehlungen in dem Konsensuspapier „Cervical Artery Dissection and Sports“ zusammengestellt (35).
Resümee
Die Dissektion kann auch bei gefäßgesunden Menschen einen Schlaganfall verursachen. Die Kenntnis des Krankheitsbildes und seiner klinischen Symptome, von denen einige dem Schlaganfall vorausgehen, kann zur Schlaganfallprävention beitragen.
Interessenkonflikt
Die Autorin und die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 04.02.2022, revidierte Fassung angenommen: 17.05.2022
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Christian Arning
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
Moorhof 2d, 22399 Hamburg
neuro@dr-arning.de
Zitierweise
Arning C, Hanke-Arning K, Eckert B: The clinical features of dissection of the cervical brain-supplying arteries. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 581–7. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0238
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
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Zusatzmaterial
eLiteratur:
www.aerzteblatt.de/m2022.0238 oder über QR-Code
cme plus
Dieser Beitrag wurde von der Nordrheinischen Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung zertifiziert. Die Fragen zu diesem Beitrag finden Sie unter http://daebl.de/RY95. Einsendeschluss ist der 4. 9. 2023.
Die Teilnahme ist möglich unter cme.aerztebatt.de
Institut für Radiologie und Neuroradiologie, Asklepios Klinik, Altona, Hamburg: Prof. Dr. med. Bernd Eckert
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Schmidtke, Joerg; von Kodolitsch, Yskert
Arning, Christian