MEDIZIN: Originalarbeit
Phytotherapie bei Erwachsenen mit rezidivierenden, unkomplizierten Zystitiden
Eine systematische Übersichtsarbeit
Phytotherapy in adults with recurrent uncomplicated cystitis—a systematic review
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Hintergrund: Unkomplizierte Harnwegsinfektionen zählen zu den häufigsten bakteriellen Infektionen. Aufgrund zunehmender Antibiotikaresistenzen wächst das Interesse an alternativen, nichtantimikrobiellen Behandlungsmöglichkeiten. Diese systematische Übersichtsarbeit bündelt die aktuelle Evidenz von Phytotherapeutika bei Therapie und Prävention rezidivierender unkomplizierter Zystitiden.
Methode: Eine systematische Literaturrecherche wurde für den zeitraum Januar 2011 bis August 2021 in den Datenbanken MEDLINE, Embase, Cochrane Library und zwei Registern für klinische Studien durchgeführt. Inkludiert wurden randomisierte kontrollierte Studien (RCTs), in denen Phytotherapeutika in Mono- oder Kombinationstherapie mit Placebo, keiner Behandlung, nichtpharmakologischer Behandlung oder pharmakologischen Arzneimitteln (ohne Phytotherapeutika-Komponenten) verglichen wurden. Zwei Personen wählten unabhängig voneinander die Publikationen aus, extrahierten Daten und bewerteten das Biasrisiko mit dem Cochrane „risk of bias“-Tool.
Ergebnisse: Zwölf RCTs mit insgesamt 1 797 Patientinnen wurden eingeschlossen. Eine Studie zur Akuttherapie durch chinesische Kräutermedizin zeigte eine Nichtunterlegenheit im Vergleich zur Behandlung mit Antibiotika. In sechs Studien wurden die Prophylaxe mit Cranberryprodukten untersucht und heterogene Ergebnisse bezüglich der Wirksamkeit gegen rezidivierende Harnwegsinfekte gefunden. Eine Präventionsstudie zu Seidlitzia rosmarinus verzeichnete eine geringere Zystitisrate im Vergleich zu Placebo (nach sechs Monaten: 33 % vs. 73 %, p < 0,001). Mit Ausnahme von einer Arbeit wurde bei allen Studien ein unklares oder hohes Biasrisiko festgestellt. Zu unerwünschten Ereignissen liegen keine standardisierten Erfassungen vor.
Schlussfolgerung: Phytotherapeutika stellen eine Therapie- und Präventionsoption bei rezidivierenden Zystitiden der Frau dar. Da die Studienlage zur Phytotherapie sehr heterogen ist, können diesbezüglich derzeit keine verlässlichen klinischen Handlungsempfehlungen für diese Patientinnengruppe gegeben werden.


Weltweit treten jährlich geschätzt 150 Millionen Harnwegsinfektionen auf (1). Circa 40 % aller Frauen haben mindestens einen Harnwegsinfekt in ihrem Leben (2). Die Infektionen werden in unkomplizierte und komplizierte Formen unterteilt, um Infektionen mit gutartigem, selbst limitierendem Verlauf von solchen mit einer höheren Rezidiv- oder Progressionswahrscheinlichkeit differenzieren zu können (3). Definitionsgemäß werden Harnwegsinfektionen als unkompliziert eingestuft, wenn im Harntrakt keine relevanten funktionellen oder anatomischen Anomalien vorliegen, keine relevanten Nierenfunktionsstörungen und keine relevanten Vor- beziehungsweise Begleiterkrankungen, die eine Harnwegsinfektion beziehungsweise gravierende Komplikationen begünstigen (4). Unkomplizierte Harnwegsinfektionen können isoliert beziehungsweise sporadisch oder rezidivierend auftreten. Eine rezidivierende Harnwegsinfektion wird angenommen, wenn eine Rezidivrate von zwei oder mehr symptomatischen Episoden innerhalb von sechs Monaten beziehungsweise drei oder mehr symptomatische Episoden innerhalb von zwölf Monaten vorliegen (4). Das Rezidivrisiko bei Frauen beträgt 30–50 % pro Jahr für eine Zystitis und 9 % pro Jahr für eine Pyelonephritis. Besonders betroffen sind sexuell aktive und postmenopausale Frauen (5).
Aufgrund global steigender Antibiotikaresistenzen, die zu erheblichen Herausforderungen und Kosten im Gesundheitssystem (6) und zu Schädigungen des Mikrobioms führen, wächst das öffentliche Interesse an alternativen, nichtantimikrobiellen Therapieoptionen und Präventionsmaßnahmen (7, 8). Gegenwärtig stehen viele nichtantibiotische Alternativen zur Verfügung (9, 10):
- Verhaltensmodifikation
- Nahrungsergänzungsmittel
- nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente
- Probiotika
- D-Mannose
- Methenaminhippurat
- Östrogene
- intravesikale Glykosaminoglykane
- Immunstimulanzien
- Hyaluronsäure
- Akupunktur
- pflanzliche Arzneimittel.
Pflanzliche Arzneimittel – auch Phytotherapeutika genannt – werden bei rezidivierenden unkomplizierten Zystitiden bereits eingesetzt, jedoch zeigen sich in der Literatur teils widersprüchliche Resultate (11, 12), die es erschweren, evidenzbasierte Empfehlungen für die klinische Praxis zu geben.
In der vorliegenden Übersichtsarbeit soll die aktuelle Evidenz von Phytotherapeutika bei der Therapie und Prävention rezidivierender unkomplizierter Zystitiden bei Erwachsenen gebündelt werden.
Methode
Forschungsfrage und Einschlusskriterien
Die Forschungsfrage wurde mittels einer detaillierten a priori-Spezifikation der Studienpopulation, der Vergleichsarme sowie der betrachteten Endpunkte operationalisiert. Die Ein- und Ausschlusskriterien sind der Tabelle 1 zu entnehmen. Diese systematische Übersichtsarbeit wurde in der PROSPERO-Datenbank registriert (Registrierungsnummer CRD42021236008).
Endpunkte
Die folgenden patientenrelevanten primären Endpunkte wurden definiert:
- Heilung oder Symptomlinderung
- unerwünschte Ereignisse
- rezidivierende Zystitiden im Nachbeobachtungszeitraum
- gesundheitsbezogene Lebensqualität.
Als weitere Endpunkte wurden Einschränkungen im täglichen Leben, die Symptomdauer, der Einsatz von Antibiotika in der Interventionsgruppe und die Patientenzufriedenheit mit der Behandlung berücksichtigt.
Suchstrategie
Eine systematische Literaturrecherche wurde in den Datenbanken MEDLINE, Embase sowie der Cochrane Library für den Zeitraum Januar 2011 bis August 2021 durchgeführt und durch eine Handsuche ergänzt. Zusätzlich wurde nach unveröffentlichten Daten und laufenden Studien in Registern für klinische Studien
(clinicaltrials.gov; International Clinical Trials Registry Platform der World Health Organization: www.who.int/ictrp) gesucht. Detaillierte Informationen zur Suchstrategie sind dem eMethodenteil zu entnehmen.
Literaturscreening
Das Screening der Titel, Abstracts und Volltexte der identifizierten Publikationen erfolgte durch zwei Autorinnen unabhängig voneinander (JL, UK). Diskrepante Beurteilungen wurden mit einer dritten Person (SS) diskutiert. Gründe für den Ausschluss von Volltexten wurden für jede nicht aufgenommene Publikation dokumentiert (eGrafik).
Datenextraktion
Die Daten der einbezogenen Studien wurden in eine a priori erstellte Extraktionstabelle mit den Kategorien Studien- und Patientencharakteristika, Behandlungsgruppen und Endpunkte übertragen. Die Datenextraktion wurde von einem Autor (UK) durchgeführt und einem weiteren überprüft (JL). Abweichungen wurden mit einem dritten Autor (SS) diskutiert. Im Fall unvollständiger Daten wurden die Autoren der entsprechenden Publikation kontaktiert und um Bereitstellung zusätzlicher Informationen gebeten.
Qualitätsbewertung
Zwei Autorinnen (JL, UK) bewerteten unabhängig voneinander das Biasrisiko mit dem entsprechenden Cochrane “risk of bias“-Tool (13). Unstimmigkeiten wurden durch die Einbeziehung eines dritten Autors (SS) gelöst.
Ergebnisse
Studienauswahl
Insgesamt wurden 1 421 Referenzen durch Datenbankrecherchen ermittelt. Zwölf RCTs mit 1 797 Patienten erfüllten die Einschlusskriterien (eGrafik). Keine Studie inkludierte Männer oder Schwangere. Chinesische Kräutermedizin wurden in einer (14), Cranberryprodukte in sechs (15, 16, 17, 18, 19, 20), Seidlitzia rosmarinus in einer (21) und Kombinationspräparate in vier Studien untersucht (22, 23, 24, 25). Phytotherapeutika wurden in zwei Arbeiten zur Therapie einer akuten Episode rezidivierender Zystitiden (14, 23) und in zehn Studien zur Prävention (15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 24, 25) rezidivierender unkomplizierter Blasenentzündungen eingesetzt. Die Endpunkte Patientenzufriedenheit und Einschränkungen im täglichen Leben wurden in keiner eingeschlossenen Studie berücksichtigt. Die extrahierten Studiendaten finden sich in Tabelle 2 beziehungsweise Tabelle 3. Detailliertere Informationen zu den inkludierten Studien sind dem Supplement zu entnehmen: eTabelle 1 zeigt die in den Studienregistern identifizierten, relevanten Studien.
Biasrisiko
Eine Studie wurde in allen Domänen mit einem geringen Biasrisiko bewertet (21). Alle anderen Studien zeigten hohe oder unklare Biasrisiken (Tabelle 4). Zwei Studien verzichteten auf eine Verblindung der Studienteilnehmerinnen (23, 25). Bei drei Studien wurde ein hohes Risiko durch fehlende Daten bei der Endpunkterhebung festgestellt. Gründe hierfür waren eine hohe Studienabbrecherquote (15), die zusammenfassende Präsentation von unterschiedlichen Dosisdaten (18) sowie der nachträgliche Ausschluss von Studienteilnehmerinnen während der Analyse (19). Eine Studie wurde mit einem hohen Biasrisiko für selektive Endpunktberichtung bewertet, da anhand einer 5-Punkte-Skala Symptomverbesserungen erhoben wurden, jedoch unklar bleibt, wie diese Punkte in die gruppierte prozentuale Symptomverbesserung einflossen (14). Sieben Studien wurden mit einem hohen Biasrisiko für andere Faktoren bewertet, da Harnwegsinfekte und rezidivierende Harnwegsinfekte nur teilweise (16, 17, 22, 24) oder gar nicht (19, 23) definiert oder die Dosierung der phytotherapeutischen Inhaltsstoffe nicht angegeben waren (25).
Studien zur Therapie
Es wurden zwei therapeutische Studien, in denen jeweils Phytotherapeutika mit Antibiotika verglichen wurden, gefunden. Liu et al. betrachteten insgesamt 122 Frauen mit einer akuten Episode rezidivierender Zystitiden, die chinesische Kräutermedizin (Mischung aus neun phytotherapeutischen und einer mineralischen Komponente) und Antibiotika-Placebo (n = 61) oder Antibiotika (Levofloxacin 200 mg zweimal täglich, Amoxicillin/Clavulansäure 500 mg dreimal täglich oder ein anderes testgerechtes Antibiotikum) und Placebo der chinesischen Kräutermedizin (n = 61) erhielten (14). Cai et al. [23] verglichen ein pflanzliches Kombinationspräparat (400 mg L-Methionin, 100 mg Hibiskus sabdariffa, 100 mg Boswellia serrata) mit einer Kurzzeitantibiotikatherapie gemäß der EAU-Leitlinie (23, 26) bei 93 Frauen, die an einer akuten Episode rezidivierender Zystitiden erkrankt waren. Liu et al. stellten in ihrer Nichtunterlegenheitsstudie keine Unterlegenheit der chinesischen Kräutermedizin gegenüber Antibiotika fest (14). Auch die Studie von Cai et al. zeigte vergleichbare Ergebnisse bezüglich der klinischen Verbesserung. Nach 90 Tagen wurde jedoch ein statistisch signifikanter Unterschied bei der Lebensqualität zugunsten einer Antibiotikabehandlung festgestellt (23) (Tabelle 2).
Studien zur Prävention
Zehn Studien zur Prävention wurden identifiziert (Tabelle 3). In fünf Studien wurden Cranberryprodukte mit Placebo zur Prävention von rezidivierenden Zystitiden verglichen (16, 17, 18, 19, 20). In zwei dieser Studien konnte ein signifikanter Effekt auf die Reduktion der Rezidivrate festgestellt werden (16, 20), während in zwei anderen Studien keine signifikanten Effekte nachgewiesen wurden (18, 19). Takahashi et al. konnten lediglich in einer Untergruppe der Frauen im Alter von ≥ 50 Jahren einen signifikanten Unterschied in Bezug auf die Rezidivrate belegen (Cranberry: 49 %, Placebo: 29 %; p = 0,04) (19). Eine Studie lieferte keine Daten zur Rezidivrate beider Vergleichsarme (17), sodass hier keine Aussage getroffen werden kann. Eine niederländische Studie rekrutierte zwischen 2005 und 2007 insgesamt 221 gesunde prämenopausale Frauen mit einer Vorgeschichte von rezidivierenden Zystitiden, um die Wirksamkeit von Antibiotika (480 mg Trimethoprim-Sulfamethoxazol [TMP-SMX] einmal täglich) versus Cranberrykapseln (500 mg zweimal täglich) zu vergleichen (15). Beerepoot et al. stellten fest, dass Antibiotika bei der Vorbeugung von rezidivierenden Zystitiden im Nachbeobachtungszeitpunkt von zwölf Monaten (1,8; 95-%-Konfidenzintervall [KI]: [0,8; 2,7] versus 4,0; [2,3; 5,6]; p = 0,02) signifikant wirksamer sind als das Cranberryprodukt. Während des Interventionszeitraums betrug die mediane Anzahl (Interquartilsbereich) der Antibiotikaverordnungen 0,5 (0, 1, 2) in der TMP-SMX- und 1 (0, 1, 2) in der Cranberrygruppe (15). TMP-SMX verursachte bei einer Patientin ein schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis (Stevens-Johnson-Syndrom), das zum Behandlungsabbruch führte (15). Drei Studien verglichen pflanzliche Kombinationspräparate mit Placebo beziehungsweise keiner Behandlung zur Vorbeugung rezidivierender Zystitiden bei Frauen (22, 24, 25). Bruyère et al. behandelten zwischen 2013 und 2015 in Frankreich 42 unter rezidivierenden Zystitiden leidende Frauen mit einem Kombinationspräparat aus 400 mg Propolis, 600 mg Cranberryextrakt sowie 5 mg Zink und 43 Frauen mit Placebo. Die Rezidivrate während der gesamten sechsmonatigen Nachbeobachtungszeit war in der phytotherapeutischen Gruppe niedriger (2,3 ± 1,8 versus 3,1 ± 1,8), erreichte jedoch keine statistische Signifikanz (p = 0,091). Bezüglich der Lebensqualität und Verträglichkeit zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in beiden Vergleichsgruppen (22). Eine Studie aus Indien verglich zwischen 2016 und 2018 ein Kombinationspräparat, das 18 mg Cranberryextrakt, 21 mg Probiotika sowie 160 μg Vitamin A enthielt, mit Placebo bei 90 prämenopausalen Frauen (45 Frauen je Gruppe) (24). In dieser Studie traten unter dem Kombinationspräparat signifikant weniger rezidivierende Zystitiden auf (9 % versus 33 %; p = 0,005) und die Dauer der akuten Zystitis war kürzer (5 versus 12 Tage; p = 0,009). Außerdem benötigten weniger Frauen Antibiotika (8 versus 27 %; p = 0,037) (24). Eine monozentrische Studie mit 55 prämenopausalen Frauen verglich ein Kombinationspräparat aus Cranberry, Lactobacillus paracasei LC11 und D-Mannose mit keiner Behandlung. Es wurden zwei Studiengruppen (Gruppe 1: einmal täglich für zehn Tage/Monat für 90 Tage, Gruppe 2: einmal täglich für 90 Tage) definiert und nach 150 Tagen ermittelt, wie viele rezidivierende Zystitiden auftraten. Ein signifikant höherer Anteil der in der Kontrollgruppe befindlichen Patientinnen entwickelte während des Studienzeitraums Zystitiden verglichen mit den beiden Behandlungsgruppen (Gruppe 1: 16 %, Gruppe 2: 15,6 %, Kontrollgruppe: 52,9 %; p < 0,01). Es gab keine Studienabbrecher (25).
Zwischen 2017 und 2018 wurde im Iran eine multizentrische Studie durchgeführt, in der Seidlitzia rosmarinus mit Placebo bei der Prävention rezidivierender Zystitiden verglichen wurde (21). Es zeigte sich eine signifikant geringere Inzidenz rezidivierender Zystitiden in der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe: 14 % (8/58) versus 66 % (39/59); Odds-Ratio: 0,08; 95-%-KI: [0,03; 0,20]; p < 0,001.
Unerwünschte Ereignisse
Alle phytotherapeutischen Wirkstoffe wiesen ein gutes Sicherheitsprofil auf. Vier Studien berichteten in der phytotherapeutischen Interventionsgruppe, dass keine unerwünschten Ereignisse aufgetreten waren (20, 21, 23, 25). Gelegentlich wurden schwerwiegende Ereignisse gemeldet, die als nicht mit der phytotherapeutischen Behandlung zusammenhängend oder unwahrscheinlich eingestuft wurden (16, 22). Sporadisch traten leichte unerwünschte Ereignisse auf, zum Beispiel Fieber und Schwäche (17, 19). Am häufigsten waren gastrointestinale Symptome (16, 17, 18, 19, 22, 24). Eine detaillierte Auflistung der in den Studien aufgetretenen unerwünschten Ereignisse ist den eTabellen 2 und 3 zu entnehmen.
Diskussion
Anhand dieser systematischen Übersichtsarbeit randomisierter kontrollierter Studien wird deutlich, dass die Studienlage bezüglich der phytotherapeutischen Behandlung und Prävention rezidivierender Zystitiden sehr heterogen ist. In der vorliegenden Übersichtsarbeit wurden nur Studien, die ausschließlich Patientinnen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten betrachteten, eingeschlossen. Jedoch zeigte sich, dass eine einheitliche Definition rezidivierender Zystitiden innerhalb der eingeschlossenen Studien nicht gegeben war. Diese schwankte zwischen einer oder mehr (18) bis vier oder mehr (22) Zystitiden pro Jahr. In drei Studien (17, 19, 22, 23) wurde gar keine Definition übermittelt. Weiterhin zeigte sich bei den Präventionsstudien, dass nicht nur gesunde Frauen mit rezidivierenden Zystitiden in der Anamnese, sondern auch Personen mit einer akuten Episode rezidivierender Zystitiden eingeschlossen wurden (17, 19). Dies erschwert die Abgrenzung des Präventionseffektes vom Therapieeffekt.
Die Aussagekraft der Therapiestudien bezüglich rezidivierender Harnwegsinfekte ist begrenzt. Die Akutbehandlung nichtrezidivierender und rezidivierender Harnwegsinfekte unterscheidet sich nach derzeitiger Meinung nicht. Beide Therapiestudien hatten eine kurze Nachbeobachtungszeit von sechs Monaten (14) beziehungsweise drei Monaten (23). Weiterhin gab eine Arbeit keine Definition von rezidivierenden Harnwegsinfekten an (23). Anhand dieser Publikationen lässt sich somit nicht feststellen, ob akute Episoden rezidivierender Harnwegsinfekte eine andere Therapiestrategie als nichtrezidivierende Harnwegsinfektionen benötigen und ob Phytotherapeutika in diesen Fällen geeignet sind. Studien zu nichtrezidivierenden Harnwegsinfekten zeigen, dass Phytotherapeutika anstelle von Antibiotika eine Therapieoption sein können (27, 28). Auch bei den Präventionsstudien war die Nachbeobachtungszeit nach der durchgeführten Therapie oft kurz – von drei Monaten (15) bis zu einer medianen Nachbeobachtungszeit von 168 Tagen (18) – oder beschränkte sich ausschließlich auf den Einnahmezeitraum (16, 17, 19, 20, 22, 24). Sechs der zehn identifizierten Präventionsstudien beinhalten auf Cranberry basierte Mono- oder Kombinationspräparate. Diese unterscheiden sich jedoch in ihrer Darreichungsform: Getränke (16, 18, 19), Kapseln (15, 17, 20, 24) oder Beutel (25). Die Inhaltsstoffe wurden dabei teilweise nur ungenügend quantifiziert (25) oder zeigten starke Schwankungen. Der Proanthocyanidin-Wert lag zwischen 1,4 mg pro Kapsel (20) und 40 mg pro Getränk (19). Aufgrund dieser starken Heterogenität konnte eine Metaanalyse für Cranberryprodukte nicht durchgeführt werden. Die Mehrheit der in diesem Review inkludierten Studien mit Cranberry basierten Mono- oder Kombinationspräparaten weist im Vergleich zu keiner Behandlung beziehungsweise Placebo auf einen positiven Effekt in Bezug auf die Rezidivrate hin (16, 20, 24, 25). Zwei Metaanalysen bestätigen diesen präventiven Effekt gegenüber Placebos oder keiner Behandlung für Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten (11, 29), wohingegen ein Cochrane Review aus dem Jahr 2012 diese Wirkung nicht feststellen konnte (12). Diese drei Metaanalysen weisen ebenfalls auf die starke Heterogenität der inkludierten Studien hin, weswegen die Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden müssen (11, 12, 29). Eine in einem systematischen Review diskutierte Option war, Cranberryprodukte als adjuvante Präventionsmaßnahme zu verwenden (29). Aktuellere Studien beziehen sich hauptsächlich auf Kombinationspräparate aus Cranberrys und Lactobazillen (24, 25). Diese Kombination zeigt ebenfalls einen präventiven Effekt auf die Rezidivrate (24, 25). Die alleinige Wirkung von Lactobazillen auf rezidivierende Zystitiden wurde bereits in zwei Metaanalysen überprüft, jedoch wurde keine klare Überlegenheit gegenüber Placebo oder Monotherapien mit Cranberry nachgewiesen (30, 31). Ob die präventive Wirkung Phytotherapeutika oder beispielsweise Lactobazillen zuzuschreiben ist, wurde in den Studien nicht untersucht. In der vorliegenden Übersichtsarbeit wurde ein Kombinationsprodukt (600 mg Cranberryextrakt, 400 mg Propolis, 5 mg Zink) ohne Lactobazillen betrachtet. Die Häufigkeit rezidivierender Zystitiden unterschied sich nicht gegenüber Placebo, aber die durchschnittliche Zeit bis zur ersten Zystitisepisode war in der Gruppe mit dem Kombinationsprodukt statistisch signifikant länger als in der Placebogruppe (69,9 ± 45,8 Tage versus 43,3 ± 45,9 Tage; p = 0,0258) (22).
Neben den Studien zu Cranberrys wurde eine Studie mit einem geringen Biasrisiko zu Seidlitzia rosmarinus identifiziert, in der die Zystitisinzidenz im Vergleich zu Placebo auch vier Monate nach der zweimonatigen Behandlung noch geringer war. Seidlitzia rosmarinus wurde bereits zuvor in einer Pilotstudie für Patienten mit benigner Prostatahyperplasie eingesetzt und konnte dort die urologischen Symptome ebenfalls signifikant verbessern (32).
Die vorliegende Übersichtsarbeit weist einige Limitationen auf. Alle inkludierten Studien bezogen sich ausschließlich auf Frauen mit rezidivierenden Zystitiden, sodass die Ergebnisse nicht auf Männer übertragen werden können. Der Suchzeitraum von zehn Jahren wurde gewählt, um aktuelle Entwicklungen wie den Einsatz von Kombinationspräparaten abbilden zu können. Weiterhin wurden nur RCTs in deutscher und englischer Sprache betrachtet. Es ist aber davon auszugehen, dass anhand dieser Einschlusskriterien die besten Wirkungsnachweise dargestellt werden können und die relevantesten Studien identifiziert wurden.
Fazit
Insgesamt zeigt diese systematische Übersichtsarbeit, dass Phytotherapeutika eine Behandlungs- und Präventionsoption mit wenigen unerwünschten Ereignissen bei rezidivierenden Zystitiden der Frau sind. Mono- oder Kombinationsprodukte mit Cranberrys hatten in einigen Studien einen positiven präventiven Effekt in Bezug auf die Rezidivrate. Aufgrund der großen Studienheterogenität ist derzeit keine ausreichende Evidenz vorhanden, um Aussagen über die Wirksamkeit von Phytotherapeutika bei Patienten mit rezidivierenden Zystitiden treffen zu können. Es sollten weitere, methodisch verbesserte Studien durchgeführt werden.
Interessenkonflikt
PD Dr. med. habil. Kranz erhielt Beraterhonorare und Honorare für Vortragstätigkeiten von Bionorica. Prof. Dr. med. Wagenlehner erhielt Reisekostenerstattung, Gelder für Vortragstätigkeiten, Beraterhonorare von Bionorica. Er ist Mitglied im Advisory Board von Bionorica.
Die übrigen Autorinnen und Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 21. 9. 2021, revidierte Fassung angenommen: 10. 1. 2022
Anschrift für die Verfasser
PD Dr. med. habil. Jennifer Kranz, FEBU, MHBA
Klinik und Poliklinik für Urologie, Uniklinik RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen
jkranz@ukaachen.de
Zitierweise
Kranz J, Lackner J, Künzel U, Wagenlehner F, Schmidt S: Phytotherapy in adults with recurrent uncomplicated cystitis—a systematic review. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 353–60. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0104
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial
eMethodenteil, eTabellen, eGrafik:
www.aerzteblatt.de/m2022.0104 oder über QR-Code
Klinik für Urologie, Uniklinik RWTH Aachen: PD Dr. med. habil. Jennifer Kranz
Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Halle (Saale): PD Dr. med. habil. Jennifer Kranz
UroEvidence@Deutsche Gesellschaft für Urologie, Berlin: PD Dr. med. habil. Jennifer Kranz, Stefanie Schmidt, PhD, MPH, Dr. P.H. Julia Lackner, Ulrike Künzel, M. Sc.
Klinik und Poliklinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Justus-Liebig-Universität Gießen: Prof. Dr. med. Florian Wagenlehner
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