Medizin
Statine, Kalziumantagonisten und Metformin könnten bei psychiatrischen Erkrankungen helfen
Donnerstag, 10. Januar 2019
London – 3 häufig zur Behandlung körperlicher Erkrankungen eingesetzte Wirkstoffgruppen könnten nach den Ergebnissen einer Kohortenstudie in JAMA Psychiatry (2019; doi: 10.1001/jamapsychiatry.2018.3907) auch bei Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen wirksam sein.
HMG-CoA-Reduktase-Hemmer (Statine), Kalziumantagonisten und Metformin gehören zu den am häufigsten eingesetzten Medikamenten. Ihre Wirkung als Lipidsenker, Hochdruckmedikament und Antidiabetikum ist unbestritten. Alle 3 Wirkstoffgruppen werden gelegentlich auch bei Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt. Metformin beispielsweise kann die Gewichtszunahme vermindern, zu der es unter der Behandlung mit bestimmten Antipsychotika kommt.
Alle 3 Wirkstoffe scheinen auch den Verlauf von schweren psychiatrischen Erkrankungen günstig zu beeinflussen. Sichere Belege aus randomisierten klinischen Studien gibt es allerdings nicht. Diese „Goldstandards“ in der Arzneimittelforschung werden vermutlich auf absehbare Zeit auch nicht durchgeführt. Ein internationales Forscherteam hat deshalb nach „indirekten“ Hinweisen auf eine Wirksamkeit gesucht. Dazu bietet sich die Analyse von Krankendaten aus Schweden an. Weil allen Einwohnern des Landes eine „Personnummer“ zugeordnet wird, sind registerübergreifende Analysen möglich.
Joseph Hayes vom University College London und Mitarbeiter konnten ermitteln, ob es bei Patienten, die an Schizophrenie, bipolaren Störungen oder nichtaffektiven Psychosen litten, seltener zu Komplikationen kommt, wenn diese mit einem der 3 Wirkstoffe behandelt wurden. Um Verzerrungen zu vermeiden, verglichen die Forscher verschiedene Lebensphasen der einzelnen Patienten. Für alle 3 Medikamentengruppen wurden Hinweise für günstige Auswirkungen auf den Verlauf der psychiatrischen Erkrankungen gefunden.
In den Zeiten, in denen Patienten mit bipolarer Störung mit einem Statin behandelt wurden, mussten sie seltener wegen Exazerbationen in psychiatrischen Kliniken behandelt werden (adjustierte Hazard Ratio aHR 0,86; 95-%-Konfidenzintervall 0,83-0,89). Das gleiche traf auf Patienten mit Schizophrenie (aHR 0,75; 0,71-0,79) und nichtaffektiven Psychosen zu (aHR 0,80; 0,75-0,85). Während der Behandlung mit Statinen kam es bei Patienten mit bipolaren Störungen seltener zu Selbstverletzungen (aHR 0,76; 0,66-0,86), ein Phänomen, das auch bei Schizophreniepatienten beobachtet wurde (aHR 0,58; 0,45-0,74).
Die Assoziationen sind letztlich kein Beweis, doch für eine Wirkung gäbe es pharmakologische Erklärungen. Statine haben laut Hayes eine antiinflammatorische Wirkung, und bei allen 3 psychiatrischen Erkrankungsgruppen werde eine Beteiligung von entzündlichen Reaktionen diskutiert. Statine könnten als Substrat von P-Glykoproteinen in der Leber auch den Abbau von Antipsychotika wie Quetiapin oder Risperidon verzögern, sprich deren Wirkung verstärken. Schließlich sollen Statine einzelne Rezeptoren im Gehirn beeinflussen, die an der Pathogenese der Erkrankung beteiligt sind.
Auch für Kalziumantagonisten wurden in den schwedischen Patientenregistern Hinweise auf günstige Wirkungen gefunden. Patienten mit bipolaren Störungen, die Kalziumantagonisten einnahmen, mussten seltener in psychiatrischen Kliniken behandelt werden (aHRs 0,92; 0,88-0,96), und es kam seltener zu Selbstverletzungen (aHRs 0,81; 0,68-0,95). Ähnliche Auswirkungen wurden für Patienten mit Schizophrenie (aHRs 0,80; 0,74-0,85 beziehungsweise 0,30; 0,18-0,48) und nichtaffektiven Psychosen gefunden (aHRs 0,89; 0,83-0,96 beziehungsweise 0,56; 0,42-0,74).
Wie diese Wirkung zustande kommen könnte, ist nicht ganz klar. Laut Hayes sind jedoch die Membrankanäle, die durch die Kalziumantagonisten blockiert werden, im Gehirn weit verbreitet.
Die Behandlung mit Metformin (oder anderen Biguaniden) hatte ebenfalls günstige Auswirkungen auf die 3 Erkrankungen. Ein Rückgang der stationären psychiatrischen Aufenthalte wurde für Patienten mit bipolaren Störungen (aHR 0,80; 0,77-0,84), Schizophrenie (aHR 0,73; 0,69-0,77) und nichtaffektiven Psychosen (aHR 0,85; 0,79-0,92) nachgewiesen. Zu weniger Selbstverletzungen kam es bei Patienten mit bipolaren Störungen (aHR 0,73; 0,62-0,84) und Schizophrenie (aHR 0,64 0,48-0,85).
Metformin könnte nach Einschätzung von Hayes wirksam sein, weil es die durch viele Antipsychotika bedingte Gewichtszunahme vermeidet und die bei vielen Patienten diabetogene Stoffwechsellage verbessert.
Die Ergebnisse der Studie dürften nicht ausreichen, um psychiatrische Indikationen für die Wirkstoffe zu etablieren. Es gibt aber nach Ansicht von Hayes schon heute gute Gründe für die Verordnung der Medikamente. So hätten praktisch alle männlichen Psychiatriepatienten im Alter von über 60 Jahren kardiovaskuläre Risiken, die den Einsatz von Statinen angezeigt erscheinen lassen. Viele Psychiater würden diesen körperlichen Risiken ihrer Patienten jedoch zu wenig Beachtung schenken. Dies könnte sich durch die Ergebnisse der Studie ändern, hofft Hayes. © rme/aerzteblatt.de
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