Politik
Psychotherapeuten wehren sich gegen vorgeschaltete Instanz vor Behandlung
Dienstag, 15. Januar 2019
Berlin – Ein Passus aus dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) war gestern Thema einer öffentlichen Anhörung im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Die Petition der Psychotherapeutin Ariadne Sartorius vom Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) richtete sich gegen die Vorgabe einer „gestuften und gesteuerten Versorgung im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung“ (Paragraf 92 Absatz 6a, Sozialgesetzbuch V) im TSVG, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) noch weiter ausgestalten soll. Die Petition unterstützten 217.000 Mitzeichner.
Nach Auffassung der Petentin und der unterstützenden Psychotherapeutenverbände gibt der Passus eine zusätzliche Prüfung vor, ob eine psychotherapeutische Behandlung notwendig ist oder nicht. „Eine vorgeschaltete Instanz würde Zugang zur Versorgung nur erschweren“, argumentierte Sartorius während der Anhörung.
Psychisch Kranken werde damit aufgebürdet, „hoch schambesetzte seelische Belastungen gegenüber Behandlern darzustellen, die sie danach in der Regel nicht wiedersehen werden und die sie nicht selbst nach Vertrauensgesichtspunkten gewählt haben“. Das stelle eine Diskriminierung von psychisch kranken Menschen dar.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte in der Anhörung, dass ihm an einer besseren Versorgung gelegen sei. „Wir brauchen eine bessere Vernetzung der Leistungserbringer und eine Reduzierung der Wartezeiten in der Psychotherapie. Wir können gerne über eine andere Begrifflichkeit reden. Aber wir müssen die Probleme angehen.“ Ihm gehe es „nicht per se um eine zusätzliche Instanz“, betonte er.
Aber „Lotsen, Bezugsärzte- oder-psychotherapeuten“ sollten eventuell auch „neben der psychotherapeutischen Sprechstunde“ mithelfen, Patienten bedarfsgerecht zu versorgen. Genaueres müsse der G-BA in der Ausgestaltung der Richtlinien regeln.
Mir geht es nicht per se um eine zusätzliche Instanz. Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister
Petentin Sartorius erläuterte, dass es bereits mit der im April 2017 eingeführten psychotherapeutischen Sprechstunde Steuerungsmöglichkeiten gebe. Patienten würden mithilfe der Sprechstunde nach Dringlichkeit und Schwere ihrer Erkrankung versorgt, oder auch in Beratung und Selbsthilfe weitergeleitet, wenn keine krankheitswertige Erkrankung vorliege.
Gleichzeitig wurden neben der Sprechstunde die Akutbehandlung für Patienten in psychischen Krisen, die Redizivprophylaxe sowie bessere Bedingungen für die Gruppenpsychotherapie eingeführt. „Erfolge dieser Strukturreform zeichnen sich bereits ab“, sagte die Psychotherapeutin. Eine zusätzliche Prüfung des Behandlungsbedarfs, wie im TSVG vorgesehen, sei deshalb kontraproduktiv.
Sie betonte, dass eine bessere Vernetzung und Koordination in der Versorgung von Patienten mit komplexen psychischen Störungen notwendig sei. Der NPPV-(neurologisch-psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungs-)Vertrag in der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein sei ein gutes Beispiel dafür, wie so etwas gelingen könne. Ein Bezugsarzt- oder -psychotherapeut betätigt sich dabei durchgängig als „Kümmerer“ und lotst die Patienten durch die Versorgung.
Jens Spahn verwies darüber hinaus auch auf den PNP-(Psychotherapie, Neurologie und Psychiatrie-)Facharztvertrag in Baden-Württemberg, bei dem der Hausarzt die Koordination übernimmt. „Es ist nicht richtig, wenn alle Patienten sofort zum Psychotherapeuten geschickt werden“, sagte er. Man brauche eine steuernde Instanz, die Ärzte als auch Psychotherapeuten übernehmen könnten.
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Psychotherapeutin Sartorius wehrte sich gegen den Vorwurf, „die falschen Patienten“ zu behandeln: „90 Prozent unserer Patienten sind mittelschwer bis schwer psychisch krank, das wurde bereits in diversen Studien festgestellt.“ Wenn der Psychotherapeut in der Sprechstunde keinen Behandlungsbedarf feststelle, verweise er natürlich auch beispielsweise in die Selbsthilfe oder an Beratungsstellen weiter.
Zusätzliches Nadelöhr vor der eigentlichen Behandlung
Zu bedenken gab Sartorius darüber hinaus, dass mit der Einführung einer zusätzlichen Instanz Behandlungskapazitäten gebunden werden. „Es entsteht nicht nur ein zweites Nadelöhr vor der eigentlichen Behandlung. Diagnose und Behandlungsindikation müssen von dem dann behandelnden ärztlichen oder Psychologischen Psychotherapeuten obligat nochmal durchgeführt werden.“ Dies stelle zudem die Kompetenz der Behandler infrage.
Bundesgesundheitsminister Spahn erklärte abschließend, dass mehr Psychotherapeuten im System das Problem der langen Wartezeiten nicht lösen würden. Denn: „Wo besonders viel Psychotherapie angeboten wird, ist auch besonders viel Nachfrage.“ Ihm sei an einer besseren Steuerung durch die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung gelegen, damit Menschen mit Behandlungsbedarf besser versorgt würden.
Auch die Bundesärztekammer und die Bundespsychotherapeutenkammer haben sich gegen die Vorgabe einer „gestuften und gesteuerten Versorgung“ in der Psychotherapie ausgesprochen. © PB/aerzteblatt.de

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