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Politik

Geplante Abtreibungsstudie in der Kritik

Donnerstag, 21. Februar 2019

/puhhha, stockadobecom

Berlin/Freiburg – Das Projekt des Bundesgesundheitsministeriums, die gesund­heitlichen Folgen von Schwangerschafts­abbrüchen für Frauen untersuchen zu lassen, stößt in der Fachwelt auf große Skepsis – aus wissenschaftlichen und vor allem aus gesellschaftlichen Gründen: „Es gibt eine alte Tradition, eine Drohkulisse aufzubauen für Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen lassen“, sagt Cornelia Helfferich von der Evangelischen Hochschule Freiburg. „Wenn die Studie in diesem Kontext steht, dann haben wir ein Problem.“

Und Claudia Schumann, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psycho­somatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG), vermutet „eine politisch motivierte Studie“. „Da soll eine bestimmte Klientel bedient werden“, sagt die Frauenärztin und Psychotherapeutin aus Northeim.

Der Argwohn rührt vor allem daher, wie die Entscheidung zustande kam: beim Ringen der Großen Koalition um den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches, der regelt, wie über Abtreibungen informiert werden darf. Ursprünglich wollte die SPD den Paragrafen ganz abschaffen, die Union ihn aber nicht antasten.

In einem Kompromiss einigten sich beide darauf, dass Ärzte und Kliniken künftig anders als bislang etwa auf ihrer Webseite mitteilen dürfen, dass sie Schwanger­schaftsabbrüche vornehmen. Zudem soll es online eine zentrale und stets aktuelle Liste geben, auf der Ärzte und Kliniken verzeichnet sind, die Schwangerschafts­abbrüche vornehmen, sowie die angewandten Methoden. Diese Liste soll die Bundes­ärzte­kammer führen und auch bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verfügbar sein.

Im Gegenzug bekommt das von Jens Spahn (CDU) geführte Gesundheitsministerium fünf Millionen Euro für die Studie. Die soll von 2020 bis 2023 „Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschafts­abbrüchen“ untersuchen. Ergebnisoffen, wie das Ministerium ausdrücklich betont.

„Es gibt genug Studien“ Claudia Schumann, Deutschen Gesellschaft für Psycho­somatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe

Der zweite Grund für die Skepsis ist wissenschaftlicher Natur: „Es gibt genug Studien“, sagt Schumann. „Es lässt sich nicht beweisen, dass eine Abtreibung einen klaren negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Frauen hat.“ Helfferich stimmt zu: „Es deutet nichts darauf hin, dass das ein weit verbreitetes Problem ist.

Die große Mehrheit der Frauen bewältigt einen Abbruch ohne Langzeitfolgen.“ Die Leiterin des Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts zu Geschlechterfragen hatte 2012 bis 2018 im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 14.000 Frauen unter anderem zu Abbrüchen befragt.

In Deutschland wurden 2017 laut Statistischem Bundesamt rund 101.000 Schwanger­schaften abgebrochen. Dutzende Studien haben in den vorigen Jahrzehnten die psychischen Folgen von Abtreibungen untersucht. So verglich ein US-Team um Antonia Biggs von der University of California über einen Zeitraum von fünf Jahren knapp 1.000 Frauen – ein Teil ließ die Schwangerschaft abbrechen, den übrigen wurde ein Abbruch verweigert, weil die Frist überschritten war. Die seelische Gesundheit jener Frauen, deren Schwangerschaft beendet wurde, war mindestens so gut wie die der übrigen Teilnehmerinnen, wie das Team 2017 im Fachblatt JAMA Psychiatry (2017; doi: 10.1001/jamapsychiatry.2016.3478) berichtete. Vor einem Jahr kam eine in derselben Zeitschrift veröffentlichte dänische Studie – trotz anderer Methodik – zu einem ähnlichen Resultat: Demnach erhöht ein Schwangerschaftsabbruch nicht die Tendenz zu einer Depression (JAMA Psychiatry 2018; doi: 10.1001/jamapsychiatry.2018.0849).

Die Resultate decken sich damit, was eine Arbeitsgruppe des US-Psychologenverbands APA im Jahr 2008 nach der Analyse Dutzender Studien bilanzierte: „Die beste wissenschaftliche veröffentlichte Evidenz zeigt, dass bei erwachsenen Frauen, die ungeplant schwanger werden, das relative Risiko für seelische Probleme nach einer einmaligen Abtreibung im ersten Trimeter nicht höher ist, als wenn sie das Kind austragen.“

„Wir wissen, dass eine Abtreibung an sich keine negativen psychischen Folgen hat“, betont Anette Kersting von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). „Das sollte man akzeptieren“, sagt die Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Uniklinik Leipzig.

Wie müsste eine Studie überhaupt aussehen, um binnen drei Jahren zu validen Ergebnissen zu kommen, die das Wissen erweitern? „Studien zu diesem Thema sind unglaublich schwierig, denn die Situationen der Frauen sind sehr unterschiedlich“, sagt Schumann. Man bräuchte sehr viele Teilnehmerinnen, die miteinander vergleichbar wären. An der US-Studie nahmen 30 medizinische Zentren teil. Die dänischen Forscher werteten landesweite Bevölkerungsregister aus, die in Deutschland gar nicht existieren.

Man muss die Situation in ihrer Komplexität erfassen

„Es gibt Wissenslücken, aber nicht im gesundheitlichen Bereich“, sagt Helfferich. „Man muss die Situation einer ungewollten Schwangerschaft in ihrer Komplexität erfassen.“ Dabei spielten viele Faktoren eine Rolle – neben Persönlichkeit und Biografie einer Frau auch die soziale und berufliche Situation und insbesondere die Partnerschaft.

Die Leipziger Expertin Kersting betont, dass jene Frauen, die die Beendigung einer Schwangerschaft wünschen, häufiger emotionale Probleme, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Stress in der Partnerschaft oder traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend haben. „Viele dieser Frauen können eine Abtreibung weniger gut bewältigen.“ Das liege aber nicht an dem Abbruch an sich, sondern an der psychischen Konstellation, der Situation und dem Umfeld – etwa an Stigmatisierung und fehlender sozialer Unterstützung. Eine Studie könne klären, wie man diese Gruppe besser unterstützen könne, sagt Kersting. „Da wäre es sinnvoll, Konzepte zu entwickeln.“

Die Studie wird unter Beobachtung stehen

Grundsätzlich fordert Helfferich, Frauen die Fähigkeit zuzubilligen, die beste Entscheidung treffen zu können. „Bei der ganzen Diskussion fehlt mir der Blick darauf, dass Frauen ihre Entscheidung so oder so treffen und wissen, was sie tun“, sagt sie. Insbesondere kritisiert sie das in der Debatte um Paragraf 219a verwendete Wort „Werbeverbot“ als irreführend. „Es geht nicht an, dass Informationen, die Frauen brauchen, um eine Entscheidung zu treffen, vorenthalten werden. Das zeigt ein unglaublich frauenverachtendes Bild.“

Nun wartet die Fachwelt gespannt, wie die Studie, die 2019 vergeben werden soll, aussehen wird. Eines sei sicher, sagt Helfferich: „Die Studie wird unter Beobachtung stehen. Sie wird sich wissenschaftlich seriös darstellen müssen.“

Es wird erwartet, dass die Reform des Paragrafen 219a heute mit der Regierungsmehrheit beschlossen wird. © dpa/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #106067
dr.med.thomas.g.schaetzler
am Donnerstag, 21. Februar 2019, 21:17

Studie gibt es schon längst!

Eine vom Bundesgesundheitsministerium geplante Studie u. a. zu den gesundheitlichen und sonstigen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen gibt es doch schon längst.

"Arzt und Schwangerschaftsabbruch: eine empirische Untersuchung zur Implementation des reformierten §218 StGB".
Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht: Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut.
Autorin: Frau Prof. Dr. phil. Monika Häußler-Sczepan
Max-Planck-Inst. für Ausländ. u. Internat. Strafrecht, 1989.
ISBN: 3922498442

Ansonsten belegen allein die Sichtweisen des Hamburger Strafrechtsprofessors Reinhard Merkel und die von Frau Professor Ulrike Busch vom Institut für Angewandte Sexualwissenschaft der Hochschule Merseburg, dass beide den bestehenden Paragrafen 219a Strafgesetzbuch (StGB) gelesen und verstanden haben.

Der Titel "§ 219a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft"
"(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise
1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder
2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung
anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Absatz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn Ärzte oder auf Grund Gesetzes anerkannte Beratungsstellen darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 vorzunehmen.
(3) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird." (Zitat Ende)
https://dejure.org/gesetze/StGB/219a.html

beinhaltet ein "Werbeverbot" und keine "Informations-Sperre"!

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund (von 1982 bis 1991 ärztlicher Mitarbeiter im Essener Lore-Agnes-Haus der ARBEITERWOHLFAHRT, Bezirksverband Niederrhein - Arbeitsschwerpunkte "Familienplanung, Schwangerschaftskonflikte und Fragen der Sexualität")
Avatar #113003
Claus-F-Dieterle
am Donnerstag, 21. Februar 2019, 20:36

Leider, leider, leider...

...sind mir die seelischen Folgen der Tötung ungeborener Kinder aus der Seelsorge bekannt. Daher muss ich diesen Ausführungen zustimmen
https://aerzte-fuer-das-leben.de/fachinformationen/schwangerschaftsabbruch-abtreibung/post-abortion-syndrom-pas/
Leider informieren sich die Schwangeren nicht oder zu wenig darüber, welche vielfältigen Hilfen es für ungewollt Schwangere gibt!
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