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Politik

Frauen im Gesundheitswesen fordern Parität in Gremien der Selbstverwaltung

Donnerstag, 21. Februar 2019

Jens Spahn spricht bei der Auftaktveranstaltung zur Initiative „Spitzenfrauen Gesundheit“/pag/axentis. 

Berlin – Eine paritätische Besetzung der Führungsgremien in der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen haben Frauen aus Politik, Krankenkassen sowie ärztlichen und psychotherapeutischen Verbänden gefordert. Im Rahmen der Auftaktveranstaltung zur Initiative „Spitzenfrauen Gesundheit“ übergaben die Initiatorinnen gestern Abend in Berlin eine entsprechende Resolution an Karin Maag, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU Bundestagsfraktion.

In Krankenhäusern und Arztpraxen, bei Krankenkassen, Institutionen und Verbänden seien Frauen überall zahlenmäßig stark vertreten, heißt es darin. Teilweise liege ihr Anteil bei mehr als zwei Dritteln der Beschäftigten. Auch unter den Ärzten und Psychotherapeuten steige der Anteil der Frauen stetig. Nahezu die Hälfte von ihnen sei weiblich. Dennoch würden die Führungspositionen in den Organisationen und Gremien des Gesundheitswesens überwiegend von Männern besetzt. In vielen Organisationen sei nicht einmal jede zehnte Führungskraft eine Frau. Das müsse sich ändern. Das Gesundheitswesen brauche „Spitzenfrauen“, heißt es in der Resolution.

Zuvor hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor rund 160 Teilnehme­rinnen und Teilnehmern eingeräumt, es gebe wenige Bereiche, in denen so über­proportional viele Frauen Leistungsträgerinnen seien. Ausgenommen seien hier allerdings die Führungsebenen. „Von 17 Kassenärztlichen Vereinigungen haben zehn keine Frau im Vorstand“, führte Spahn ein Beispiel an. Im Vorstand der Bundespsycho­therapeutenkammer seien von fünf Vorstandsmitgliedern vier Männer, und das bei einem Frauenanteil unter den Psychologischen Psychotherapeuten von 75 Prozent.

Angesichts dessen forderte der Minister: „Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern.“ Dazu gehörten längere Kita-Öffnungszeiten ebenso wie flexiblere Arbeitszeitmodelle, Arbeitsteilung oder mobiles Arbeiten. Das Arbeitsleben werde immer noch von zu viel „Präsenzlogik“ bestimmt, kritisierte Spahn. Noch immer gelte: „Nur wer da ist, arbeitet“. „Das ist auch eine Frage der Vertrauenskultur“, so Spahn. Er zeigte sich offen, im Rahmen einer Reform der Sozialwahlen die Einführung einer Frauenquote zu prüfen. „Wir sollten das Thema aber nicht ideologisch aufladen“, warnte er.

Nur zehn Prozent der Ärztinnen bekleiden Spitzenpositionen

Derzeit seinen 60 bis 70 Prozent der Medizinstudierenden Frauen, aber nur zehn Prozent der Ärztinnen bekleideten Spitzenpositionen, sagte Ulrike Ley, Coach für Frauen in Führungspositionen. Zwar liege der Anteil der Ärztinnen auf Oberarzt­positionen noch bei 30 Prozent, auf Chefarztpositionen oder Lehrstühlen kämen aber kaum noch Frauen an. Nach Leys Ansicht sind die größten Hürden für Frauen auf dem Weg nach oben der Versuch, Kinder und Karriere zu vereinbaren, und die männliche Dominanz im Arbeitsleben. Frauen arbeiteten in einem von Männern geprägten System, die jeweils das eigne jüngere Selbst förderten. „Frauen, die fordern, werden als anstrengend empfunden“, sagte Ley. „Mann sein“ sei die günstigste Aufstiegsprognose in der Medizin.

Dabei sei die mangelnde Geschlechterparität in Spitzenpositionen nicht nur ein Problem für Frauen. Das Potenzial kluger Köpfe nicht zu nutzen, sei auch wirtschaftlich dumm. Mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei es nicht mit dem Angebot ganztägiger Kinderbetreuung getan, meinte Ley. Dazu brauche es auch die Unterstützung des Partners und die Umsetzung neuer Rollenmuster. Ley hält eine Frauenquote für einen ersten Schritt hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Quoten hätten in vielen Bereichen zu ersten Veränderungen geführt und dazu, dass sich die fachliche Qualität von Frauen habe durchsetzen können. Sie appellierte an die Frauen, nicht in die „Bescheidenheitsfalle“ zu tappen und sich mit Quoten von 30 Prozent abzufinden. „Heute geht es um Parität und zwar überall“, sagte Ley: „Die Gleichstellung der Geschlechter ist auch ein Indikator dafür, wie gerecht eine Gesellschaft ist.“ Deshalb brauche es jetzt couragiertes politisches Handeln. „Wir brauchen Paritätsgesetze“, forderte Ley.

Diese Forderung machten sich auch Gesundheitspolitikerinnen von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zu eigen. Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther, selbst Psychiaterin, hatte nach ihrem Einzug in den Bundestag im vergangenen Jahr eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum Frauenanteil in den Gremien der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen gestellt und war über die Antwort „erschüttert“, wie sie gestern Abend bekräftigte. 70 Prozent der Beschäftigten der Krankenkassen seien Frauen. Ihr Anteil in den Vorständen liege jedoch bei null bis 21 Prozent.

Kirsten Kappert-Gonther /pag/axentis. 

„Die Expertise und Erfahrung von Frauen kommt in den Gremien nicht vor. Das macht keinen Sinn“, sagte Kappert-Gonther. Die gläserne Decke sei im Gesundheits­wesen genauso dick wie bei den DAX-Unternehmen. Bündnis 90/Die Grünen hätten inzwischen einen Antrag gestellt, der eine Quotierung in den Entscheidungs­gremien der Selbstverwaltung fordere. Er soll demnächst im Gesundheitsausschuss des Bundestages beraten werden. „Unser Ziel muss die Parität sein, aber ohne Quote wird es nicht gehen“, zeigte sich Kappert-Gonther überzeugt.

Die Frauenquote ist ein „großes Schreckgespenst“

In ihrer Bundestagsfraktion seien Frauen klar unterrepräsentiert, sagte FDP-Politikerin Nicole Westig. Von 80 Abgeordneten sind 19 Frauen. Sie selbst setze sich seit Jahren für eine Frauenquote ein. Für ihre Partei, deren Kultur auf dem Konzept der Freiheit basiere, sei diese aber ein „großes Schreckgespenst“. Hier gelte es, noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. „In meinem Kreisverband suche ich aber ganz gezielt nach geeigneten Frauen, wenn Posten neu besetzt werden“, sagte Westig.

„Ich bin eine Quotenfrau“, erklärte die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). „Als ich vor 20 Jahren Staatssekretärin wurde, hat man in der Partei bewusst nach einer Frau für den Posten gesucht.“ In Sachen Quote sei sie eine Überzeugungstäterin, so Prüfer-Storcks. Im Bundestag habe sich der Anteil der Frauen aufgrund von Quotenregelungen einzelner Parteien fast verdreifacht. Zusammen mit anderen Kolleginnen aus den Ländern habe sie kürzlich im Rahmen der Gesundheits­ministerkonferenz der Länder einen Antrag auf Quotierung in den ehrenamtlichen Gremien der Selbstverwaltung verfasst. „Der liegt jetzt bei Jens Spahn auf dem Tisch“.

Cornelia Prüfer-Storcks /pag/axentis. 

Nun sei die Regierung aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten. Wenn man mehr Frauen für die ehrenamtliche Gremienarbeit begeistern wolle, müsse man sich allerdings auch fragen, ob deren Arbeit so bleiben müsse, wie sie sei. „Wir müssen Rituale auf den Prüfstand stellen und die Gremienarbeit effizienter machen“, forderte Prüfer-Storcks. Sitzungen müssten dann einberufen werden, wenn es Entscheidungs­bedarf gebe und nicht, „weil wir den dritten Montag im Monat haben“, meinte die Senatorin. Noch werde in vielen von Männern dominierten Runden eine ganze Menge an Lebenszeit verschwendet.

Heidrun Gitter, Präsidentin der Ärztekammer Bremen, hat die Forderung von Prüfer-Storcks in der Kammerarbeit bereits erfolgreich umgesetzt. „Es gibt bei uns keine Sitzung ohne Tagesordnung oder ohne Ziel“, sagte die Chirurgin. Auch die Ausschussarbeit habe die Kammer umgestaltet. Statt ständiger Ausschüsse gebe es vermehrt Arbeitsgruppen, die projektbezogen und zeitlich befristet arbeiteten. Das erleichtere vielen Frauen den Einstieg in die Gremienarbeit. Was den Frauenanteil in Führungspositionen betrifft, steht die Ärztekammer Bremen gut da. Von fünf Vorständen sind drei Frauen, und auch die Führungsebene unterhalb des Vorstands besteht zu 60 Prozent aus Frauen.

Quoten helfen nicht gegen Stereotypen in den Köpfen

Thomas Sattelberger, ehemaliger Telekom-Manager, der bei dem Konzern eine freiwillige Selbstverpflichtung für mehr Frauen in Führungspositionen vorangetrieben hatte, warnte davor, sich einseitig auf die Einführung von Frauenquoten zu konzentrieren. „In der Wirtschaft hat die Quote wenig gebracht, weil sich die Kultur in den Unternehmen nicht entsprechend gewandelt hat“, sagte Sattelberger. Wenn die Quote nicht mit Talentförderung und -management sowie einer geänderten Führungskultur einhergehe, könne sie nicht nachhaltig wirken. „Gegen die Stereotypen in den Köpfen hilft eine Quote nicht“, sagte der Ex-Manager und empfahl den Frauen, breitere Bündnisse zu schmieden und Koalitionen einzugehen, um ihre Ziele zu erreichen.

Thomas Sattelberger /pag/axentis. 

Initiiert wurde die Initiative „Spitzenfrauen Gesundheit“ von Cornelia Wanke, Journalistin und Beraterin im Gesundheitswesen, Antje Kapinsky aus dem Berliner Politikbüro der Techniker Krankenkasse, von Christina Tophoven, Geschäftsführerin der Bundespsycho­therapeutenkammer und Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Groß bezeichnete es als ihr Herzensthema, mehr Frauen für die Mitarbeit in den Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung zu motivieren. © HK/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #79783
Practicus
am Samstag, 23. Februar 2019, 01:49

Ähhh?

Ich sitze auf Psychotherapiekongressen regelmäßig in reinen Frauenrunden, die Studienanfänger in Medizin sind zu 65%, in der Psychologie zu 80% weiblich...
Die Kolleginnen haben doch in Kürze ohnehin die numerische Mehrheit und bräuchten sich ja nur selber zu wählen!
Das ist wie bei der Wahl der Elternvertreter in Kita und Schule - keiner will es machen, und wer es macht, macht es dann verkehrt.
Frauen bewerben sich einfach nicht um die Sitze in den Gremien!
Avatar #752363
psychbrwg
am Donnerstag, 21. Februar 2019, 19:14

Frauen in Spitzenpositionen

Nein, längere Kita-Öffnungsheiten sind keine Lösung. Das schadet den Kindern. Heute sind schon viele unter schlechten Bindungsoptionen verwahrt (kann man bei üblichen Bedingungen nicht anders nennen). Humanere Arbeitszeiten, Beteiligung der Väter zu 50%, auch bei getrennt Lebenden. Bessere Löhne und Gehälter. Nicht Menschen müssen an den Arbeitsmarkt angepasst werden, zumindest nicht ausschließlich, sondern auch umgekehrt. Würde auch die Rate psychischer Erkrankungen und somatischer reduzieren, bei Kindern wie Erwachsenen. Und die Quoten müssen her. Die Präsenzzeiten sind ganz richtig zu überdenken. Kleinere Sitzungen lassen sich sich via Videokonferenz realisieren - spart außerdem Gelder. Mammutsitzungen darf es nicht geben, der halbe Tag am WE muss der Familie gehören dürfen. Dafür zieht sich dann eine Sitzung mal über 3-4 Tage. Und wenn viele Männer (statistisch belegt) Redundantes nicht wiederholten, wäre so manche Sizzung such verkürzbar.
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