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Politik

Bundestag verabschiedet Terminservice- und Versorgungsgesetz

Donnerstag, 14. März 2019

Jens Spahn /dpa

Berlin – Schnellere Arzttermine für gesetzlich Krankenversicherte, zusätzliche Leistungen sowie mehr Tempo bei der Einführung der elektronischen Patientenakte: So beschrieb Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Kern des Terminservice- und Versor­gungs­gesetzes (TSVG) vor wenigen Tagen vor Journalisten in Berlin. Heute hat der Deutsche Bundestag das Gesetz mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD gebilligt. Es soll im Mai in Kraft treten und ist im Bundesrat nicht zustimmungs­pflichtig.

Zu den wesentlichen Regelungen des Gesetzes gehört der Ausbau der Terminservice­stellen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) zu zentralen Anlaufstellen für die Patienten, die unter der Telefonnummer 116117 rund um die Uhr Termine bei Haus- und Kinderärzten, Fachärzten und Psychologischen Psychotherapeuten vermitteln. In Akut­fällen oder außerhalb der Sprechzeiten niedergelassener Ärzte verweisen die Service­stellen Patienten auch – je nach Beschwerdebild – an Arztpraxen mit freien Terminen, Notfallambulanzen oder Krankenhäuser.

Außerdem müssen Ärzte künftig mehr Sprechstunden anbieten. Das Mindestangebot wird von 20 auf 25 Stunden wöchentlich erhöht. Grundversorgende Fachärzte wie zum Beispiel konservativ tätige Augenärzte, Frauenärzte oder HNO-Ärzte müssen mindestens fünf offene Sprechstunden pro Woche anbieten. Das Nähere regeln die Partner der Bundesmantel­verträge, also die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband.

Mehr Geld für mehr Arbeit

Für diese zusätzlichen Leistungen sollen die Ärzte auch zusätzliches Geld erhalten. Für die erfolgreiche Vermittlung eines dringenden Facharzttermins erhalten Hausärzte einen Zuschlag von mindestens zehn Euro. Leistungen für Patienten, die von der Terminservice­stelle vermittelt wurden, werden extrabudgetär vergütet.

Darüber hinaus gibt es gestaffelte Zuschläge auf die Versicherten- und Grundpauschalen je nach Wartezeit der Patienten auf ihren Termin. Einen Zuschlag in Höhe von 50 Prozent gibt es, wenn der Patient schon am ersten Tag kommen kann, 30 Prozent, wenn der Patient innerhalb einer Woche und 20 Prozent, wenn er innerhalb von vier Wochen einbestellt wird. Extrabudgetär sollen künftig auch die Leistungen vergütet werden, die für neue Patienten und für Patienten erbracht werden, die vom Hausarzt vermittelt wurden, sowie die Leistungen in den offenen Sprechstunden.

Um die Versorgung auf dem Land zu verbessern, werden die KVen verpflichtet, Struktur­fonds aufzulegen und deren Volumen auf bis zu 0,2 Prozent der Gesamtvergütung zu verdoppeln. Bislang war dies eine Kann-Vorschrift. Außerdem müssen die KVen künftig in unterversorgten Gebieten eigene Praxen einrichten oder mobile oder telemedizinische Versorgungsangebote schaffen, um die Versorgung zu sichern. Die Länder sollen zudem darüber entscheiden, ob bestehende Zulassungssperren zur vertragsärztlichen Versor­gung in strukturschwachen Regionen entfallen können.

Belohnt wird, wer zuerst zum Hausarzt geht

Versicherte, die an Wahltarifen zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV) teilnehmen, müssen die Krankenkassen künftig an Effizienzgewinnen teilhaben lassen. Dabei muss die Hälfte der erwirtschafteten Einsparungen in Form von Beitragssenkungen, Prämien oder Zuzahlungsermäßigungen weitergegeben werden.

Um den Einfluss von reinen Kapitalinvestoren auf die ambulante zahnärztliche Versor­gung zu begrenzen, werden die Gründungsmöglichkeiten für zahnmedizinische Versor­gungs­zentren beschränkt. Sie dürfen von Krankenhäusern nur noch in Abhängigkeit vom regionalen Versorgungsgrad errichtet werden. Grundsätzlich dürfen nur zehn Prozent der zahnärztlichen Versorgung in einer Region in Händen eines MVZ liegen, bei Überversor­gung fünf Prozent, bei Unterversorgung 20 Prozent.

Nichtärztliche Dialyseanbieter dürfen auch weiterhin fachbezogene MVZ gründen. Dabei können die Leistungen, die dort erbracht werden, über rein nephrologische hinausgehen. Zulässig sind auch hausärztliche, internistische, urologische, kardiologische und radiolo­gische Leistungen. Daneben sind Erleichterungen für den Betrieb von MVZ vorgesehen. So dürfen künftig auch anerkannte Praxisnetze MVZ gründen. Außerdem können im MVZ angestellte Ärzte jederzeit Gesellschafteranteile erwerben, wenn einer der Gründer ausscheidet.

Besserer Schutz vor Regressen

Um die Niederlassung für Ärzte attraktiver zu machen, sieht das TSVG Änderungen an den Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfungen vor. So wird die Zufälligkeitsprüfung ersetzt. Künftig muss ein begründeter Antrag einer Krankenkasse oder KV vorliegen, um eine Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlicher Leistungen vornehmen zu können. Die Landes­vertragspartner müssen sich auch auf die Zahl der höchstens zu prüfenden Ärzte und die Festlegung von Praxisbesonderheiten insbesondere bei Landarztpraxen einigen. Prüfun­gen nach Durchschnittswerten dürfen bei Arztgruppen, bei denen Unterversorgung herrscht, nicht vorgenommen werden. Die Verjährungsfrist für Honorarrückforderungen wird von vier auf zwei Jahre verkürzt.

Das TSVG enthält zudem in einigen Bereichen Leistungsverbesserungen für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). GKV-Patienten mit substanziellem HIV-Infektionsrisiko erhalten einen Anspruch auf Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Zudem können Patienten, die sich einer keimzellschädigenden Therapie unterziehen müssen, die Kryokonservierung von Keimzellgewebe, Ei- und Samenzellen in Anspruch nehmen, um nach der Genesung eine künstliche Befruchtung zu ermöglichen.

Die Ausschreibungen der Krankenkassen für Hilfsmittel wie Gehhilfen, Rollstühle oder Windeln werden abgeschafft. Damit wolle man sicherstellen, dass keine Abstriche bei der Qualität gemacht würden, heißt es in der Gesetzesbegründung.

Heilmittelerbringer wie Physio- und Ergotherapeuten oder Logopäden erhalten mehr Honorar. Außerdem sollen die Therapeuten unabhängiger über die Art und Dauer der Behandlung entscheiden können, indem Ärzte Blankoverordnungen ausstellen. Bis zum 15. November 2020 müssen der GKV-Spitzenverband und die Verbände der Heilmitteler­bringer im Einvernehmen mit der KBV eine Vereinbarung schließen, die unter anderem die Indikationen enthält, die sich für eine Blankoverordnung eignen.

Elektronische Patientenakte muss spätestens 2021 eingeführt sein

Vorantreiben will Minister Spahn mit dem TSVG auch die Digitalisierung im Gesundheits­wesen. Es verpflichtet die Krankenkassen, ihren Versicherten bis spätestens 2021 eine elektronische Patientenakte (ePA) anzubieten. Tun sie das nicht, droht eine Kürzung der Verwaltungsausgaben. Die KBV soll die semantische Interoperabilität der ePA festlegen.

Patienten sollen auch mit Smartphone oder Tablet auf ihre medizinischen Daten zugrei­fen können. Ebenfalls von 2021 an sollen Vertragsärzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigun­gen für ihre Patienten elektronisch an deren Krankenkasse übermitteln. Um die Entschei­dungsprozesse in der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik) zu beschleunigen, übernimmt das BMG 51 Prozent der Geschäftsanteile.

Spahn verteidigt Reform

„Das TSVG macht die Versorgung schneller, besser und digitaler“, sagte Bundesgesund­heitsminister Spahn heute vor der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag. Mit Blick auf die Änderung der Mehrheitsverhältnisse bei der gematik räumte er zwar ein, dass die Selbstverwaltung damit ein Stück weit entmachtet werde.

Aber wenn diese seit 15 Jahren nicht in der Lage sei, die Digitalisierung umzusetzen, „gehen wir in den Konflikt“. Kritik an der Flut von Änderungsanträgen im Gesetzgebungs­verfahren konterte er: „Wir gehen auf gute Argumente ein.“ Man habe das Gesetz durch sinnvolle Änderungen verbessert, die sich im Laufe der Beratungen und zweier Anhörun­gen vor dem Gesundheitsausschuss ergeben hätten.

„Das TSVG ist der Einstieg in den Ausstieg aus der Budgetierung“, hatte zuvor die gesund­heitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Karin Maag (CDU) betont. Das Minis­terium beziffert die Ausgaben für die zusätzliche Vergütung der Vertragsärzte mit 600 bis 800 Millionen Euro.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Karl Lauterbach, bezeichnete das TSVG als „Gesetz zum Abbau der Zwei-Klassen-Medizin“ und als wichtigen Schritt hin zu einer Bürgerversicherung, die seine Partei nach wie vor anstrebe. Dass GKV-Versicherte oft monatelang auf einen Arzttermin warteten, sei unwürdig für ein so reiches Land wie Deutschland. Hier schaffe das TSVG Abhilfe.

Opposition kritisiert Inhalte und Gesetzgebungsverfahren

Als größte Oppositionsfraktion kritisierte die AfD insbesondere die Eingriffe in den ärzt­lichen Praxisablauf, die das TSVG durch die Ausweitung der Sprechzeiten und die offenen Sprechstunden mit sich bringe. Auch das Problem der Zwei-Klassen-Medizin werde nicht gelöst, kritisierte Axel Gehrke. Dadurch, dass die Behandlung von neuen Patienten und von Patienten, die durch die Terminservicestellen vermittelt wurden, besser vergütet werde, schaffe man eine Drei-Klassen-Medizin.

Für die Linke kritisierte Achim Kessler, dass durch das TSVG das eigentliche Problem der Gesundheitsversorgung, nämlich das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Kran­kenversicherung nicht gelöst werde. Die Vergütungsanreize für die Ärzte seien zudem „reine Klientelpolitik“.

Auch Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, bemängelte, das Gesetz gehe am eigentlichen Problem vorbei. Stattdessen werde Geld mit der Gieß­kanne ausgeschüttet. „Dieses Geld hätte man besser für eine Stärkung der Primärversor­gung, für eine Stärkung der Geburtshilfe und eine verbesserte Notfallversorgung ausge­geben“, sagte sie. Klein-Schmeink ging zudem hart mit dem Politikstil von Bundesge­sund­­heitsminister Spahn ins Gericht. Sie wünsche sich weniger „Schnellschüsse für die große Schlagzeile“ und mehr handwerkliche Sorgfalt und Weitblick, sagte die Grünen-Politikerin.

„Im Ergebnis zu wenig“, urteilte die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus. Um die Probleme beim Zugang zur medizinischen Versorgung zu lösen, forderte sie den Abbau unnötiger Bürokratie und eine Entbudgetierung sämtlicher Grundleistungen von Haus- und Fachärzten. © HK/aerzteblatt.de

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