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Politik

G-BA wehrt sich gegen „Erdrosselung“

Donnerstag, 4. April 2019

/dpa

Berlin – Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), Josef Hecken, hat sich erneut gegen den Vorwurf der Langsamkeit seines Gremiums und die fachliche Aufsicht durch das Bundesgesundheitsministerium gewehrt.

„Wir freuen uns über eine enge fachliche Begleitung, hoffen aber, durch die Begleitung nicht erdrosselt zu werden“, sagte er beim Frühlingsempfang des Gremiums gestern Abend in Berlin. „Lieber Jens, lieber Herr Minister, wir ziehen doch am gleichen Strick und auch in die gleiche Richtung“, so der Unparteiische auch in Richtung von Bundesgesund­heitsminister Jens Spahn (CDU), dem Hecken für sein Erscheinen im Haus trotz der derzeit kontroversen Diskussionen dankte.

Aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) kamen in den vergangenen Wochen immer wieder Vorschläge, wie es im G-BA mit Verfahrensänderungen zu schnelleren Ent­scheidungen besonders bei den Methodenbewertungen kommen könnte. Unter anderem sahen erste Entwürfe das BMG als künftige Fachaufsicht und nicht mehr ausschließlich als Rechtsaufsicht vor. Ebenso sollte – wenn das G-BA mehr als zwei Jahre für eine Ent­scheidung benötigt – das BMG selbst über eine Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetz­lichen Krankenversicherung (GKV) entschei­den können.

Die vorgeschlagenen Regelungen finden sich inzwischen im Kabinettsentwurf des Implantateregistergesetzes wieder, das gestern vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Die Reformen beim G-BA blieben im Gesetz erhalten: So soll das BMG weiterhin die Mög­lichkeit haben, per Rechtsverordnung ohne die Zustimmung des Bundesrates „das Nähere zum Verfahren“, das der G-BA zu beachten hat, zu regeln.

Dazu gehören laut dem künftig neuen Paragrafen 91b SGB V der Ablauf des Verfahrens mit Fristen und Prozess­schritten sowie die Ausgestaltung der Stellungnahmeverfahren und die Ausgestaltung der Beauftragung des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Ebenso will das BMG bestimmen, wie die Anforderungen bei Unterlagen und Nachweisen durch die Antragssteller aussehen müssen.

Mehr Befugnisse für G-BA-Chef

Bei der Methodenbewertung soll die Rolle des Unparteiischen gestärkt werden, da er künftig ein halbes Jahr vor Ende der Zwei-Jahres-Frist einen eigenen Beschlussvorschlag vorlegen kann, wenn absehbar ist, dass keine fristgerechte Entscheidung zustande kommt. Insgesamt bleibt es bei der Fristenvorgabe von zwei Jahren für Methodenbe­wer­tungs­verfahren. Das Wort „Rechtsaufsicht“ fehlt allerdings ebenso wie die Möglichkeit, dass das BMG selbst bestimmt, welche Leistungen in den GKV-Katalog kommen.

Vor allem die Vorgabe für Bewertungskriterien sowie die Überwachung derer seitens des BMG sieht die Opposition im Deutschen Bundestag kritisch: „Für mich ist das de facto eine Fachaufsicht. Wenn Sie das machen würden, käme sofort der Vorwurf der Staats­me­dizin, dabei setzten wir gerade auf die fachliche Unabhängigkeit von wissenschaftlichen Einschätzungen“, erklärte Harald Weinberg, Gesundheitsexperte der Linken-Bundestags­fraktion, gestern bei einer Regierungsbefragung im Bundestag.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, schätzt dies ähnlich ein: „Das käme tatsächlich einer Fachaufsicht gleich, denn es handelt sich um eine generelle Rechtsaufsicht, auch wenn Sie davon gesprochen haben, das solle nur in seltenen Fällen zum Tragen kommen“, so die Grünen-Politikerin in Richtung Minister Spahn.

Auf den Beschluss des Implantateregistergesetzes vom Vormittag ging Hecken am Abend in seiner Rede direkt nicht ein. Er warnte Spahn und viele andere anwesenden Gesund­heits­politiker, dass „politische Opportunität nie ein Maßstab“ für die Bewertung von medizinischen Leistungen zur Erstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung sein dürfe. Er betonte auch, dass im Bereich der Arzneimittel im vergangenen Jahr 300 Verfahren nach der frühen Nutzenbewertung fristgerecht abgeschlossen wurden. „Bei jedem Verfahren bekommen wir Nachrichten, dass die Welt untergehe, wenn dieses Verfahren nicht im Sinne des Herstellers entschieden werde.“

Die Einsparungen, die durch die G-BA-Entscheidungen erzielt werden, liegen nach Heckens Angaben bei zehn Milliarden Euro, das seien 0,7 GKV-Beitragspunkte. „Ist die Funktion, die wir haben, wichtiger oder ist es die Schnelligkeit?“, fragte er. Er gab auch zu, „dass wir ein paar Kröten im Keller haben“, besonders bei Themen, die einen längeren Beratungszeitraum haben.

Bei der Liposuktion, die im Streit mit dem BMG zu Beginn des Jahres der Stein des An­stoßes war, gebe es weltweit nur Luxemburg, das die Kosten für Patientinnen in der Stufe drei seit Anfang 2019 bezahlt. „Und deren Argument war: In Deutschland beginnt die Diskussion dazu, also starten wir jetzt auch damit.“ Für Hecken ist solch eine Argumen­tation nicht zulässig, daher „habe ich weiterforschen lassen“, wie die weltweite Studien­lage zur Liposuktion aussehe. So sei in den Niederlanden bei Studien zwischen 2007 und 2018 keine Evidenz gefunden worden und daher sei es auch dort nicht als Kassenleistung eingeführt worden. Der G-BA hat Mitte Februar 2019 beschlossen, das seit Juli 2017 ruhende Verfahren zur Liposuktion wieder aufzunehmen.

Zu Ideen, dass das BMG künftig mehr Fach- statt ausschließlich Rechtsaufsicht für den G-BA sein könnte, sagte Hecken: „Wenn Sie, Herr Spahn, ein Fan der Selbstverwaltung sind, dann bin ich ein Fan der Rechtsaufsicht.“ Er sieht die Rechtsaufsicht als zentrales Element der politischen Legitimität des G-BA.

Für die Zukunft sieht Hecken den G-BA unter weiter steigendem Handlungsdruck: „Wenn wir bei der hohen Entwicklungsdynamik, besonders bei Medizinprodukten, Schritt halten wollen und diese auch nach kurzer Zeit in die Regelversorgung kommen sollen, dann brauchen wir neue Entscheidungsregelungen“, sagte Hecken auch mit Blick auf die Gesundheitspolitik. Denn: „Wir müssen künftig auch vorläufige Entscheidungen mit möglichen Befristungen bei Medizinprodukten fällen können“, erklärte Hecken. Die Verfahrensregeln müssten per Gesetz verändert werden. Ähnliches gelte auch, wenn der G-BA künftig digitale Anwendungen prüfen soll.

Sachliche Antwort des Ministers

Minister Spahn antwortete auf die leidenschaftlich gehaltene Rede eher sachlich und mit viel Lob für die Arbeit im G-BA: „Seien Sie sich gewiss, dass wir dankbar für Ihre Arbeit sind und diese auch schätzen“, sagte der Minister. Dazu zählen für ihn die Zentrums­defi­nitionen, die Arzneimittelentscheidungen, die Psych-PV, die Bedarfsplanung und Be­schlüsse bei den Biosimilars. „Das Vertrauen von mir und den Gesundheitspolitikern in Ihre Arbeit ist ja da, sonst würden wir nicht immer mehr und immer wieder auf Ihre fachliche Expertise setzen.“

Zu den aktuellen Streitigkeiten zwischen G-BA, vielen Akteuren der Selbstverwaltung und dem BMG erklärte Spahn: „Und nun haben wir bei der guten Zusammenarbeit an einer einzigen Stelle eine Diskussion dazu. Wir wollen ja den G-BA nicht vom Kopf auf die Füße stellen, wir stärken in den aktuellen Vorschlägen sogar die Rolle des unparteiischen Vor­sitzenden.“

Er warb dafür, dass auch Politik die Entscheidungen verteidigen müsse und Menschen Vertrauen in das Gesundheitssystem brauchen. „Und wenn ich als Gesundheits­minister bei dem ein oder anderen Thema noch nicht einmal sagen kann, wann und wie der G-BA entscheidet, kann man diesen Umstand immer weniger Bürgerinnen und Bürgern erklä­ren“, so Spahn. „Wenn ich und die anderen Mitglieder des Bundestages in zwei Jahren auch an den Leistungen, die im Gesundheitswesen laufen, gemessen werden, dann wer­den wir spüren, ob die Menschen auch mit der Leistung in diesem Haus zufrieden sind.“

Der G-BA war Anfang des Jahres 2019 in neue, größere Räumlichkeiten gezogen. In das neue Gebäude konnte das Gremium „fristgerecht einziehen und hat auch den Kostenrah­men gehalten“, wie Hecken betonte. Erstmals arbeiten nun die Mitarbeiter des G-BA sowie die des Innovationsausschusses unter einem Dach. © bee/aerzteblatt.de

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