Politik
Arzneimittel: Experten streiten über neue Pflicht zur Datenerhebung
Freitag, 12. April 2019
Berlin – Dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bei Orphan Drugs und beschleunigt zugelassenen Arzneimitteln künftig „anwendungsbegleitende Datenerhebungen“ veranlassen können soll, ist bei einer Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestages kontrovers diskutiert worden.
Im Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) ist vorgesehen, dass der G-BA künftig Anwendungsbeobachtungen, Fall-Kontroll-Studien oder Registerstudien von den Herstellern neuer Arzneimittel verlangen darf, um auf diese Weise mehr Informationen über die betreffenden Arzneimittel nach der Zulassung zu erhalten.
Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Wolf-Dieter Ludwig, begrüßte diese Regelung: Bei Orphan Drugs sowie bei beschleunigt zugelassenen Arzneimitteln brauche man dringend weitere Evidenz nach der Zulassung. Wie diese Evidenz am besten generiert werde, hänge von der Indikation und dem Wirkstoff ab. Anwendungsbeobachtungen seien in jedem Fall ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Disput um Folgen der Datenerhebung
Die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (Achse) kritisiert das Vorhaben hingegen. „Die Achse befürchtet negative Auswirkungen auf den Zugang zu den Medikamenten sowie auf die Forschung und Entwicklung, wenn eine solche neue Datenerhebung nicht im Vorfeld mit den verschiedenen Akteuren in Deutschland sowie den anderen HTA-Behörden in Europa abgestimmt wird“, heißt es in der Stellungnahme des Verbandes zum GSAV.
Orphan Drugs würden mit einer „Market Authorisation“ für ganz Europa zugelassen. Die Datenerhebung des GSAV werde jedoch nur für Deutschland verpflichtend eingeführt. Die ACHSE zeigt sich besorgt, dass unübersichtliche Rahmenbedingungen und verschiedene Anforderungen in der EU die Forschung und Entwicklung hemmen könnten. „Eine weitere Datenerhebung nur in Deutschland könnte außerdem ein Anreiz für eine verspätete Markteinführung in Deutschland sein“, heißt es in der Stellungnahme.
Der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Josef Hecken, reagierte mit Unverständnis auf diese Bedenken. „Wir wollen ja nicht autistisch nur in Deutschland Daten erheben“, sagte er. Bei seltenen Erkrankungen brauche man wegen der kleinen Patientenzahlen ohnehin Daten aus ganz Europa. „Ich befürchte auch in keiner Weise, dass ein Hersteller den deutschen Markt verlässt, wenn es Anwendungsbeobachtungen gibt“, sagte er. „Denn in Deutschland gibt es keine vierte Hürde, und im ersten Jahr nach der Zulassung können die Hersteller die Preise verlangen, die sie haben wollen.“
Zu wenige Informationen bei über einem Drittel aller neuen Arzneimittel
Der Geschäftsführer des vfa, Siegfried Throm, kritisierte, dass die Regelung „in ihrer jetzigen Ausprägung zu unbestimmt“ sei. „Wir verschließen uns nicht einer weiteren Verbesserung der Datenerhebung nach der Zulassung“, sagte er. „In ihrer jetzigen Form ist die Regelung aber so weit gefasst, dass ein Drittel aller neuen Arzneimittel betroffen sein können.“
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Der AkdÄ-Vorsitzende Ludwig widersprach ihm: Es seien sogar noch mehr neue Arzneimittel, bei denen die Ärzte nach der Zulassung nicht wüssten, wie sie die Medikamente einzuschätzen hätten und wie sie sie einsetzen sollten. Und diese Informationen würden dringend gebraucht.
Kritik an Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit
Im GSAV ist zudem vorgesehen, dass der G-BA die Befugnis zur Verordnung eines entsprechenden Arzneimittels auf die Vertragsärzte oder zugelassenen Krankenhäuser beschränken kann, die an der geforderten anwendungsbegleitenden Datenerhebung mitwirken. Diese Regelung wird von der Bundesärztekammer und der AkdÄ abgelehnt.
„Eine solche Einschränkung würde die ärztliche Therapiefreiheit und aber vor allem auch die Patientenrechte in einem unzulässigen Ausmaß einschränken“, heißt es in der Stellungnahme der beiden Organisationen.
„Ärzte, die nicht an der anwendungsbegleitenden Datenerhebung teilnehmen möchten, würden das entsprechende Arzneimittel nicht verordnen dürfen. Patienten, die an der anwendungsbegleitenden Datenerhebung nicht teilnehmen möchten, würde das Arzneimittel nicht zur Verfügung stehen.“ © fos/aerzteblatt.de

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