Politik
Pränatale Bluttests: Bundestag diskutiert über mehr als nur die Frage der Kassenleistung
Donnerstag, 11. April 2019
Berlin – Im Deutschen Bundestag zeichnet sich eine breite Unterstützung für eine Übernahme von risikoarmer, nichtinvasiver Pränataldiagnostik in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab – allerdings begrenzt auf Risikoschwangerschaften, so wie jetzt bei der Amniozentese üblich.
Zwei Stunden lang diskutierten die Parlamentarier heute über pränatale Bluttests für Schwangere in Deutschland. Dabei ging es vielen um mehr als nur um das Für und Wider einer Kassenleistung. Vielmehr tauschten 38 Abgeordnete aller Fraktionen bei der breit angelegten Orientierungsdebatte meist sachlich und konstruktiv ethische Argumente aus. Zentrale Forderungen waren eine bessere Beratung von werdenden Eltern und eine viel stärkere Inklusion von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft.
Unterschiedliche Argumentationen quer duch alle Fraktionen
Zur Sprache kamen einerseits Befürchtungen, dass niedrigschwellige Tests zu einer Ausweitung der Inanspruchnahme von vorgeburtlicher Diagnostik und damit zu einer zunehmenden Diskriminierung behinderten Lebens führten könnten.
Anderseits mahnten viele Abgeordnete das Selbstbestimmungsrecht der Frau und einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsleistungen – unabhängig von der persönlichen Finanzkraft – an. Wenn invasive vorgeburtliche Tests von den Kassen finanziert würden, müsse dies auch für die nichtinvasiven Tests gelten, die bereits als Igel-Leistung angeboten werden sowie auch schon von einigen privaten Krankenkassen finanziert werden. Die Argumentationslinie verlief dabei – wie bei vielen ethischen Debatten – quer durch die Fraktionen.
Anlass der Debatte war die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), das Verfahren zur Zulassung des nichtinvasiven pränatalen Tests als Kassenleistung für Risikoschwangerschaften auf den Weg zu bringen. Denn bereits seit 2012 sind in Deutschland Bluttests für Schwangere auf Trisomien beim ungeborenen Kind auf dem Markt, die schon ab der zehnten Schwangerschaftswoche anwendbar sind.
Viele Abgeordnete sprachen sich heute ausdrücklich dafür aus, die Kosten dafür nur bei Risikoschwangerschaften durch die Kassen übernehmen zu lassen, so wie dies auch prinzipiell der G-BA vorsieht. Dies sei eine soziale Frage und keine ethische, sagte der Vorsitzende des Bundestagsgesundheitsausschusses, Erwin Rüddel (CDU).
„Das Bundesforschungsministerium hat die Entwicklung der Bluttests gefördert, um das Fehlgeburtsrisiko bei der Diagnostik zu senken. Claudia Schmidtke, CDU
Befürworter der Kostenübernahme wie Claudia Schmidtke (CDU) wiesen auf die Risiken der Amniozentese hin, die bereits seit Jahren von den Krankenkassen bei Risikoschwangeren bezahlt wird.
„Das Bundesforschungsministerium hat die Entwicklung der Bluttests gefördert, um das Fehlgeburtsrisiko bei der Diagnostik zu senken. Ein Verbot dieser Tests wäre ethisch und medizinisch nicht zu erklären“, sagte sie. Zudem bestünde durch die Etablierung der Bluttests als Kassenleistung die Möglichkeit, eine verpflichtende Beratung für die werdenden Eltern einzuführen. Dies sei bei privat bezahlten Tests nicht möglich.
Gremium könnte über weitere genetische Tests beraten
Ähnlich argumentierte der SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach. Bisherige nichtinvasive Diagnostikverfahren seien mit vielen falsch-positiven Befunden behaftet, die dann meist eine Fruchtwasseruntersuchung nach sich ziehen würden. 19 von 20 Amniozentesen kämen dann schließlich zu dem Ergebnis, dass es keine Trisomie vorliegt. Viele von ihnen könnten vermieden werden, da die Bluttests nur sehr selten falsch-positive Ergebnisse lieferten.
„Medizinisch sind die nichtinvasiven Bluttests viel besser“, betonte Lauterbach. „Und ethisch kann man nicht den Frauen den besseren Test vorenthalten, die nicht das Geld dafür haben. Das wäre falsch“, sagte er. Zugleich warb Lauterbach für die Gründung eines interdisziplinär besetzen Gremiums zur Beratung über andere genetische Tests. „Wir werden Tests auf fast jede erdenkliche Krankheit bekommen“, erklärte er. Dafür sei ein neues Gremium nötig.
Die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr berichtete von ihren Sorgen in der eigenen Schwangerschaft. Dabei wies sie darauf hin, dass die Ergebnisse des Bluttests den Eltern Ängste nehmen könnte oder es ihnen ermögliche, sich auf die Geburt eines behinderten Kindes einzustellen. Sabine Dittmar, SPD, betonte, dass sich keine Frau die Entscheidung zu einem Schwangerschaftsabbruch leichtmachen werde. Es müsse ein Recht auf Nichtwissen sowie ein Recht auf Wissen geben, jedoch keine „Reihenuntersuchungen mit pränatalen Bluttests.
Dies betonte auch Stephan Pilisinger (CSU). Er forderte eine „klar definierte Begrenzung der Bluttests auf Risikoschwangerschaften“, und dies erst ab der 12. Schwangerschaftswoche sowie eine umfassende Beratung vor und nach dem Test. Thomas Rachel (CDU) erklärte, dass gerade eine Kostenübernahme durch die Kassen eine solche Beratung sicherstellen könne.
„Der Test kann nicht dazu dienen zu heilen, weil das Downsyndrom keine Krankheit ist“ Corinna Rüffer, Grüne
Eine Reihe von Abgeordneten wandte sich gegen pränatale Bluttests als Kassenleistung: Für die behindertenpolitische Expertin der Grünen, Corinna Rüffer, dient der Test hauptsächlich der Selektion. „Der Test kann nicht dazu dienen zu heilen, weil das Downsyndrom keine Krankheit ist“, erklärte sie und bedauerte, dass sich die Eltern bei der Diagnostik eines Downsyndroms des Ungeborenen meist für eine Abtreibung entschieden. „Wir leben in einer Gesellschaft, die ungeübt ist im Umgang mit einer Behinderung“, beklagte die Mutter einer Tochter mit Trisomie 21.
Dagmar Schmidt, SPD, ebenfalls Mutter eines Kindes mit Downsyndrom, sprach sich gegen eine Reduzierung der Debatte auf die soziale Frage der Kassenleistung aus. Man brauche einen grundsätzlichen Rahmen für vorgeburtliche Untersuchungen. Auch das „Recht auf Nichtwissen“ müsse Routine in der Begleitung von Schwangeren sein. „Es ist nicht der Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen, Diagnosen zu finanzieren, auf die keinerlei ursächliche Therapie folgen kann, weil es diese schlicht nicht gibt“, meinte Kathrin Vogler, Linke.
Kassenleistung versus Lebensrecht
Der AfD-Abgeordnete Volker Münz warnte, dass die Kostenübernahme der Tests durch die Kassen zu einer veränderten Wahrnehmung der Kinder mit Downsyndrom als „etwas Vermeidbares“ führen könnte. „Der Test darf keine Routine werden“, sagte er. Notwendig sei stattdessen eine „Willkommenskultur für alle Kinder".
Auch für Michael Brand (CDU) geht es bei der Debatte im Kern um den Schutz des Lebensrechts, nicht nur um Kassenleistungen. Wenn der Test Routine werde, steige der Druck auf Eltern, behinderte Embryos abzutreiben, meint auch er. Bereits jetzt führe die Diagnose Downsyndrom in 90 Prozent der Fälle zum Schwangerschaftsabbruch.
„Jeder Mensch hat einen Anspruch, gewollt zu sein“, betonte Rudolf Henke, CDU. Menschenwürde und Lebensrecht dürften nicht von genetischen Eigenschaften abhängen. Deshalb brauche man ein anderes Konzept der Beratung, forderte er.
Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) verwies auf Erfahrungen in Island, wo der Test flächendeckend sei. Dort kämen kaum noch Kinder mit Downsyndrom zu Welt. Für Deutschland solle gelten: Wenn der Test finanziert werden solle, dann nur statt der Amniozentese, aber nicht generell. © ER/aerzteblatt.de

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