Politik
„Eine Vollakademisierung führt zu einer weiteren Schließung von Kreißsälen“
Donnerstag, 18. April 2019
Berlin – Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat im März einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Vollakademisierung des Hebammenberufes vorsieht. Grundlage ist die EU-Richtlinie 2005/36/EG, die die Anerkennung von beruflichen Qualifikationen von reglementierten Berufen regelt. Der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Frank Louwen, erklärt im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt, warum die DGGG eine Vollakademisierung skeptisch sieht.
Fünf Fragen an Frank Louwen, DGGG
DÄ: Herr Professor Louwen, warum kritisieren Sie die geplante Vollakademisierung der Hebammenausbildung?
Frank Louwen: Wir kritisieren, dass ein sehr gut funktionierendes System der Teilakademisierung mit Hebammenschulen und Studiengängen ohne Not geändert werden soll – mit nicht absehbaren Folgen für die Versorgung werdender Mütter. Vor diesem Hintergrund ist die Begründung in dem Gesetzentwurf neben der Sache.
DÄ: Was meinen Sie damit?
Louwen: Das BMG begründet seinen Gesetzentwurf damit, dass die Gesundheitsversorgung in den vergangenen Jahrzehnten für die Hebammen anspruchsvoller und komplexer geworden sei. Hebammen müssten künftig in der Lage sein, ihr eigenes Handeln kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. Auch solle eine qualitativ hochwertige, modern ausgestaltete Hebammenausbildung entscheidend zur Attraktivität des Hebammenberufs beitragen.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die aktuelle Ausbildung an den Hebammenschulen nicht geleistet habe, was die Akademisierung leisten soll. Aus unserer Sicht ist das aber nicht richtig. Die deutschen Hebammenschulen werden ihrer Verantwortung vollumfänglich gerecht: Die Ausbildung ist beispielhaft und durch die Anbindung an die Krankenhäuser in der praktischen Ausbildung international führend.
Zu behaupten, dass heute die Ausbildung nicht einer komplexen und anspruchsvollen Gesundheitsversorgung gerecht werde, diskriminiert Tausende von Hebammen und Schülerinnen, die auf höchstem Niveau den Beruf erlernen beziehungsweise erlernt haben und vieltausendfach täglich in Deutschland ausüben.
Hebammen: Ärzte kritisieren Akademisierungspläne
Das Bundesgesundheitsministerium plant eine Vollakademisierung des Hebammenberufes. Während der Plan von den Hebammen begrüßt wird, befürchten Ärzte eine Zerfaserung der Zuständigkeiten sowie einen zusätzlichen Mangel an Hebammen im Krankenhaus während der Übergangszeit. Heute absolvieren Hebammen eine dreijährige Ausbildung an Hebammenschulen. Auf der Basis der EU-Richtlinie 2005/ 36/EG (...)
DÄ: Welche Folgen hätte eine Vollakademisierung für die Geburtshilfe in Deutschland?
Louwen: Eine Vollakademisierung ab 2020 würde zu einer weiteren Schließung von Kreißsälen in Deutschland führen. Denn zum einen sind noch bei Weitem nicht genügend Studiengänge und Studienplätze eingerichtet, um die in der klassischen Hebammenausbildung wegfallenden Ausbildungsplätze zu kompensieren.
Dem im Gesetzentwurf vorgesehenen Aufnahmestopp in den Hebammenschulen ab 2020 ist also entschieden entgegenzutreten. Wenn nicht sehenden Auges massive Versorgungsmängel in Kauf genommen werden sollen, ist eine mindestens fünfjährige evaluierte Übergangsphase mit weiterer Koexistenz von Hebammenschulen und neu einzurichtenden Studiengängen unumgänglich.
Und zum anderen werden weniger Hebammen in den Kreißsälen ankommen. Heute werden mehr als 700 Absolventinnen der Hebammenschulen jährlich in den Kreißsälen eingesetzt. Unter den voraussichtlich etwa 400 bis 500 Hochschulabgängerinnen werden selbst von den Hebammenvertreterinnen jährlich zukünftig nur die Hälfte in den Kreißsälen erwartet. Dieses wird die Versorgungssituation nachhaltig bereits ab 2023 negativ beeinflussen, weitere Kreißsaalschließungen werden konsekutiv folgen.
Die Schwangerenvorsorge wird dagegen in den Mutterschafts-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses sowie im Mutterpass geregelt. Diese Vorgaben haben in den vergangenen sechs Dekaden ein international nicht erreichtes Vorsorgesystem etabliert, das sich auch in so globalen Parametern wie der maternalen und neonatalen Morbidität und Mortalität positiv niederschlägt. In der Europäischen Union ist dieses Modell beispielgebend.
DÄ: Und welche Auswirkungen wird die Akademisierung auf die Zusammenarbeit von Ärzten und Hebammen in den Kreißsälen haben?
Louwen: Derzeit sind Mütter in Deutschland in der privilegierten Situation, von zwei Berufsgruppen im Team unter der Geburt unterstützt zu werden. Die in den Kreißsälen gemeinsam arbeitenden Hebammen- und Ärztinnenteams leisten Herausragendes.
Die Zusammenarbeit beginnt schon mit der gemeinsamen Ausbildung. Hebammenschüler arbeiten in ihrer breiten Praxisausbildung seit Jahrzehnten mit ihren ärztlichen Kollegen zusammen. Und diese wiederum profitieren sowohl in ihrer sechsjährigen Studienzeit wie auch in der Facharztweiterbildung von den erfahrenen Hebammen.
Durch die vorgesehene Auslagerung der Hebammenschulen an Fachhochschulen und die verkürzte Praxiszeit während der Ausbildung, die von 3.000 auf 2.100 Stunden zurückgehen soll, werden sich die Berufe voneinander entfernen – zum Nachteil der werdenden Mütter.
aerzteblatt.de
- Hebammen: Evangelische Krankenhäuser befürworten Akademisierung
- Hebammen schicken Postkarten an Spahn
- Hebammenausbildung: Frauenärzte protestieren gegen Studienpläne
- Hebammenverband fordert zügige Einführung von Studiengängen
- Ausbildungsreform: Hebammen verteidigen geplante Akademisierung
- Hebammen wollen „Geburtshilfe-Stärkungsgesetz“
- Hebammen: Weiter Streit um Akademisierung
- Hebammenkreißsäle sollen Geburtshilfe stärken
Problematisch sehen wir zudem, dass Ärzte in dem Gesetzentwurf dazu verpflichtet werden, dafür Sorge zu tragen, dass bei einer Geburt eine Hebamme hinzugezogen wird. Das würde bedeuten, dass auch in Situationen, in denen gar keine Hebamme anwesend sein müsste, zum Beispiel bei einem Kaiserschnitt oder bei einer Frühgeburt, eine Hebamme hinzugezogen werden muss, auch wenn parallel vielleicht Frauen im Kreißsaal zu betreuen sind.
DÄ: Was fordern Sie?
Louwen: Der Gesetzentwurf ist nur unter Einbeziehung des Deutschen Hebammenverbandes, DHV, entstanden. Wir fordern eine umfassende Korrektur des Entwurfes und die Einbeziehung nicht nur des DHV, sondern unter anderem auch der DGGG, die mit ihren Mitgliedern in den Kliniken für fast 99 Prozent der Geburten in Deutschland die Verantwortung trägt, und dem Berufsverband der Frauenärzte, der 99 Prozent der Schwangeren mit seinen Mitgliedern versorgt.
Hebammen: Ärzte kritisieren Akademisierungspläne
Das Bundesgesundheitsministerium plant eine Vollakademisierung des Hebammenberufes. Während der Plan von den Hebammen begrüßt wird, befürchten Ärzte eine Zerfaserung der Zuständigkeiten sowie einen zusätzlichen Mangel an Hebammen im Krankenhaus während der Übergangszeit. Heute absolvieren Hebammen eine dreijährige Ausbildung an Hebammenschulen. Auf der Basis der EU-Richtlinie 2005/ 36/EG hat das
Zudem muss dem bereits bestehenden strukturellen Hebammenmangel begegnet werden. Das geht aber nur, wenn die Arbeitsbedingungen für Hebammen wie auch für Ärztinnen und Ärzte umgehend geändert werden. Dieses ist eine zentrale Forderung der DGGG. Für diesen Aspekt bedarf es ausdrücklich nicht eines Hebammengesetzes, sondern einer ausreichenden Finanzierung der Personalstellen in der Geburtshilfe. Heute wird die vaginale Geburt derart unterfinanziert, dass Personalengpässe mit Überforderung durch Überbelastung in der Schicht die Regel sind.
Bereitschaftsdienstbefreite Schwangerenvorsorge ist hier ein willkommenes und finanziell gleichwertiges Arbeitsfeld. Heute arbeiten 10.000 Hebammen in 700 Kliniken und weitere 10.000 Hebammen außerklinisch. Die Versorgungsrelation Hebamme zu Geburt ist entsprechend different.
Kommen auf 1.000 Geburten lediglich 24,5 Hebammen in den Kliniken, so ist die Relation bei der nur in 1,2 Prozent von den werdenden Müttern nachgefragten außerklinischen Geburt 1,5 Hebammen auf eine Geburt. Es besteht also ein struktureller Hebammenmangel in den Kreißsälen, dem der Referentenentwurf nicht entgegenwirkt, den er vielmehr verschärft. © fos/aerzteblatt.de

Nachrichten zum Thema
