Politik
Das Recht darf zur Sterbehilfe nicht schweigen
Dienstag, 16. April 2019
Karlsruhe – Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat vor falschen Erwartungen an das Verfahren zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gewarnt. Es gehe „nicht um die moralische oder politische Beurteilung der Selbsttötung und ihrer Folgen für die Gesellschaft, (...) sondern allein um die Reichweite des Freiheitsraums, den das Grundgesetz einer staatlichen Strafdrohung entgegensetzt“, sagte er heute zum Auftakt der zweitägigen Verhandlung in Karlsruhe (Az.: 2 BvR 2347/15 und andere).
Verhandelt werden Verfassungsbeschwerden von schwerstkranken Menschen, Ärzten und Sterbehilfevereinen gegen den neuen Paragrafen 217 des Strafgesetzbuchs. Er verbietet seit Dezember 2015 Sterbehilfe als Dienstleistung. Sterbehilfevereine sehen Grundrechte verletzt, weil ihre Mitglieder nicht tätig werden könnten. Einzelne Ärzte argumentieren, der Paragraf stelle nicht sicher, dass im Einzelfall geleistete Suizidhilfe straffrei bleibe.
Voßkuhle nannte die Suizidhilfe ein kontroverses und hoch emotionales Thema. „Leben und Sterben – und der Einfluss, den jeder Einzelne von uns hierauf nehmen darf, das rührt an den Grundfesten ethischer, moralischer und religiöser Überzeugungen“, sagte er. „Das Recht darf hier nicht schweigen.“
Nach Überzeugung des Vereins Sterbehilfe Deutschland ist die gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe inhuman. Sie verweise Menschen, die ihr Leben wegen einer unerträglicher Krankheit selbst beenden möchten, auf die Unterstützung von Laien, sagte der Bevollmächtigte Bernd Hecker heute in Karlsruhe. Für viele Betroffene sei ärztliche Unterstützung beim Suizid auch deswegen alternativlos, weil ihnen Verwandte nicht zur Verfügung stehen oder stehen wollen, sagte Christoph Knauer als Bevollmächtigter eines Beschwerdeführers. „Das Gesetz steht in keinem Verhältnis zur Einschränkung des Klägers“, sagte Knauer.
Mitwirkung bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe
Für Ulrich Clever, ehemaliger Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg und als „sachverständiger Dritter“ zur heutigen mündlichen Verhandlung geladen, ist die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe. Es gehe um Sterbebegleitung und nicht um Sterbehilfe, hieß es heute in einer Mitteilung der Ärztekammer.
Clever zufolge darf das Sterben durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung ermöglicht werden, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht. „Voraussetzung ist immer das aufklärende Gespräch mit dem Sterbenden, hinzu kommen die verschiedenen und differenzierten individuellen Moralvorstellungen von Ärzten in einer pluralistischen Gesellschaft als Grundlage einer patientenorientierten ärztlichen Sterbebegleitung“, erklärte Clever.
Als ebenfalls geladener Sachverständiger bekräftigte Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), heute vor dem Bundesverfassungsgericht, dass die strafrechtliche Regelung mittels Paragraf 217 StGB die Palliativversorgung von schwerstkranken Menschen auch dann gewährleiste, wenn diese einen Sterbewunsch äußern.
„Es zählt unbedingt zu den Aufgaben aller in der Palliativversorgung Tätigen, sich offen und respektvoll mit Sterbewünschen, wie auch Suizidwünschen im engeren Sinne, auseinanderzusetzen“, sagte Radbruch einer Mitteilung der DGP zufolge. Es sei zu kurz gegriffen, einen geäußerten Todeswunsch als konkrete Handlungsaufforderung im Sinne einer Bitte um Suizidbeihilfe zu verstehen, hob der Präsident der DGP hervor.
Er wies darauf hin, dass Ärzte in der Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden insbesondere in der Palliativversorgung immer wieder mit Sterbewünschen ihrer Patienten konfrontiert würden. Die tägliche Praxis zeige aber, dass dies oft den Wunsch nach einem offenen Gespräch zum Ausdruck bringe, nach alternativen Angeboten und nach einem gemeinsamen Aushalten der bedrückenden Situation.
Für die kleine Zahl an schwerstkranken Menschen, bei denen mit den Möglichkeiten der Palliativversorgung keine ausreichende Leidenslinderung erreicht werden kann und für die eine palliative Sedierung nicht in Frage kommt, stünden Alternativen zu einem Suizid zur Verfügung. Patienten hätten ein Recht auf Verzicht oder Abbruch jeder Art von lebensverlängernder Therapie. Dies umfasst zum Beispiel auch das Abstellen der kontrollierten Beatmung bei Patienten, die nicht mehr selbständig atmen können.
Grenzen dürfen nicht überschritten werden
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, betonte heute, die Tötung von Patienten, auch wenn sie auf dessen Verlangen erfolge, sowie die Beihilfe zum Suizid gehörten nach den Berufsordnungen aller Ärztekammern in Deutschland nicht zu den Aufgaben von Ärzten. Werde Suizidhilfe zum akzeptierten Spektrum ärztlicher Tätigkeit erklärt, könnte in der Folge an alle Ärzte die Erwartung gerichtet werden, dass sie bei der Selbsttötung medizinisch unterstützen müssten.
„Eine solche Erwartung stünde im eklatanten Widerspruch zur medizinisch-ethischen Grundhaltung der Ärzteschaft und zu den grundlegenden Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten“, so Montgomery. „Ein Arzt überschreitet eine Grenze, wenn er seinem Patienten durch die aktive Tötung oder durch die Verfügungsstellung eines Medikamentes direkt zum Tode hilft“, sagte er heute auch dem Inforadio vom rbb.
Aufgabe eines Arztes sei es nicht, Menschen zu töten, oder ihnen den Weg in den Tod zu ebnen. Ihre Aufgabe sei es stattdessen, „einem Menschen den unausweichlichen Vorgang des Sterbens so erträglich wie irgend möglich zu machen“. Dazu gebe es heute Palliativmedizin. „Wir müssen als Ärzte klar sein, dass wir als Helfende, als Heilende ans Bett treten und nicht als Tötende“, so Montgomery. Mit Blick auf die Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht betonte er, er sei zuversichtlich, dass der gefundene Kompromiss, der auf einem guten Patienten-Arzt-Verhältnis, einem Vertrauensverhältnis aufbaue, vom Gericht bestätigt werde.
Für den Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, laufen Palliativmediziner derzeit nicht Gefahr, wegen Suizidbeihilfe angeklagt zu werden. Der entsprechende Paragraf 217 des Strafgesetzbuches verbiete nicht generell die Suizidbeihilfe durch Ärzte. „Nur wenn es kontinuierlich und auf Dauer angelegt ist, dann gibt es ein Problem“, sagte er dem Südwestrundfunk.
Dabrock bezeichnete die ethischen Abwägungen bei Suizidbeihilfe als „sehr ernstes Thema“, das nicht „leichtfertig" entschieden werden könne. Eine Gesellschaft müsse alles dafür tun, dass jeder Mensch in Würde sterben könne. Dies bedeute aber nicht, so Dabrock weiter, „dass der Staat Mittel zur Verfügung stellen muss oder dass Vereine, die hier ein Geschäft mit dem Tod betreiben, ihre Ziele verfolgen können“. © dpa/kna/afp/may/aerzteblatt.de

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