Medizin
Häufige Anaphylaxien gefährden Nutzen der spezifischen Immuntherapie bei Erdnussallergie
Freitag, 26. April 2019
Hamilton/Ontario – Schwere allergische Reaktionen bis hin zur Anaphylaxie, vor denen die spezifische Immuntherapie Kinder mit Erdnussallergie langfristig schützen soll, traten während der mehrjährigen Behandlungszeit in randomisierten Studien deutlich häufiger auf als in den Kontrollgruppen, wie jetzt eine Metaanalyse im Lancet (2019; doi: 10.1016/S0140-6736(19)30420-9) zeigt.
Die spezifische Immuntherapie, die als Hyposensibilisierung vor mehr als 100 Jahren zunächst für die Behandlung des Heuschnupfens entwickelt wurde und dort mittlerweile als evidenzbasiert gilt, wird seit einigen Jahren auch bei Nahrungsmittelallergien erprobt. Die häufigste Form ist vermutlich die Erdnussallergie, an der in hochentwickelten Ländern 2 % der Kinder und 1 % der Erwachsenen leiden sollen.
In den letzten Jahren wurden mehrere randomisierte klinische Studien veröffentlicht, in denen überwiegend gezeigt werden konnte, dass die spezifische Immuntherapie die Menge der Erdnüsse steigert, die die Betroffenen am Ende verzehren können, ohne dass es zu allergischen Reaktionen kommt. Die Toleranz bleibt jedoch meist auf wenige Erdnüsse begrenzt. Die Betroffenen sind vor der versehentlichen Exposition einer geringen Menge, etwa beim Essen im Restaurant, geschützt. Ein normaler Verzehr von Erdnüssen ist in der Regel nicht möglich.
Während der spezifischen Immuntherapie, bei der die Exposition langsam gesteigert wird, kommt es immer wieder zu allergischen Reaktionen, auf die die Patienten hingewiesen werden und die notfalls durch Injektion von Epinephrin beendet werden müssen.
Derek Chu von der McMaster University in Hamilton/Ontario und Mitarbeiter haben hierzu jetzt die Ergebnisse aus 12 randomisierten klinischen Studien (darunter 3 bisher nicht publizierte) ausgewertet, in denen die Wirkung der spezifischen Immuntherapie mit Placebo oder einer Vermeidungsstrategie verglichen wurde. Die 1.041 Teilnehmer der Studien waren median 8,7 Jahre alt. Endpunkte waren die Häufigkeit von allergischen oder unerwünschten Reaktionen im Allgemeinen und Anaphylaxien im Besonderen, sowie der Einsatz von Epinephrin und die Auswirkungen auf die Lebensqualität.
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Die meisten Endpunkte traten unter der spezifischen Immuntherapie häufiger auf: So kam es bei 22,2 % der Teilnehmer während der Behandlungszeit zu einer anaphylaktischen Reaktion gegenüber 7,1 % in den Vergleichsgruppen. Chu ermittelt eine Risk Ratio (RR) von 3,12, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,76 bis 5,55 signifikant war. Unter der spezifischen Immuntherapie kam es auch doppelt so häufig zum Einsatz eines Epinephrin-Pens (8,2 versus 3,7 %; RR 2,21; 1,27-3,83) und zu schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen nach der Definition der FDA (RR 1,92; 1,00-3,66). Die Nebenwirkungen betrafen Gastrointestinaltrakt (Erbrechen, Bauchschmerzen, Juckreiz im Mund), Haut und Schleimhäute (Urtikaria, Schwellungen oder Angioödem), Nase (Verstopfung oder Rhinitis) und Lunge (Atemnot oder Asthma).
Ein negativer oder positiver Einfluss auf die Lebensqualität war dagegen nicht nachweisbar. Dies steht laut Chu im Gegensatz zu den Ergebnissen aus Beobachtungsstudien, die der spezifischen Immuntherapie in diesem Punkt einen Nutzen bescheinigt hatten.
Die Ergebnisse werfen Fragen zum Nutzen der zeitaufwendigen Behandlung auf, sie stellen die Effektivität der spezifischen Immuntherapie jedoch nicht infrage. Am Ende der Behandlung bestanden die Teilnehmer 12 mal häufiger einen Expositionstest (RR 12,42; 6,82-22,61), der allerdings in der Regel mit einer geringen Menge Erdnüsse durchgeführt wird.
Die Interpretation der Ergebnisse dürfte deshalb unterschiedlich ausfallen. Einem erhöhten Risiko von allergischen Reaktionen, die allerdings in den Studien in keinem Fall zum Tod führten, steht eine gewisse Toleranz gegenüber, die die Betroffenen im weiteren Leben bei einem versehentlichen Verzehr schützt. Da größere Mengen weiterhin zu allergischen Reaktionen führen können, dürften die Allergiker jedoch nicht auf ihr Notfallset verzichten können. © rme/aerzteblatt.de
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