Politik
Theologen sehen Kommunikationsprobleme bei der Organspende
Donnerstag, 23. Mai 2019
Berlin – Zum Hauptstadtkongress geladene Theologen glauben nicht, dass sich durch die Einführung einer Widerspruchslösung bei der Organspende – wie sie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgeschlagen hat – eine Trendwende bei den Organspendezahlen in Deutschland herbeiführen lässt.
Zumindest sei das nicht möglich, ohne dass die Bevölkerung das Vertrauen in die Transplantationsmedizin verliere, meinte Margot Papenheim, Theologin und Verbandsreferentin der Evangelischen Frauen in Deutschland. Nach ihrer Ansicht mangelt es derzeit an umfassender Aufklärung und sachlicher Information zum Thema Organspende.
„Stattdessen werden wir mit emotionalisierten Werbekampagnen für die Organspende konfrontiert“, kritisierte sie heute bei der Podiumsdiskussion „Wo liegt das Problem bei der Organspende in Deutschland“ auf dem Hauptstadtkongress. „Die Menschen brauchen Informationen, aber keine moralischen Appelle“, betonte sie.
Die Evangelischen Frauen wünschten sich zudem eine umfassende, gesellschaftliche Diskussion um den Hirntod, sagte Papenheim. Nach ihrer Auffassung sei er nicht mit dem Tod selbst gleichzusetzen. Hirntote seien Sterbende. „Die Definition des Hirntodes darf nicht nur der Ärztekammer überlassen werden“, meinte sie.
Dem widersprach der Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth, Eckhard Nagel. Für den langjährigen Transplantationsmediziner, der auch dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages angehört, ist der Hirntod sei die plausibelste Definition des Todes und eine „sicherere und klare Orientierung“.
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„Wir müssen gegebenenfalls mit der Organspende aufhören, falls wir einmal zu der Erkenntnis kommen, dass ein Hirntoter nicht tot ist“, sagte er. Aber nach mittlerweile jahrzehntelanger Forschung auf diesem Gebiet sei man zu keinen anderen Erkenntnissen gelangt, bestätigte Dag Moskopp, Neurochirurg am Vivantes Klinikum Berlin-Friedrichshain.
Nagel verteidigte zudem die Festlegung der Hirntodrichtlinie durch die Bundesärztekammer. Glücklicherweise gebe es Organisationen, die aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse fundierte Entscheidungen treffen können, betonte der Arzt und Medizinethiker.
Gleichfalls wies er Papenheims Kritik an der Aufklärungskampagne zur Organspende zurück. Er halte es als Arzt, für den die Patienten im Mittelpunkt stünden, nicht für verwerflich, die positiven emotionalen Momente zu teilen, die man im Zusammenhang mit der Organspende erlebe. „Eine Form freier Entscheidung ohne diese Beispiele gibt es nicht.“
Der Krankenhausseelsorger des Vivantes Klinikum Berlin-Friedrichshain, Pfarrer Ringo Effenberger, warnte davor, die Not der Menschen auf der Warteliste gegen die Not der potenziellen Spender und deren Angehörigen auszuspielen. Ärzte ließen sich viel zu selten auf die Sprache der Angehörigen ein. Es herrsche häufig ein Kommunikationsproblem.
„Wenn wir es aber künftig schaffen, einer empathischen Kommunikation Raum zu geben, können wir zu tragfähigen Lösungen kommen“, betonte er. Die Einführung einer Widerspruchslösung halte er dennoch für einen „Irrweg“. Sie pervertiere den grundsätzlich freiwilligen Charakter einer Spende. Zudem müsse ein Mensch auch das Recht haben, sich nicht zu äußern.
Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, betonte, dass man kein Interesse daran haben dürfe, Menschen zu einer Organspende zu überreden. Jeder sollte die Frage für sich persönlich und selbstbestimmt beantworten.
Damit diese Entscheidung aber tatsächlich im Ernstfall zum Tragen kommt, müsse aber sichergestellt werden, dass sie in den Krankenhäusern auch abgefragt werde und mögliche Organspender an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gemeldet werden.
„Das Denken an die Organspende macht die Kultur der Organspende aus“, betonte der Arzt. Studien hätten bislang leider gezeigt, dass in vielen Krankenhäusern häufig gar nicht an die Möglichkeit einer Organspende gedacht wird beziehungsweise dass sie aufgrund von Personalmangel nicht realisiert wird. © ER/aerzteblatt.de

Organspende
"Damit diese Entscheidung aber tatsächlich im Ernstfall zum Tragen kommt, müsse aber sichergestellt werden, dass sie in den Krankenhäusern auch abgefragt werde und mögliche Organspender an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gemeldet werden"
und merke an :
Man versetze sich in die Lage eines Menschen, der ins Krankenhaus kommt, möglicherweise schwer krank, und der dann mit der Frage "wollen Sie Organe spenden" konfrontiert wird. Ich würde diese Frage nicht stellen wollen. Die viel vernünftigere, unauffällige Lösung ist doch, bereits in der Schule die Problematik zu besprechen (Ethik-Unterricht) und bereits jungen Menschen nahe zu legen, eine Patientenverfügung zu erstellen und stets bei sich zu tragen, die alle Entscheidungen (auch Verfahren im Wachkoma!) enthält.

Finger in die Wunde
Hierzu interessant ist die Stellnungnahme des Deutschen Ethikrates von 2015 - damals hat eine Minderheit des Rates u.a. auch dessen damalige Vorsitzende, die Medfizinerin/ Medizinethikerin Prof. Christiane Woopen, genau diese Position vertreten und eine differenzierte Aufklärung und gesellschaftliche Debatte gefordert.
https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Infobrief/Infobrief_0215_Web-neu.pdf
Davon sind wir bedauerlicherweise immer noch weit entfernt.

Werbekampagne oder selbstbestimmte Entscheidung?
Dass der Hirntod mit dem Tod selbst gleichzusetzen ist, ist durch noch so fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse nicht zu beweisen, es ist reine Glaubenssache und auch unter Medizinern heftig umstritten.
Und wenn das Ja zur Organspende auf einer selbstbestimmten Entscheidung fußen soll, dann ist eine Werbekampagne alles andere als hilfreich. Dann wäre viel eher eine ehrliche, ergebnisoffene Aufklärung angebracht, wie sie für jeden chirurgischen Eingriff selbstverständlich ist.
Hans-Joachim Ritz, Hannover

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