Politik
Kassen und Kliniken bei Abrechnungsprüfungen in Eskalationsspirale gefangen
Dienstag, 21. Mai 2019
Berlin – Im Streit um möglicherweise falsche Krankenhausabrechnungen sieht der Bundesrechnungshof (BRH) Krankenhäuser und Krankenkassen in einer Eskalationsspirale gefangen. Das betonen die Rechnungsprüfer in einem rund 60 Seiten starken Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags, der dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) vorliegt.
„Im Wettbewerb untereinander nutzen Krankenhäuser bestehende Anreize für erlösorientiertes Abrechnen konsequent aus. Für Krankenkassen lohnt sich im Gegenzug eine Ausweitung der Abrechnungsprüfung, weil dadurch noch mehr fehlerhafte Abrechnungen identifiziert und weitere Rückzahlungen erzielt werden können“, schreibt der BRH. Im Klartext: Je mehr die Krankenkassen prüfen, desto mehr Rückforderungen können sie erzielen, desto mehr eigene Kosten verursachen sie zugleich. Die Kosten insgesamt steigen in die Höhe. Für die Rechnungsprüfer ein Problem. Sie monieren, dass sich die so gebundenen finanziellen und personellen Kapazitäten „zunehmend zulasten der Patientenversorgung“ auswirkten.
Die Rechnungsprüfer nennen dafür Zahlen: So hätten die Krankenkassen alleine im Jahr 2016 durch Prüfungen Rückzahlungen von mehr als 1,2 Milliarden Euro von den Krankenhäusern erzielt. Geschätzt hätten damals alle Krankenkassen rund 2,2 Milliarden Euro an Rückforderungen durchgesetzt. Zugleich hätten die Kassen für die Prüfungen aber auch rund 800 Millionen Euro ausgegeben. Den Aufwand bei den Kliniken konnte der BRH nicht beziffern.
Die Prüfer regen konkret an, der gemeinsamen Selbstverwaltung schärfere Vorgaben zu machen. Grund sei auch, dass es GKV-Spitzenverband und Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) bislang immer noch nicht gelungen sei, alle offenen Verfahrensfragen zu den Abrechnungen zu klären und gemeinsame Umsetzungshinweise zur Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) zu erarbeiten. Es sei noch nicht einmal geglückt, sich auf ein Verfahren zur elektronischen Übermittlung von Daten zwischen Krankenhäusern und Medizinischem Dienst zu verständigen.
Strategie im Spiel
Ebenso wirkungslos sei bisher ein bestehender Schlichtungsausschuss zur verbindlichen Klärung von Kodier- und Abrechnungsfragen. Dieser sei „aus strategischen Gründen“ bislang nur einmal angerufen worden, obwohl eine Vielzahl kritischer Kodier- und Abrechnungsfragen bestünden, moniert der BRH, der anregt den Anreiz für ein korrektes Abrechnungsverhalten der Krankenhäuser zu stärken.
So sollten Krankenhäuser wie derzeit auch die Krankenkassen bei überhöhten Rechnungen Sanktionen befürchten müssen. Derzeit müssen die Kassen den Kliniken bei ergebnislosen Prüfverfahren eine Aufwandspauschale von 300 Euro bezahlen. Dies hat sich dem BRH zufolge 2016 auf rund 144,5 Millionen Euro summiert. Falls ein Prüfverfahren zur Minderung einer Krankenhausabrechnung führt, sollten künftig auch die Kliniken zur Kasse gebeten werden, schlägt der BRH vor.
Krankenhausbehandlung in Zahlen
Die Ausgaben für die stationäre Krankenhausbehandlung bildet den größten Kostenblock an den Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). 2017 lagen die Ausgaben der GKV dafür bei rund 74,9 Milliarden Euro. Jährlich werden etwa 20 Millionen Patienten vollstationär im Krankenhaus behandelt.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft habe zwar dagegen eingewandt, ein Krankenhaus befände sich im Gegensatz zur Krankenkasse in einer passiven Situation und könne nur reagieren. „Dies überzeugt aus Sicht des Bundesrechnungshofes nicht. Bei fehlerhafter Abrechnung gibt ein Krankenhaus aktiv Anlass für eine Überprüfung“, schreiben die Rechnungsprüfer.
Ziel muss es aus Sicht des BRH sein, ein Abrechnungs- und Prüfsystem zu schaffen, das ein korrektes Abrechnen fördert, ein gegenseitiges Wettrüsten von Krankenhäusern und Krankenkassen unterbindet und mit weniger Aufwand beherrschbar ist.
Schlichtungsstelle vorschalten
Im Konfliktfall hält der BRH es daher auch für notwendig, „konsequent nach Möglichkeiten einer niederschwelligen Konfliktbewältigung zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern bei streitigen Abrechnungen zu suchen“. Er schlägt ein verbindliches und für die unterlegene Partei kostenpflichtiges Schlichtungsverfahren vor. Dieses sollte vor einer Beauftragung des Medizinischen Dienstes und vor einer Klageerhebung stattfinden müssen.
Hintergrund ist nicht zuletzt, dass die Prüfungsverfahren derzeit bei allen Akteuren – einschließlich dem Medizinischen Dienst und den Sozialgerichten – einen hohen Aufwand verursachen, der in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen habe, wie der BRH schreibt.
Der Gesetzgeber habe darüber hinaus die Problematik selbst verschärft. So habe die mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz Ende des Jahres 2018 eingeführte erhebliche Verkürzung der Verjährungsfristen für Rückzahlungsansprüche der Krankenkassen zu einer Klageflut geführt. Bundesweit seien bei den Sozialgerichten derzeit mehr als 47.000 Klagen anhängig. „Da die Krankenkassen vielfach Sammelklagen einreichten, sind über 170.000 Fälle mit strittigen Abrechnungsbeträgen von insgesamt 417 Millionen Euro betroffen“, so der BRH, der auch Kritik am Abrechnungssystem übt.
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So sei das für die Abrechnung von Krankenhausleistungen vorgesehene DRG-System (Diagnosis Related Groups-System) in den vergangenen Jahren immer stärker ausdifferenziert worden. Die steigende Komplexität habe sowohl den Dokumentationsaufwand für Krankenhäuser als auch den Prüfaufwand für Krankenkassen und auch den Medizinischen Dienst erhöht.
„Das DRG-System erfordert eine Abrechnungsgenauigkeit, die in der Praxis oft nicht erreicht wird. Dies trägt zu regelwidrigem Verhalten bei. Es sollte hinterfragt werden, ob eine weitere Ausdifferenzierung erforderlich ist, mit welchem Nutzen sie verbunden wäre und ob ein angemessenes ,Kosten-Nutzen-Verhältnis' besteht“, heißt es vom BRH. Kassen und Kliniken würden das begrüßen, heißt es.
Die Bundesregierung hat ungeachtet des BRH-Berichtes inzwischen auf die Probleme zumindest mit neuen Vorschlägen reagiert, die im Referentenentwurf zu einem MDK-Reformgesetz beschrieben sind. So sollen zum Beispiel „Effizienz und Effektivität“ der Krankenhausabrechungsprüfung verbessert werden. Ab dem Jahr 2020 soll eine zulässige Prüfquote je Krankenhaus bestimmt werden, die den Umfang der von den Krankenkassen beauftragten Prüfungen begrenzt.
Radikaler Umbau des Medizinischen Diensts der Krankenkassen geplant
Berlin – Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) soll nach Plänen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) radikal umgebaut werden. Künftig soll die Institution, bei der bundesweit rund 9.000 Menschen beschäftig sind, eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts werden und „Medizinischer Dienst (MD)“ heißen [...]
Damit reagiert das BMG nach eigener Aussage auch auf die Kritik des BRH aus dem vergangenen Jahr an den pauschalen Abschlägen für Klinikrechnungen, die Krankenkassen und Krankenhäuser vereinbart hatten.
Über das Prüfgeschehen soll es der Bundesregierung zufolge auch eine bundesweit transparente Statistik geben. Eine Aufrechnung mit Rückforderungen der Krankenkassen gegen Vergütungsansprüche der Krankenhäuser soll nach der Reform grundsätzlich nicht zulässig sein.
Ebenso sollen Krankenkassen künftig an die Prüfergebnisse des Medizinischen Dienstes, der komplett umgebaut werden soll, gebunden sein und nach Abschluss der Prüfung diese nicht hinterfragen können. Krankenhäuser können das Prüfergebnis aber weiterhin gerichtlich prüfen lassen.
Mit dem Reformgesetz will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auch die jahrelangen strittigen Auffassungen bei einzelnen Codier- und Abrechnungsfragen „reduzieren“: Unter anderem soll künftig der Kreis derjenigen, die den zuständigen Schlichtungsausschuss anrufen können, erweitert werden.
Die Krankenhäuser wiesen heute erneut die Vorwürfe zurück, dass sie falsch abrechnen. Der Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) wirft dem BRH vor, nicht zu verstehen, wie die Zahlen zustande kommen. Was im Papier des BRH fehle, sei die Unterscheidung zwischen Falschabrechnung und strittiger Versorgungsform, monierte VKD-Präsident Josef Düllings. Er bemängelte erneut die seit langem kritisierte Fehlentwicklung der Prüfpraxis.
© may/aerzteblatt.de
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