Ärzteschaft
Diabetes: Die richtigen Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol
Freitag, 31. Mai 2019
Berlin – Alkohol hemmt die Gluconeogenese und senkt auf diese Weise den Blutzucker. Ist Alkohol demzufolge für Diabetiker vorteilhaft, gar empfehlenswert? Oder drohen ihnen im Gegenteil Unterzuckerungen?
Tatsächlich senke moderater Alkoholkonsum den Blutzucker von Diabetikern und sei bei gesunden Menschen mit einem niedrigeren Diabetesrisiko assoziiert, berichtete Joachim Spranger, Direktor der Medizinischen Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin anlässlich des diesjährigen Diabeteskongresses in der Hauptstadt. Auf der anderen Seite schade Alkoholkonsum der Adhärenz und könne auf nüchternen Magen getrunken Hypoglykämien auslösen – von all den anderen, nicht auf den Diabetes bezogenen gesundheitlichen Konsequenzen des Alkohols ganz zu schweigen.
Zehn Liter Bier und zwei Liter Wein oder Sekt trinken deutsche Männer im Schnitt pro Woche, bei Frauen sind es mit knapp vier Litern Bier und zwei Litern Wein oder Sekt pro Woche etwas weniger. „Die Mengen an Alkohol, die in Deutschland konsumiert werden, sind immer noch erheblich, auch wenn der Pro-Kopf-Verbrauch in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich abgenommen hat“, sagte Spranger. „Sie können davon ausgehen, dass bei ihren Patienten immer auch welche mit riskantem oder schädlichem Alkoholkonsum oder einer Alkoholabhängigkeit dabei sind“, wandte er sich an das Auditorium.
Als riskant gilt ein Konsum von mehr als 20 Gramm reinem Alkohol am Tag – bei Männern. Für Frauen liegt der Grenzwert bei zehn Gramm Reinalkohol. Von einem schädlichen Alkoholkonsum spreche man, so Spranger, wenn bereits negative gesundheitliche oder soziale Konsequenzen des Alkoholkonsums sichtbar seien. Dem Alkoholatlas 2017 zufolge konsumieren rund 18 Prozent der Männer und 14 Prozent der Frauen in Deutschland riskante Mengen Alkohol. Alkoholabhängig sind etwa 1,7 Millionen Menschen.
Eine entscheidende Frage, die sich beim Thema Alkohol und Diabetes unweigerlich stellt, ist, ob der Konsum von Alkohol eine Anpassung der Insulindosis erfordert, um Hypoglykämien zu vermeiden. Tatsächlich zeigt eine kleine Studie (Diabetes Care 2001; doi: 10.2337/diacare.24.11.1888), dass Diabetespatienten, die Wein statt Wasser zu trinken bekamen, in den folgenden 24 Stunden niedrigere Blutzuckerwerte aufwiesen. Eine Metaanalyse von neun Studien (Diabetic Medicine 2016; doi: 10.1111/dme.13259), in denen die Patienten zwischen 16 und 80 Gramm Alkohol erhielten, fand allerdings keine Unterschiede beim nachfolgenden Blutzucker. Hypoglykämien traten nicht auf.
Allerdings, so Spranger, sei in all diesen Studien der Alkohol zu den Mahlzeiten getrunken worden. Im Zusammenhang mit der Aufnahme von Nahrung drohten somit offenbar keine Hypoglykämien und sei auch keine Anpassung der Insulindosis erforderlich.
Aber unabhängig von den Mahlzeiten getrunken, könne Alkohol sehr wohl Hypoglykämien verursachen, so Spranger. Und die Gabe von Glukagon helfe in diesen Fällen nicht, wie er bekräftigte. Denn: „Alkohol führt nicht nur dazu, dass weniger Glukagon freigesetzt wird, sondern auch dazu, dass das, was da ist, weniger gut wirkt.“
Besonders problematisch bei einem alkoholbedingten Abfall der Blutzuckerwerte: „Unter Alkoholeinfluss reduziert sich die Wahrnehmung von Hypoglykämien“, warnte Spranger, wies aber darauf hin, dass beim Konsum von Alkohol nicht nur das Hypoglykämierisiko zu bedenken sei.
Studien zeigen, dass bei Patienten, die Alkohol trinken, mit zunehmendem Alkoholkonsum die Adhärenz schlechter wird: Sie essen ungesünder, bewegen sich weniger, lassen die Therapie schleifen und auch das Selbstmanagement des Blutzuckers leidet (Diabetic Medicine 2006; doi: 10.1111/j.1464-5491.2006.01878.x).
Was also sollte der Arzt seinen Diabetespatienten hinsichtlich Alkoholkonsums empfehlen? Angesichts dessen, dass verschiedene Studien über einen protektiven Effekt eines mäßigen Alkoholkonsums berichten, empfiehlt die S2-Leitlinie Psychosoziales und Diabetes: „Menschen mit Diabetes sollen darüber aufgeklärt werden, dass ein mäßiger, risikoarmer Alkoholgenuss mit einer guten Stoffwechseleinstellung und Diabetesprognose vereinbar ist.“
In Leitlinien weltweit (Diabetes Metabolism 2017; doi: 10.1002/dmrr.2965) gilt als mäßiger Konsum in der Regel eine Menge von einem Drink beziehungsweise einem Glas Wein/Bier für Frauen und zwei Drinks beziehungsweise zwei Gläsern Wein/Bier für Männer. Neben der Vorgabe von Höchstmengen sollte den Patienten außerdem empfohlen werden, den Alkohol zum Essen zu sich zu nehmen – und wenn das nicht geht, hinterher einen Snack zu verzehren.
Nur in Ausnahmefällen sei eine Reduktion der Insulindosis erforderlich. Sprangers Fazit: „Auch wenn es in den Leitlinien heißt, dass ein mäßiger Alkoholkonsum vertretbar ist, ich persönlich bin der Meinung, dass es am besten wäre, wenn die Patienten ganz ohne Alkohol auskämen.“ © nec/aerzteblatt.de

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