Politik
Leopoldina plädiert für Erlaubnis der Eizellspende
Mittwoch, 5. Juni 2019
Berlin – Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaft Leopoldina und der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften haben sich gestern Abend in Berlin für eine umfassende Neuregelung der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland sowie ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz ausgesprochen.
In ihrer jetzt veröffentlichten Stellungnahme „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung“ beschreiben sie einen dringenden gesetzlichen Handlungsbedarf aufgrund immenser wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin.
„Die derzeitigen rechtlichen Regelungen sind lückenhaft und orientieren sich nicht immer am Wohl des Kindes“, sagte der Jurist Jochen Taupitz, Sprecher der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“ der Leopoldina und der Akademienunion.
Zudem setze die bestehende Rechtslage betroffene Frauen und Paare häufig unter Druck, wenn sie im Ausland in Deutschland verbotene Verfahren in Anspruch nehmen würden. „Diese sind in vielen internationalen Studien mittlerweile hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Reproduzierbarkeit der Technik belegt“, erläuterte Taupitz. „Unser Embryonenschutzgesetz aber stammt von 1990 und erfasst einfach viele dieser neuen reproduktionsmedizinischen Entwicklungen nicht.“
Als besonders reformbedürftig sehen die Wissenschaftler die Regelungen zur Eizell- und Embryonenspende sowie zur künstlichen Befruchtung an. Auch über die Möglichkeit einer Leihmutterschaft müsse sich die Gesellschaft verständigen. „Wir wollen eine Diskussion anstoßen, die dann hoffentlich in der Geburt eines neuen Gesetzes mündet“, sagte der Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales, Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim.
Eizellspende umstritten
Besonders heftig umstritten ist die Eizellspende: Während die Samenspende in Deutschland erlaubt ist, ist sie hierzulande derzeit verboten. „Diese Ungleichbehandlung lässt sich schwerlich rechtfertigen. Wir empfehlen deshalb, dieses Verbot aufzuheben“, sagte Taupitz. Die Gründe, die zu diesem Verbot geführt hätten, seien mittlerweile entkräftigt.
So habe sich in internationalen Studien gezeigt, dass eine gespaltene Mutterschaft – also das Wissen um eine biologische und eine soziale Mutter – nach einer entsprechenden Aufklärung nicht problematisch für die betroffenen Kinder sei. Auch die Gewinnung von Eizellen sei mittlerweile schonend und ohne schwerwiegende Nebenwirkungen für die Spenderin möglich. Eine Ausnutzung sozialer Notlagen könne durch ähnliche Regelungen wie bei der Lebendorganspende unterbunden werden.
„Zwischen 2.000 und 3.000 Frauen deutsche Frauen gehen jährlich wegen einer Eizellspende ins Ausland, obwohl sie wissen, dass sie dort womöglich schlechter behandelt werden“, sagte Heribert Kentenich vom Fertility Center Berlin bei einer Podiumsdiskussion im Anschluss an die Vorstellung des 125-seitigen Papiers der Akademien.
Denn im Ausland werde oft die anonyme Eizellspende praktiziert, wodurch dem Kind das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf Kenntnis seiner Abstammung versagt bleibe. Insofern beeinträchtige das Verbot der Eizellspende in Deutschland indirekt das Kindeswohl, betonte der Gynäkologe.
Auch eine Embryonenspende erlaube das geltende Recht nur in Ausnahmefällen, sagte Taupitz. „Eine klare gesetzliche Regelung für die Spende und den Empfang gespendeter überzähliger Embryonen fehlt jedoch.“
Um die Elternschaft klar zu regeln und Kindern das Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung zu wahren, schlagen die Wissenschaftsakademien vor, das bestehende Samenspenderregister um Eizellspenden und Embryospenden zu erweitern. Werden bei der künstlichen Befruchtung Keimzellen von Dritten verwendet, sollten die Wunscheltern mit der Geburt des Kinds auch dessen rechtliche Eltern werden.
Das 30 Jahre alte Embryonenschutzgesetz erfasse viele neue Entwicklungen der Reproduktionsmedizin nicht, unterstrich auch Claudia Wiesemann, Mitglied der Arbeitsgruppe und Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin in Göttingen, gestern in Berlin. Es zwinge Fortpflanzungsmediziner zu einer dem heutigen internationalen Stand nicht mehr angemessenen Behandlung und führe zu unnötigen Risiken für Mutter und Kind.
Viele Probleme durch aktuelle Gesetzeslage
„Mit unserer Stellungnahme wollen wir zeigen, welche Probleme hauptsächlich erst wegen des Embryonenschutzgesetzes entstehen.“ Viele beziehen sich auf die Methode der In-Vitro-Fertilisation in Deutschland. Hierzulande ist es nämlich bei Strafe untersagt, von mehreren Embryonen denjenigen mit den besten Entwicklungschancen auszuwählen. Stattdessen müssen Mehrlingsschwangerschaften mit Frühgeburten in Kauf genommen werden. „Für die Kinder und die Frauen bringt das erhebliche Gesundheitsrisiken mit sich“, sagte Wiesemann.
Bei dem von den Wissenschaftlern favorisierten Elective-Single-Embryo-Transfer wird dagegen aus einer größeren Zahl von Embryonen nur derjenige mit der größten Entwicklungsfähigkeit ausgewählt und nur dieser der Frau übertragen – völlig unabhängig von seiner genetischen Ausstattung. Sicherlich werde dabei die Verwerfung von Embryonen in Kauf genommen, räumte Wiesemann ein. „Aber wir sollten die Lebenswelt der Paare sowie das Wohl von Mutter und Kind während der Schwangerschaft in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen stellen“, betonte sie.
Regelungsbedürftig ist nach Ansicht der Wissenschaftler zudem die Kryokonservierung von Eizellen: An vielen fortpflanzungsmedizinischen Zentren würden Eizellen kryokonserviert, zum Beispiel aus medizinischen Gründen vor einer Chemotherapie. Im Interesse der Frau, des Paares und des zukünftigen Kindes brauche man gesetzliche Rahmenbedingungen für die Aufbewahrung, Befruchtung und Übertragung.
Zudem sei eine Beschränkung der Finanzierung von künstlicher Befruchtung bei gesetzlich versicherten Paaren auf Ehepaare sowie auf enge Altersgrenzen medizinisch und gesellschaftlich kaum zu rechtfertigen. Die nur teilweise Erstattung der erheblichen Kosten der Behandlungen schaffe soziale Ungerechtigkeiten.
Änderungsbedarf sehen die Akademien auch bei der seit 2011 unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen Präimplantationsdiagnostik (PID). Insbesondere kritisieren sie eine uneinheitliche Entscheidungspraxis der Kommissionen sowie unterschiedlich hohe Kosten. Deshalb plädieren sie dafür, die Genehmigung durch eine Ethikkommission gänzlich entfallen zu lassen. Stattdessen solle der Arzt mit dem Patienten unter psychosozialer Beratung die Entscheidung treffen. Die Kosten für die PID sollten von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen werden.
Skepsis in der Politik
Politikerinnen bewerteten das gestern vorgestellte Papier sehr unterschiedlich: Karin Maag, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kann sich die Zulassung einer Eizellspende nicht vorstellen. „Ich möchte keine Embryonenverwerfung“, sagte sie bei der Podiumsdiskussion. Auch bezüglich der anderen Änderungsvorschläge der Akademien müsse sich die Gesellschaft fragen, ob sie die Empfehlungen der Wissenschaft übernehmen möchte.
Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, steht dagegen einer Gleichstellung von Eizell- und Samenspende offen gegenüber. „Ich sehe keine Grundlage für eine unterschiedliche Behandlung“, sagte sei. Auch überzählige Embryonen sollten nach ihrer Ansicht implantiert werden können.
Nach Ansicht von Kirsten Kappert-Gonther, Grünen-Obfrau im Gesundheitsausschuss des Bundestages, sollte die Gesetzgebung für die Fortpflanzungsmedizin zwar reformiert werden, es seien aber noch viele ethischen Fragen zu beantworten. „Fest steht für mich: Eine Kommerzialisierung der Eizellspende darf es nicht geben“, betonte sie. Gut gefiele ihr dagegen der Leopoldinavorschlag des Vorhaltens einer fakultativen psychosozialen Beratung für alle Paare, die fortpflanzungsmedizinische Maßnahmen in Anspruch nehmen würden.
Alle Politikerinnen betonten, dabei, dass es sich um ihre Einzelmeinung handele. Die Fortpflanzungsmedizin als vielschichtiges medizinethisches Thema müsse interfraktionell diskutiert werden. Gesetzesänderungen könnten nur auf der Basis von Gruppenanträgen angestrebt werden.
Der Bundesverband der Reproduktionsmedizinischen Zentren Deutschlands unterstützt indes uneingeschränkt den Vorschlag der Akademien. Für die Ärzte, ihre Teams und vor allen Dingen für deren Patienten müsse der Gesetzgeber endlich handeln und ein Fortpflanzungsgesetz in Angriff nehmen, ließen sie gestern verlautbaren.
Der staatliche Dirigismus scheue gerade im Moment nicht davor zurück, in kleinste Details der ärztlichen Tätigkeit einzugreifen. Die Regelungswut komme aber bei der seit Jahrzehnten fälligen „Überholung“ des Embryonenschutzgesetzes zu einem jähen Halt, kritisierten sie. © ER/aerzteblatt.de

Eizellspende

Erlaubnis der Eizellspende und Leihmutterschaft

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