Ärzteschaft
Fachgesellschaften warnen vor hormonaktiven Substanzen in Alltagsgegenständen
Dienstag, 11. Juni 2019
Berlin – Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) und die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) warnen vor hormonaktiven Substanzen in der Umwelt. Diese auch „endokrine Disruptoren“ genannten Stoffe können im Wasser oder in der Nahrung enthalten sein. Sie finden sich aber auch in Kosmetika, Kinderspielzeug oder Gebrauchsgegenständen. DGE und DDG fordern, diese Substanzen umgehend aus dem Verkehr zu ziehen.
Die Disruptoren können hormonelle Vorgänge im menschlichen Körper imitieren oder stören und haben den Fachgesellschaften zufolge mit hoher Wahrscheinlichkeit Einfluss auf die Entwicklung und Fruchtbarkeit des Menschen. Möglicherweise steigerten sie zudem das Risiko für Erkrankungen wie Krebs oder Adipositas.
„Viele dieser hormonaktiven Substanzen sind aufgrund ihrer chemischen Struktur sehr stabil und reichern sich in der Umwelt, in der Nahrungskette und letztlich auch im Fettgewebe von Tieren und Menschen an“, erläuterte Baptist Gallwitz, Pressesprecher der DDG.
So könnten auch ursprünglich geringe Konzentrationen zu gesundheitlich relevanten Belastungen führen. „Wir beobachten beispielsweise, dass Jugendliche früher in die Pubertät kommen, und Übergewicht und Diabetes, aber auch Entwicklungsstörungen bei Kindern zunehmen“, so der kommissarische Direktor der Medizinischen Klinik IV am Universitätsklinikum Tübingen.
Ein großes Problem sei, dass von den knapp 100.000 bekannten chemischen Verbindungen bisher nur ein Bruchteil auf mögliche endokrin aktive, schädliche Wirkungen geprüft sei. Experten stuften im Augenblick mehr als 1.000 Substanzen als endokrine Disruptoren ein.
„Einige dieser Substanzen sind schon seit Jahren verboten, finden sich jedoch noch immer in der Umwelt“, erläuterte Josef Köhrle, ehemaliger Direktor des Instituts für Experimentelle Endokrinologie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin und Präsident der DGE.
Zu den bekanntesten von ihnen zählten die Polychlorierten Biphenyle (PCB), die früher hauptsächlich als Hydraulik- oder Isolieröle verwendet wurden, Weichmacher wie Phthalate und Bisphenol A (BPA), die bei Verbrennungsprozessen entstehenden Dioxine, oder das früher großflächig zur Insektenbekämpfung eingesetzte DDT.
Polychlorierte Biphenyle etwa würden schon seit Beginn der 1980er-Jahre in vielen Ländern nicht mehr hergestellt, seit 2001 seien sie weltweit verboten. „Trotzdem sind sie noch heute auf der ganzen Welt nachweisbar – auch im menschlichen Körper“, so Köhrle.
Die Fachgesellschaften fordern, die bereits als endokrine Disruptoren bekannten Substanzen konsequent aus dem Verkehr zu ziehen. Neue Substanzen müssten regelhaft daraufhin geprüft werden, ob sie Hormonprozesse im Körper stören könnten, bevor sie in großem Maßstab produziert und in Umlauf gebracht würden.
„Nur wenn Produzenten und Vertreiber nachweisen müssen, dass neue Substanzen nicht als endokrine Disruptoren wirken, können gesundheitliche Risiken verhindert werden“, so Köhrle. © hil/aerzteblatt.de
