Ärzteschaft
Reinhardt für finanzielle Selbstbeteiligung von Patienten bei zu vielen Arztbesuchen
Freitag, 21. Juni 2019
Berlin – Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, tritt für eine finanzielle Selbstbeteiligung von Patienten gegen übermäßig häufige Arztbesuche ein. „Bei mehrfachen und völlig unnötigen Arztbesuchen kann eine moderate wirtschaftliche Beteiligung zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit unseren knappen Ressourcen im Gesundheitswesen beitragen, sagte Reinhardt den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Nicht jeder Besuch beim Arzt sei notwendig und sinnvoll. So gebe es Menschen, die zwei oder drei Hausärzte hätten und sich regelmäßig eine zweite oder dritte Meinung einholten. „Das geht nicht“, sagte Reinhardt. Der Erstzugang zum Arzt solle immer frei sein. „Aber man muss genauer hinsehen, wer wann und weshalb zum Arzt geht“, so der BÄK-Präsident.
Reinhardt betonte, die Patienten müssten lernen, verantwortungsvoll mit der Ressource Arzt umzugehen. Wer das nicht tue, verbaue ernsthaft erkrankten Menschen den Weg zu ärztlicher Hilfe. Mit kleinen Geldbeträgen ließe sich das Verhalten der Patienten verändern. Das zeigten Erfahrungen aus anderen Ländern, in denen es eine Selbstbeteiligung gebe.
Aus seiner Sicht hat die Praxisgebühr, die zwischen 2004 und 2012 erhoben worden war, finktioniert. Sie sei aber falsch organisiert gewesen. Beim ersten Besuch beim Arzt pro Quartal waren damals schon zehn Euro fällig. Kritiker der Praxisgebühr hatten angeführt, einkommensschwache Patienten würden aufgrund der Zusatzkosten den Gang zum Arzt vermeiden.
Kritik an TSVG
Beim von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) initiierten Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) erwartet Reinhardt nur kurzfristige Wirksamkeit. „Die neuen gesetzlichen Regelungen werden auf jeden Fall kurzfristig für Entspannung bei der Terminsituation sorgen“, sagte Reinhardt der Welt. Aber langfristig werde das Gesetz die Situation nicht verbessern. Es sei eher das Gegenteil der Fall. Er erwarte eine Verschlechterung.
Grund sei, dass Mediziner bereits jetzt am Limit arbeiteten. „Viele niedergelassene Ärzte arbeiten von 8 Uhr morgens bis 19 Uhr abends, oft auch länger. Die neuen Regelungen mögen dazu führen, dass es noch mehr 5-Minuten-Termine gibt. Die sind für Patienten und Ärzte aber unbefriedigend", sagte Reinhardt. Das Gesetz werde auf diese Weise relativ schnell Wirkung zeigen, aber die wird auch wieder verpuffen, weil in den kommenden Jahren viele Ärzte in Rente gingen und die Bevölkerung gleichzeitig älter und kränker werde. „In wenigen Jahren wird die Situation wieder genauso sein wie vor dem TSVG, vermutlich noch schlimmer“, so Reinhardt.
Er forderte darüber hinaus auch mehr Ehrlichkeit in der Debatte über den Ärztemangel auf dem Land. „Es wird künftig Gegenden ohne Hausarzt geben. Das ist leider so, und die Politik sollte das auch zugeben. Dann kann man nämlich freier über Alternativen nachdenken.“ Auch großzügige finanzielle Angebote änderten nichts daran, dass junge Mediziner praktisch nicht bereit seien, in entlegene Regionen zu ziehen. „Wir werden auf dem Land definitiv eine andere Versorgung haben als heute, und es wird in vielen Gemeinden nicht mehr die normale Arztpraxis mit dem netten Hausarzt sein, der mit Ende 70 noch brav arbeitet.“
Alle Gegenden, die mit großen Städten verbunden sind, würden auch künftig funktionieren. „Anders sieht es in besonders entlegenen Gegenden aus. Dort ist das normale gesellschaftliche Leben, wie wir es gewohnt sind, akut gefährdet und dort wird auch die medizinische Versorgung problematisch“, sagte Reinhardt. Telemedizin werde künftig bei der Versorgung solcher Gebiete eine wichtige Rolle spielen. Eine weitere Möglichkeit seien ambulante Ärzteteams, die regelmäßig durch die Orte kämen, oder Krankenschwestern, die bei Visiten Ärzte per Video zuschalteten.
Für eine Frauenquote
Reinhardt sprach sich heute auch für eine Frauenquote in Führungspositionen in der Medizin aus. Er sei dafür, sagte der neue BÄK-Präsident der Funke Mediengruppe. Frauen hätten es noch immer schwerer, im Arztberuf Karriere zu machen. Er sprach sich zugleich dafür aus, den Arztberuf familienfreundlicher zu machen. Reinhardt ist seit Ende Mai Präsident der Bundesärztekammer. © dpa/afp/kna/aerzteblatt.de

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