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Politik

Parlament bei Neuregelung der Organspende gespalten

Mittwoch, 26. Juni 2019

/dpa

Berlin – Sehr kontrovers diskutierte heute mehr als zwei Stunden lang der Deutsche Bundestag über neue Regeln zur Organspende, mit denen der Mangel an Spenderor­ganen gemindert werden soll. Im Kern ging es um die Frage, ob das bisherige deutsche System der aktiven Zustimmung zu einer Organspende auf eine Wider­spruchs­lösung umge­stellt werden soll. Die Diskussion verlief – wie oft bei ethischen Fragen – ohne Frakti­onszwang und emotional.

Zur Debatte in erster Lesung standen drei Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Organ­spende. Zwei davon waren bereits vor Wochen von fraktionsübergreifenden Abgeord­netengruppen vorgelegt worden, der dritte wurde kurzfristig eingebracht von der AfD-Fraktion.

Der erste Entwurf eines „Gesetzes zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz“, den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach (SPD) bereits im April vorgelegt hatten, sieht im Kern vor, dass jeder volljährige Mensch in Deutschland automatisch als Organspender gilt – es sei denn, er hat dem widersprochen. Alle Personen ab 16 Jahren sollen ausführlich informiert und als Spender bundesweit registriert werden, sofern sie dem nicht widersprechen. Die Entscheidung soll in einem bundesweiten Register dokumentiert werden.

Ein Alternativvorschlag einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten aus Union, SPD, FDP, Linken und Grünen um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock liegt seit Mai vor. Ihr Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsfreiheit bei der Organspende“ setzt explizit auf eine bewusste und freiwillige Entscheidung der Men­schen und deren ausdrückliche Zustimmung zur Organspende.

Konkret ist darin ein bundesweites Onlineregister für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Infor­mation vorgesehen, auf das alle volljährigen Bürger zugreifen können und das im Bedarfsfall durch die Kliniken abrufbar sein soll. Regelmäßig sollen die Bürger darauf hingewiesen werden, zum Beispiel beim Abholen von Ausweispapieren bei den zuständigen Stellen des Bundes und der Länder.

Neuer Antrag von der AfD

In einem dritten, jetzt vorgelegten Antrag plädiert die AfD-Fraktion für eine  „Vertrau­ens­lösung“ für die Organspende. Sie fordert unter anderem eine Aufklärung der Be­völkerung über grundlegende Fragen der Todesfeststellung und den medizinischen Verfahrensablauf bei einer Organspende. Ferner sollte klargestellt werden, dass eine Patientenverfügung immer vorrangig sei.

Nach Ansicht der Abgeordneten sollen Entnahmekrankenhäuser einheitliche spezifi­sche Qualitätsstandards und Verfahrensanweisungen für die Transplantationsbeauf­trag­ten entwickeln. Die Aufsichts- und Kontrollpflicht über die Koordinierungsstelle sowie über die Vermittlungsstelle müssten auf eine unabhängige öffentlich-rechtliche Institution übertragen werden.

Gute Diskussion

Während der – weitgehend – konstruktiven Debatte brachten die Vertreter der Gruppen ihre Argumente vor. Gleich zu Beginn der Debatte untermauerte Georg Nüß­lein (CSU), Mitinitator des ersten Vorschlags, seine Forderung nach einer Wider­spruchs­lösung: „Unser bisheriger Ansatz war falsch“, sagte er. Man müsse jetzt einen großen Schritt tun und zur Widerspruchslösung bei der Organspende übergehen. Dies würden auch Transplantationsmediziner und Patienten so sehen. „Sie wollen nicht wieder nur ein Experiment“, betonte er. „Es gibt zudem nichts Christlicheres als noch im Tode das Leben von anderen Menschen zu retten“, sagte Nüßlein.

Karl Lauterbach (SPD) unterstrich, dass kein Antrag ethisch höher stehe als der an­dere. Jeder Mensch wolle im Zweifel Empfänger eines Organs sein. Dann müsse es zumindest die Pflicht geben, dass man bereit sei, sich mit dem Thema auseinanderzu­setzen und gegebenenfalls zu widersprechen, argumentiert er. Frei nach Kant würde mit einer kleinen Pflicht ein großer Nutzen für die Gesellschaft geschaffen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warb am Ende der Debatte nochmals für die Widerspruchslösung. „Eine neue Entscheidungslösung mit einer Broschüre mehr wird faktisch nichts ändern“, betonte er. „Wir brauchen endlich Verbindlichkeit und die Pflicht, sich zu entscheiden", sagte Spahn. Die von ihm vorgeschlagene Wider­spruchslösung sei zwar keine Wunderwaffe, aber ein „deutlicher qualitativer Unterschied zu heute“.

Recht auf Unversehrtheit des Körpers

Grünen-Chefin Annalena Baerbock, die mit anderen Abgeordneten den alternativen Entwurf eingebracht hatte, betonte, dass ihre Gruppe es ja nicht beim Status quo belassen wolle. „Wir wollen in einer so höchstpersönlichen Frage die Situation jedes einzelnen Menschen im Blick haben“, sagte sie.

In der Verfassung sei aus guten Gründen das Recht auf die Unversehrtheit des eige­nen Körpers verankert. Ein Bruch damit sei ein „unverhältnismäßig großer Eingriff“. Ihr Vorschlag dagegen sei im Gegensatz zum Vorschlag der Einführung einer Wider­spruchs­lösung verfassungsrechtlich unbedenklich und schnell umzusetzen.

Es könne nicht sein, dass Schweigen als Zustimmung gelten soll, meinte auch die ge­sundheitspolitische Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus. „Organ­spende muss eine freie Entscheidung bleiben – ohne Zwang“, sagte sie. Nur so lasse sich das Vertrauen in die Transplantationsmedizin wiederherstellen.

Das Selbstbestimmungsrecht dürfe nicht nachträglich auf ein Veto reduziert werden, betonte auch Karin Maag (CDU).„Der Staat darf keine Entscheidungspflicht schaffen“, sagte sie. Die Einführung einer Widerspruchslösung hält sie für kontraproduktiv. „Das Vertrauen ist das A und O bei der Organspende“, betonte die Gesundheitspolitikerin. Es sei bedauernswert, dass das Greifen der im Frühjahr beschlossenen Strukturver­besserungen in der Transplantationsmedizin nicht abgewartet würde. Ähnlich argu­men­tierte Hilde Mattheis (SPD): „Das Vertrauen der Bevölkerung muss mit Maßnah­men unterfüttert werden“, sagte sie.

Ergebnis völlig offen

Ulrich Oehme, AfD, stellte bei der Debatte den Vorschlag seiner Fraktion vor. „Die freiwillige Spende muss gestärkt werden“, sagte er. Dabei gelte es auch, monetäre Interessen auszuschließen.

Der Vorschlag von Bundesminister Spahn sei „mehr als bedenklich“, sagte er. „Das ist Klientel-Politik“, warf er Spahn vor. Zuvor hatte bereits sein Fraktionskollege Jens Maier die Einführung einer Widerspruchslösung als „unver­hältnismäßig und verfassungs­rechtlich untragbar“ kritisiert. „Die Unwissenheit von Menschen darf nicht ausgenutzt werden“, sagte Maier.

Die drei Vorschläge sollen nun zur weiteren Beratung an den federführenden Gesund­heitsausschuss überwiesen werden. Der Bundestag will sich im Oktober erneut mit ihnen befassen und darüber ohne Fraktionszwang abstimmen. Noch sind etwa 300 Abgeordnete unentschlossen bezüglich ihres Votums.

Den Gruppenantrag um Spahn (CDU) unterstützen Angaben des Bundestages derzeit gut 200 Abgeordnete, darunter Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Vorschlag der Gruppe um Baerbock hat momentan ebenalls knapp 200 Unterstützer. Wie die Ab­stimmung am Ende ausgehen wird, gilt damit noch als offen. © ER/aerzteblatt.de

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