Politik
Verbraucher sollen im Sommer über Nährwertkennzeichnung entscheiden
Freitag, 28. Juni 2019
Berlin – Im Juli und August sollen mindestens 1.000 Verbraucher in einer repräsentativen Umfrage über eine Nährwertkennzeichnung auf verpackten Lebensmitteln entscheiden. Zur Auswahl stünden vier Modelle, sagte Julia Klöckner (CDU) gestern Abend in Berlin nach einem Gespräch mit Vertretern der Koalitionsfraktionen, Verbraucherschützern und dem Spitzenverband der Lebensmittelindustrie BLL. Die Landwirtschaftsministerin hofft, dass die Auswertung schon Mitte September vorliegt.
„Das Ergebnis der Befragung wird für mich maßgeblich sein,“ sagte Klöckner. Das von den Verbrauchern favorisierte Modell könnte somit noch dieses Jahr der EU zur Notifizierung vorgelegt werden. Dann wird es, je nach Umfang der Anmerkungen, weitere drei oder sechs Monate dauern.
Die vier Modelle, die für die Verbraucherbefragung ausgewählt wurden, sind zum einen das BLL-Modell und das Keyhole-Modell, das in skandinavischen Ländern bereits viele Jahre auf freiwilliger Basis empfohlen wird.
Zudem stehen zur Auswahl der Nutri-Score, der bereits von vielen Ländern in der EU empfohlen wird und für den sich auch Unternehmen wie Danone, Iglo und Nestlé ausgesprochen haben, sowie das neu entwickelte Modell des staatlichen Max-Rubner-Instituts (MRI), das auf dem gleichen Algorithmus wie der Nutri-Score basiert.
Die Verbraucherbefragung führt das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Info GmbH durch. Vorgesehen sind zunächst intensivere Gruppendiskussionen mit acht bis zehn Teilnehmern in mehreren Städten in Deutschland. Darauf soll eine repräsentative Umfrage mit mindestens 1.000 Befragten folgen.
Alle Modelle seien wissenschaftlich basiert, betonte Pablo Steinberg, Leiter des MRI. Bei dem erst kürzlich entworfenen Modell des MRI habe man sich bewusst gegen Ampelfarben entschieden, die von vielen medizinischen Fachgesellschaften und auch der Verbraucherzentrale Bundesverband gefordert werden. „Damit wollen wir die Industrie nicht schonen“, sagte Steinberg. Von einer Kennzeichnung ohne Signalfarben erhoffe er sich jedoch eine bessere Marktdurchdringung.
„Mir ist es sehr wichtig, dass eine Nährwertkennzeichnung kommt, die dem Bürger bei einer Kaufentscheidung hilft – egal, welchen Namen sie hat. Wenn die Verbraucher sich für den Nutri-Score entscheiden sollten, bin ich damit absolut konform“, machte Steinberg klar. Die Nährwertkennzeichnung sieht Steinberg als wichtigen Baustein der nationalen Reduktionsstrategie, um Übergewicht und Adipositas vorzubeugen.
Foodwatch wirft Klöckner verbraucherpolitisches Versagen vor
Bislang sei es nach EU-Recht nicht möglich, ein Nährwertkennzeichnungssystem in Deutschland verpflichtend vorzuschreiben, sagte Klöckner und machte klar, dass sie eine europaweit einheitliche Kennzeichnung bevorzugen würde. Die EU-Kommission habe eine Empfehlung aber mehrfach verschoben.
Die Verbraucherorganisation foodwatch hatte Klöckner verbraucherpolitisches Versagen vorgeworfen: Weil die Bundesernährungsministerin es versäumt hat, für rechtliche Klarheit zu sorgen, darf Nestlé die Lebensmittelampel Nutriscore in Deutschland nicht auf seine Produkte drucken, kritisierte foodwatch. Die Verbraucherorganisation forderte Klöckner auf, die Nutzung des Nutri-Score endlich bei der Europäischen Kommission anzumelden, um die Rechtsunsicherheit für Unternehmen zu beenden.
Klöckner machte gestern jedoch klar, dass sie die Verbraucherbefragung abwarten wolle, um dann nur eines der vier Modelle der EU zur Notifizierung vorzulegen.
Solange die Bundesregierung keine Empfehlung ausspreche, werde es schwer sein, eine Kennzeichnung, wie etwa den Nutri-Score freiwillig zu verwenden, schätzt ein Sprecher des BMEL.
Deutlich wird dies bei einem aktuellen Fall vor dem Landgericht Hamburg, das eine einstweilige Verfügung gegen die Kennzeichnung von Iglo-Verpackungen mit dem Nutri-Score erlassen hatte. Der Fall ist aber noch nicht abschließend entschieden. © gie/dpa/aerzteblatt.de

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