Medizin
Traumatologie: Hypophysenhormon halbiert Bedarf an Blutkonserven
Freitag, 30. August 2019
Philadelphia – Eine Behandlung mit dem Hypophysenhormon Arginin-Vasopressin hat in einer randomisierten Placebo-kontrollierten Studie in JAMA Surgery (2019; doi: 10.1001/jamasurg.2019.288) bei Patienten, die nach Schuss- oder Stichverletzungen bereits mehrere Blutkonserven erhalten hatten, den weiteren Transfusionsbedarf halbiert und das Risiko von venösen Thromboembolien halbiert.
Schuss- und Stichverletzungen sind in den USA die häufigste Todesursache von jungen Männern schwarzer Hautfarbe. Die meisten Patienten sterben an den Folgen eines massiven Blutverlusts, selbst wenn sie rechtzeitig ein Traumazentrum erreichen, wo genügend Erythrozytenkonzentrate, Thrombozytenkonzentrate und Frischplasma zur Verfügung stehen. Denn die Transfusionen können nicht alle Funktionen des verlorenen Blutes übernehmen und sie können schwere Komplikationen auslösen. Dazu gehört eine Verbrauchskoagulopathie, die innere Blutungen verursachen kann.
Eine mögliche Gegenmaßnahme könnte in der Infusion von Arginin-Vasopressin bestehen. Das Hormon, auch als antidiuretisches Hormon bekannt, hat im Körper die Aufgabe, das Blutvolumen konstant zu halten. Dies gelingt einmal über die vermehrte Rückgewinnung von Wasser aus dem Primärharn (antidiuretische Wirkung) und zum anderen über eine Engstellung der Blutgefäße (Vasopressin-Wirkung). Das Hormon wird im Hypophysenhinterlappen gespeichert, von wo es bei Bedarf freigesetzt wird. Bei starken Blutungen sind die Speicher schnell leer.
Die Idee hinter der Gabe von Arginin-Vasopressin besteht darin, die physiologische Funktion zu ersetzen. Die Behandlung wurde lange kritisch gesehen. Es wurde befürchtet, dass eine Engstellung der Blutgefäße bei einem Volumenmangel zu einem völligen Zusammenbruch der Durchblutung führt. Außerdem gab es Bedenken, dass die Behandlung das Risiko von venösen Thromboembolien erhöht.
Ergebnisse einer Pilotstudie
Diese Vorbehalte werden jetzt durch die Ergebnisse einer Pilotstudie zumindest relativiert, wenn nicht sogar widerlegt. Im AVERT Shock Trial wurden an einem Traumazentrum in Philadelphia hundert jüngere Patienten (Durchschnittsalter 27 Jahre) auf eine Behandlung mit Arginin-Vasopressin oder Placebo randomisiert.
Die Patienten hatten zumeist nach Schuss- oder Stichverletzungen schwere Blutverluste erlitten. Alle hatten vor Beginn der Studie mindestens 6 Konserven (Erythrozyten, Thrombozyten oder Frischplasma) erhalten, ohne dass der Kreislauf stabilisiert werden konnte. Die Behandlung bestand aus einem Bolus von 4 Einheiten Arginin-Vasopressin gefolgt von einer kontinuierlichen Infusion von 0,04 Einheiten pro Minute über 48 Stunden mit dem Ziel, den mittleren Blutdruck auf mindestens 65 mm Hg zu erhöhen.
Wie Carrie Sims von der Universität von Pennsylvania in Philadelphia und Mitarbeiter berichten, hatte die Behandlung mit Arginin-Vasopressin einen deutlichen Rückgang des weiteren Transfusionsbedarfs zur Folge.
Nach 48 Stunden benötigten Patienten, die Arginin-Vasopressin erhalten hatten, median 1,4 Blutprodukte (Interquartilsabstand IQR 0,5 bis 2,6) gegenüber 2,9 Blutprodukte (IQR 1,1 bis 4,8) in der Placebo-Gruppe. Der Bedarf an Plasmaersatzstoffen war mit median 9,9 l (IQR 7,9 bis 13,0) gegenüber 11,0 l (IQR 8,9 bis 15,0) in beiden Gruppen gleich. Ebenso war die Menge der verabreichten Vasopressoren mit median 400 (IQR 0 bis 5.900) gegenüber 1.400 (IQR 200 bis 7.600) äquivalenten Einheiten gleich.
Auch der befürchtete Anstieg der tiefen Venenthrombosen ist ausgeblieben. Es kam hier sogar zu einem Rückgang auf 5 von 44 Patienten (11 %) gegenüber 16 von 47 Patienten (34 %) in der Placebo-Gruppe. Offensichtlich konnte eine Störung der Blutgerinnung durch weitere Blutprodukte häufig vermieden werden.
Ein Unterschied in der Sterblichkeit der Patienten war dagegen nicht nachweisbar. In beiden Gruppen erlagen 12 % der Patienten trotz maximaler Therapie ihren Verletzungen. Da es sich um eine erste Studie einer einzelnen Klinik an einer begrenzten Zahl von Patienten handelt, werden die Ergebnisse die Empfehlungen vermutlich nicht verändern. Es bleibt abzuwarten, ob die Idee in weiteren Studien aufgegriffen wird. © rme/aerzteblatt.de

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