Politik
Patentrezepte gegen Landarztmangel gibt es nicht
Freitag, 13. September 2019
Berlin – Die Sorge der Bevölkerung auf dem Land, künftig keinen Hausarzt mehr zu finden, steigt weiter deutlich an. Bei der Diskussion über Lösungen für den Landarztmangel waren sich die Diskutanten gestern bei einer Veranstaltung des AOK-Bundesverbands in Berlin einig, dass es keine allgemeingültigen Patentrezepte geben kann. Man müsse viele Modelle vor Ort ausprobieren, sei aber auch auf das Engagement der Bürgermeister und Landräte angewiesen.
Die CDU-Politikerin Gitta Connemann berichtete aus ihrem Wahlkreis im Emsland in Niedersachsen, dass sich immer häufiger Bürgermeister vor Ort zusammentun, um einen neuen Hausarzt für die Dörfer und Gemeinden zu finden. Dafür habe der Bundesgesetzgeber viele Möglichkeiten geschaffen.
Es sei aber „nicht überall das offene Denken angekommen“. Sie berichtete von Beispielen, wo es auf persönlicher Ebene zwischen den Gemeindeverwaltungen dann nicht funktioniere, gemeinsam nach einem neuen Praxisinhaber oder Inhaberin zu suchen.
Bürgermeister gefragt
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, plädierte dafür, dass sich die Bürgermeister auch vermehrt um Menschen aus der Region bemühen sollten, die Medizin studiert haben und möglicherweise in die Heimat zurückkehren wollen. „Wir müssten auch darüber nachdenken, ob man bei der Zulassung zum Medizinstudium einen Regionalproporz einführen“, sagte Reinhardt.
Er widersprach auch dem Vorsitzenden der AOK-Baden-Württemberg, Christopher Hermann, dass es genügend Studienplätze gebe. Seit 30 Jahren seien die Plätze um etwa 5.000 zurückgegangen. Nur einige Bundesländer seien derzeit dabei, Plätze wieder aufzustocken.
Mit seiner Hausarztpraxis habe er eine Stadtrandlage und warb dafür, bei dem Ärztemangel zwischen den Speckgürteln von großen Städten sowie den ländlichen Bereichen zu unterscheiden. Bei der Suche nach neuen Versorgungskonzepten müsse es für die unterschiedlichen Regionen verschiedene Lösungen geben.
Hermann sieht auch die Krankenkassen in der Rolle, in Regionen mit Ärztemangel „die große Verantwortung der Versorgung zu teilen“. Seine Kasse habe in Baden-Württemberg 230 Geschäftsstellen und sei nach seiner Überzeugung damit überall vertreten. Aus seiner Sicht könnten die zusätzlichen Versorgungsprojekte, die die elf AOKen bundesweit unterstützen, aber nur funktionieren, wenn die Engagierten vor Ort zusammenarbeiteten. „Durch die Freiwilligkeit haben die Projekte mehr Erfolgschancen. Es darf nicht alles im Sozialgesetzbuch V geregelt werden, es braucht die Freiheit.“
CDU-Politikerin Connemann warnte aber davor, die „Landarztromantik“ zu idealisieren. „Die gab es früher ja auch nicht.“ Aus ihrer Sicht sei es viel wichtiger, Projekte wie Patientenbusse oder Telekonsile dauerhaft zu finanzieren. „Irgendwann läuft jede Projektfinanzierung aus, da kann ich als Bundestagsabgeordnete vor Ort kaum noch helfen.“
Für Kirstin Kapppert-Gonther, Gesundheitsexpertin der Grünen im Bundestag mit Wahlkreis in Bremen, ist der Schlüssel zu einer besseren Versorgung auf dem Land auch eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit aller Gesundheitsberufe. „Das Modell der Einzelpraxis ist definitiv vorbei“, so Kappert-Gonther, die lange Zeit selbst eine Einzelpraxis als Ärztin führte. Oftmals gebe es gute Lösungen, wenn ein gemeinsames Versorgungszentrum vor Ort entstehe, bei dem alle Berufsgruppen vertreten seien.
Besonders der Mangel an Hebammen bereite gerade jungen Frauen auf dem Land Sorge, erklärte sie. Sie wies daraufhin, dass auch in einigen städtischen Regionen inzwischen ein Problem bei Fachärzten entstehe, in Bremen speziell bei Kinderärzten. Trotz vieler guter Ansätze bei Digitalisierungsprojekten dürfe der Wert der persönlichen Interaktion zwischen Ärzten und Patienten nicht unterschätzt werden. „Und natürlich benötigen wir gute Internetverbindungen auch auf dem Land“, so die Grünen-Politikerin.
Auch der Chef der AOK-Baden-Württemberg Hermann sieht in der Digitalisierung und vermehrten telemedizinischen Anwendungen eine Lösung, den Ärztemangel abzumildern. © bee/aerzteblatt.de

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