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Politik

Zu viele Bluttransfusionen, Anämietherapie spart Blut

Freitag, 13. September 2019

/chanawit, stockadobecom

Berlin – Deutschland ist beim Verbrauch von Spenderblut Spitzenreiter, in keinem ande­ren Land werden so viele Erythrozytenkonzentrate transfundiert wie hierzulande. Die Be­handlung präoperativer Anämien könnte diese Zahl drastisch senken. Bei der Vorstellung des Krankenhausreport 2019 der Barmer in Berlin plädierten Experten deshalb für die breite Einführung eines Patient-Blood-Management (PBM), um medizinisch unnötige Transfusionen zu vermeiden und Leben zu retten.

Gerade einmal 40 Krankenhäuser in Deutschland gehören bislang dem 2014 gegründeten Deutschen PBM-Netzwerk an. In anderen Ländern, allen voran die Niederlande, ist man da schon deutlich weiter. „Aktuell verbrauchen wir mehr als drei Millionen Erythrozyten­kon­zen­trate pro Jahr“, sagte Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. „Hätte Deutschland denselben Pro-Kopf-Verbrauch wie die Niederlande, könnten pro Jahr rund eine Million Blutkonserven eingespart werden.“

Das Patient-Blood-Management besteht aus mehr als 100 Einzelmaßnahmen, ruht aber letztlich auf drei Säulen: Neben der Minimierung des Blutverlusts zu diagnostischen Zwecken und dem rationalen Einsatz von Blutkonserven sei vor allem das Anämie­ma­nage­ment von entscheidender Bedeutung, betonte Boris Augurzky, Leiter des Kompetenz­bereichs „Gesundheit“ am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Autor der Studie.

Für den Krankenhausreport verglichen Augurzky und sein Team die Behandlungser­geb­nisse von Patienten mit und ohne Anämie für acht Erkrankungen. Die auf rund neun Millionen Versicherten der Barmer beruhenden Daten zeigen: Anämiepatienten erhalten signifikant häufiger Erythrozytenkonzentrate als Patienten ohne Anämie. Bei einer By­pass-Operation wurde beispielsweise 67 Prozent der Anämiepatienten Fremdblut trans­fundiert, bei Patienten ohne Anämie waren es nur 49 Prozent. Bei Darmkrebsoperationen lag das entsprechende Verhältnis bei 41 zu 27 Prozent.

Unterschiede in den Bundesländern

Den Ergebnissen des Reports zufolge gibt es zudem deutliche regionale Unterschiede bei den Transfusionsraten. In Bayern und Baden-Württemberg erhielten zum Beispiel nur 6,1 beziehungsweise 6,3 Prozent der Patienten bei einer Operation Bluttransfusionen. In an­deren Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern wurden knapp acht Prozent erreicht.

„Über die Gründe dieser regionalen Unterschiede lässt sich nur spekulieren. Womöglich werden jeweils unterschiedlich stark blutsparende Operationstechniken eingesetzt. Ein Grund könnten auch verschiedene Grenzwerte sein, die bestimmen, ab welchem Blutver­lust eine Blutkonserve bereits transfundiert wird“, betonte Augurzky.

„Planbare Operationen sollten möglichst nur noch nach einer Behandlung der Blutarmut erfolgen. Denn unbehandelt weisen die Betroffenen nicht nur schlechtere Behandlungs­er­gebnisse auf, auch die Sterblichkeitsrate ist bei bestimmten Eingriffen erhöht“, so Straub. Bei Bypass-Operationen habe sie mit Anämie rund vier Prozent betragen, ohne Anämie nur zwei Prozent.

Eine internationale Studie (DOI: 10.1016/S0140-6736(11)61381-0) mit mehr als 200.000 Patienten bestätigt dies: Sie zeigt, dass das Sterberisiko bei geplanten Operationen um das Fünffache erhöht ist, wenn der Pa­tient eine leichte Anämie aufweist. Bei schweren Anämien ist es sogar um das 13-Fache erhöht.

Eisenmangel-Anämie rechtzeitig behandeln

„Diese Menschen muss man diagnostizieren und behandeln, elektive Operationen kann man schließlich verschieben“, betonte Kai Zacharowski, Direktor der Klinik für Anästhe­sio­logie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Universitätsklinikum Frankfurt.

Die Eisenmangelanämie – sie macht rund 30 Prozent aller Anämien aus – sei weltweit ein „riesiges Problem“, berichtete Zacharowski. „Im chirurgischen Bereich leidet etwa jeder dritte Patient bereits vor der Operation an einer Anämie. Aber nur eine geringe Zahl wird präoperativ diagnostiziert und therapiert.“

Ein Vergleich von deutschen Krankenhäusern vor und nach Einführung eines PBM zeigte dagegen: Die Einführung des Konzepts reduziert den Anteil an Patienten, die eine Bluttransfusion erhalten, und dies bei gleichbleibenden Behandlungsergebnissen.

Damit überhaupt eine Behandlung der Eisenmangel-Anämie vor einer Operation möglich ist, sprach sich Zacharowski dafür aus, dass zwischen Vorgespräch und Eingriff verbind­lich mindestens 14 Tage liegen sollten. In anderen Ländern seien bereits Mindestab­stän­de zwischen Erstgespräch und Operation vorgeschrieben. Teils gebe es auch Malussyste­me, wenn ein Patient trotz eines zu niedrigen Hb-Wertes operiert werde.

Für die Behandlung der Eisenmangel-Anämie empfahl der Frankfurter Mediziner intrave­nöses Eisen, mit dem die Eisenspeicher des Körpers innerhalb kürzester Zeit wieder auf­gefüllt werden könnten. Zwar sei auch die Einnahme von Eisentabletten möglich, was aber eine längere Behand­lungsdauer von bis zu sechs Monaten erfordere.

Zudem würden Eisentabletten häufig falsch eingenommen. „Nach der Einnahme einer Eisentablette verhindert das Molekül Hepcidin Aufnahme der Eisentablette am nächsten Tag“, so Zacharowski. Oral dürfe die Eisensupplementation deshalb nur alle zwei Tage erfolgen.

Die Einführung von PBM in deutschen Krankenhäusern müsse dringend ausgeweitet und intensiviert werden, betonte Augurzky. Erforderlich seien dafür konkrete Vorgaben und verbindliche Strukturen, denn bislang „enthalten die Richtlinien der Bundesärztekammer zwar einige PBM-Maßnahmen, aber die konkrete Umsetzung in der klinischen Behand­lungspraxis ist unklar“.

„Die lebensrettende Transfusion soll nicht infrage gestellt werden“, resümierte Zacha­rowski. „Es geht darum, die präoperative Anämie zu behandeln und so Leben zu retten.“ © nec/aerzteblatt.de

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