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Politik

Nichtinvasive molekular­genetische Tests werden in bestimmten Fällen Regelleistung

Donnerstag, 19. September 2019

/benjaminnolte, stockadobecom

Berlin – Die gesetzliche Kran­ken­ver­siche­rung (GKV) wird künftig die Kos­ten nichtinva­siver moleku­lar­­genetischer Tests (NIPT) zur Bestimmung des Risikos autoso­maler Triso­mien 13, 18 und 21 bei Risiko­schwangerschaften bezahlen. Darauf hat sich der Gemein­same Bun­des­­aus­schusses (G-BA) einstimmig verständigt. Bei der Abstimmung enthielt sich Ulrike Haufe als Vertreterin der Versicherten im GKV-Spitzenverband.

Dabei handelt es sich aber nicht um ein flächendeckendes Screening, wie die Mitglieder des Gremiums nach einer intensiven und ethischen Debatte betonten. Die Kosten sollten nur bei besonderen Risiken oder zur Abklärung von Auffälligkeiten übernommen werden, wie es hieß. Gleichzeitig betonten sie, dass der Test seit 2012 in Deutschland zugelassen sei.

Zusätzlich hat der G-BA in der neu gefassten Mutterschaftsrichtlinie festgelegt, dass bei Einsatz eines Tests die künftigen Eltern intensiv beraten werden müssen. Die Regelungen orientieren sich an den Beratungen beim Schwangerschaftskonfliktgesetz. Der Test soll ab der 9. Schwangerschaftswoche eingesetzt werden können. Der Vorschlag, den Test erst nach der 12. Woche einzusetzen, war in den Beratungen einzelner Arbeitsgruppen des G-BA aufgekommen.

Als Regelleistung ist mit der Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen nicht vor Ende 2020 zu rechnen. Der G-BA entschied heute, dass zunächst eine detaillierte Pa­tien­teninformation vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) fertiggestellt sein muss. Dies werde erst Ende 2020 der Fall sein, da das IQWiG auch ausfühliche Befragun­gen von Nutzerinnen der Informationen durchführen soll. In der Broschüre soll auch auf das Recht zum Nichtwissen hingewiesen werden.

Die Mitglieder des G-BA-Plenums äußerten in mehreren Redebeiträgen die Hoffnung, dass die Mitglieder des Bundestages die kommenden 14 Monate zu einer weiteren ge­sell­schaftlichen Debatte zum Nutzen der NIPT nutzen. Zusätzlich betonten einige Mitglie­der die Wichtigkeit der künftigen ärztlichen Beratung bei Verwendung der Tests. Wie die Beratung künftig aussehen soll sowie wie dieses Beratungsgespräch vergütet wird, kann erst nach der Entwicklung der Patienteninformation beschlossen werden.

Im Vorfeld der heutigen Entscheidung hatten zehn Bundestagsabgeordnete, darunter auch die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und die Grünen-Gesundheitsexpertin Kristin Kappert-Gonther, sich mit ei­nem Brief an den G-BA gewendet und nach Darstellung des G-BA-Vorsitzenden Josef He­cken um eine Aussetzung der De­batte gebeten. Der Bundestag solle in seinen Beratungen durch die Entscheidung des G-BA „nicht überholt werden“.

Hecken sowie andere Vertreter betonten aber, dass diese Entscheidung keineswegs den Bundestag überhole – zumal nach der Orientierungsdebatte im April 2019 kein weiterer Zeitplan für weitere Beratungen bekannt sei. Der Gesetzgeber könne aber jederzeit per Gesetz die NIPT wieder verbieten.

Hecken sendete direkt nach dem Beschluss einen Antwortbrief an die Abgeordneten. Da­rin heißt es:  Der Beschluss „schafft keine irreversiblen Fakten, begründet derzeit noch keine Leistungsansprüche, unterliegt noch der Prüfung durch die Rechtsaufsicht und hält dem Deutschen Bundestag alle Handlungsoptionen offen“.

Erste Reaktionen

Die ersten Reaktionen fielen heute gemischt aus. Christine Aschenberg-Dugnus, gesund­heitspolitische Sprecherin der FDP im Bundestag, bezeichnete es als richtig, dass Blut­tests bei Risikoschwangerschaften künftig von den Krankenkassen bezahlt werden. Die viel riskantere Fruchtwasseruntersuchung werde bereits bei entsprechender Indikation gezahlt, der risikolosere Bluttest hingegen nicht.

„Das ist widersinnig. Ein solcher Test darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Er muss allen Frauen zur Verfügung stehen, bei denen ein Risiko besteht und die ihn durchführen lassen möchten“, sagte sie. Allerdings dürfe es nicht um ein generelles Screening gehen, sondern es müsse eine entsprechende Indikation vorliegen. Wichtig sei zudem, dass es eine begleitende ärztliche Beratung gebe. „Gegenstand dieser muss sein, dass ein Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom sehr erfüllend sein kann. Das bestätigen viele Eltern“, so Aschenberg-Dugnus.

Hilde Mattheis, Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für Frauengesundheit, sieht „eine Entscheidung für die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Frauen“. Die Frage um die Übernahme der Kosten für Pränataldiagnostik durch die Krankenkassen sei  zuvorderst eine soziale, keine ethische Frage, erklärte Mattheis. „Es ist gut, dass der G-BA dieser Argumentation gefolgt ist.“ Der G-BA habe nun „sehr enge Voraussetzungen für die Inanspruchnahme beschlossen“ und damit den Bedenken aller Seiten Rechnung getragen.

Die Vorsitzende der Lebenshilfe, Ulla Schmidt, begrüßte die Entscheidung des G-BA im Grundsatz. Es gehe um begründete Einzelfälle, bei denen mehr Faktoren für eine solche Untersuchung in Betracht gezogen würden als nur das Alter der werdenden Mutter, sagte die SPD-Politikerin und frühere Bundesgesundheitsministerin im Deutschlandfunk. Sie habe Verständnis dafür, wenn Eltern wissen wollten, ob ihr Kind genetisch vorbelastet sei, sagte Schmidt. Es dürfe aber nicht zu einer Debatte in Deutschland kommen, dass sich Eltern von behinderten Kindern fragen lassen müssten, ob sie das nicht hätten ver­hindern können. Schmidt mahnte in der Rheinischen Post an, dass der Bundestag Einzel­heiten zu den Test gesetzlich regeln sollte.

Der Sprecherin für Be­hindertenpolitik der Grünen, Corinna Rüffer, zufolge ist die Debatte mit dem heutigen Beschluss „nicht beendet“. „Auch mit Blick auf künftige Tests müssen wir dringend die Grenzen und Bedingungen molekulargenetischer Testverfahren in der Schwangerschaft festlegen“, sagte sie. Der Bundestag werde den Prozess weiterfüh­ren, der mit der Orientierungsdebatte im April begonnen habe. Sie persönlich halte die Ent­scheidung des G-BA „inhaltlich für falsch“.

Frage des Umgangs

„Die modernen medizinisch-technischen Methoden können wir nicht aus der Welt schaff­en. Aber die Haltung zu Kindern mit Behinderungen, die Behinderung als Makel zu be­trachten oder als Bürde für die Eltern, die müssen wir ändern“, erklärte Jürgen Dusel, Be­auf­tragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Be­hinderungen.

Gerade nach der Entscheidung des G-BA müssten auch die Beratungsangebote für wer­den­de El­tern deutlich verbessert werden. In diesem Zusammenhang sollte aus seiner Sicht in allen Studien- und Ausbildungsverordnungen der Gesundheitsberufe eine beson­dere Sensibilisierung und Vermittlung von fachlichem Hintergrundwissen zum Thema Be­hinderung zum obligatorischen Stundenplan gehören.

„Hebammen beispielsweise werden in der Ausbildung nicht darauf vorbereitet, wie wer­dende Mütter in Bezug auf das Thema Behinderung beraten werden können – obwohl sie während einer Schwangerschaft eine Schlüsselfunktion haben“, erklärte er. Ärzte rieten bei einer diagnostizierten Behinderung nicht selten pauschal und ohne differenzierte Aus­einandersetzung zum Schwangerschaftsabbruch, was die Eltern unter Druck setze. Das zu ändern, sei „eine Frage der Einstellung, aber natürlich auch eine Frage der ge­setzlichen Rahmenbedingungen“. © bee/may/afp/aerzteblatt.de

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