Politik
Heftige Kritik an noch nicht vorliegender, aber beschlossener Psychiatrieleitlinie
Freitag, 20. September 2019
Berlin – Noch liegt der konkrete Beschlusstext nicht vor, doch die Kritik an der neuen Richtlinie zur Personalausstattung in der Psychiatrie und Psychosomatik ist bereits laut und deutlich: Nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einer öffentlichen Plenumsdebatte mehr als fünf Stunden am Text der neuen Richtlinie gefeilt hatte, kritisierten Gesundheitspolitiker wie Fachgesellschaften den Beschluss.
Der Text der Richtlinie selbst ist noch nicht abschließend fertig, da er in aufwendigen Formulierungsarbeiten vorgestern in kleiner Runde sowie gestern im G-BA-Plenum er- und überarbeitet wurde. Der Text soll jetzt per E-Mail abgestimmt werden.
Nach Informationen des Deutschen Ärzteblattes hatte der unparteiische G-BA-Vorsitzende Josef Hecken einen Tag vor dem G-BA-Plenum sich mehr als fünf Stunden zu einer Sitzung mit Abteilungsleitern aus dem GKV-Spitzenverband sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) getroffen, um mögliche Kompromisslinien auszuloten.
Zuvor gab es noch 56 dissente Punkte in der Richtlinie. Aus dem Gespräch am Mittwoch wurde eine neue Tischvorlage erarbeitet, die den Mitgliedern des Plenums dann gestern vorlag. „Ich möchte solch eine Veranstaltung wie gestern nicht noch einmal wiederholen“, erklärte Hecken in der öffentlichen Sitzung mit Blick auf zukünftige strittige Richtlinien, die der G-BA in den folgenden Monaten verabschieden muss.
Erbitterter Streit um jeden einzelnen Punkt
Doch offenbar hatte sein Vermittlungsversuch nicht konkrete Früchte getragen: In der Plenumssitzung stritten die Vertreter des GKV-Spitzenverbandes sowie der DKG zwischen 12.45 Uhr und 18.40 Uhr erbittert um jeden einzelnen Punkt.
Dabei ging es vor allem um die Personalgrößen auf Stationen, die Dokumentation darüber, wie oft wo und wie lange ärztliches wie pflegerisches Personal fehlt sowie wie der Nachtdienst besetzt werden müssen. Diskutiert wurde auch darüber, wie die Organisationseinheit einer Klinik verändert werden kann, ohne, dass eine Anpassung des Personalschlüssels vorgenommen werden muss.
Dabei ging es vor allem auch um innovative Therapien, die sich nicht an Grenzen von Stationen halten würden, erklärte die DKG. Die DKG setzte sich – oftmals vergeblich – dafür ein, die Personalbesetzung nicht zu kleinteilig dokumentieren zu müssen. Nichteinhaltungen von Personalvorgaben sollen künftig im ersten Jahr sanktionslos bleiben, danach können sich Vergütungsausschlüsse für die Kliniken anschließen.
Hecken betonte zu Beginn der Sitzung, dass keine Personalbemessungswerkzeuge beschlossen werden sowie keine Verschlechterungen in die Versorgung kommen werden. Problematisch sei, dass ein Gutachten zur Personalausstattung in der Psychiatrie und Psychosomatik, das aus Zweifel an der Wissenschaftlichkeit und rechtlicher Fragen nicht für die Beschlussfassung verwendet werden konnte.
Leitliniengerechte Untergrenzen nicht der Auftrag
Als Vertreterin des GKV-Spitzenverbandes betonte Doris Pfeiffer, dass man Untergrenzen beschließe und nicht, wie viel Personal benötigt werde, um eine leitliniengerechte Versorgung zu gewährleisten. „Das war nicht unser Auftrag“, erklärte sie vor Medienvertretern. Untergrenzen bedeute, dass darunter die Patientensicherheit gefährdet sei.
In einer Pressemitteilung nach dem Beschluss erklärte Hecken: „Mit dieser Richtlinie erreichen wir Verbesserungen in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung von erkrankten Kindern und Jugendlichen, bei der pflegerischen Betreuung in der Intensivbehandlung psychisch erkrankter Erwachsener und bei der psychologischen Behandlung der betroffenen Patientinnen und Patienten, weil hier die Minutenwerte deutlich erhöht wurden.“
Er kündigte auch an, dass dies nur eine Erstfassung sei. „Sobald die Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit vorliegt, werden wir auf der Grundlage der aus dem Nachweisverfahren gewonnenen Daten weiterberaten und die Richtlinie fortschreiben.“ Für die überarbeitete Richtlinie stimmten die Vertreter des GKV-Spitzenverbandes sowie die drei Unparteiischen Mitglieder des G-BA, die Vertreter der DKG stimmten dagegen. Die nicht-stimmberechtigten Länder und auch Patientenvertreter befürworteten die Richtlinie ebenso.
Details unklar und noch nicht bekanntgegeben
Kritik an dem noch nicht schriftlich vorliegenden Beschluss kommt von allen Seiten – ebenso wie der Appell an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), den Beschluss zu beanstanden.
Aus der Politik äußerte sich SPD-Gesundheitspolitiker Dirk Heidenblut, der schon im Vorfeld Skepsis geäußert hatte, ob der G-BA die politischen Vorgaben von 2016 umsetze. Nun sieht er zwar die fristgerechte Umsetzung erfüllt, aber „es zeigt sich erst in den nächsten Wochen, ob die stationäre Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen verbessert wird.“
Die Kritik aus den Verbänden decke sich mit seinen vorher geäußerten Befürchtungen. „Patienteninteressen und eine zukunftsweisende Versorgung werden nicht genug beachtet.“ Heidenblut setzt nun auch auf die Prüfung durch das BMG. „Das Ministerium muss jetzt prüfen, ob die neue Richtlinie eine Verbesserung der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung sicherstellen kann. Ansonsten muss der Bundestag gesetzgeberisch eingreifen.“
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sieht den Beschluss als „Affront für alle Betroffenen, Angehörigen und in der Psychiatrie Beschäftigten“ und sieht die Richtlinie als „gescheitert“ an. Aus der Sicht der Gesellschaft drohe nun Personalabbau statt des geforderten besseren Personalschlüssels.
„Wir können nicht begreifen, wie in Zeiten, in denen Patientensicherheit großgeschrieben wird, so wenig Mut und Entschlossenheit für mehr Personal in der Patientenversorgung aufgebracht wird“, sagte DGPPN-Präsident Andreas Heinz in einer Mitteilung. „Deshalb fordern wir angesichts der jüngsten Beteuerungen zum ersten Welttag der Patientensicherheit den Gesetzgeber und den G-BA als ‚Normgeber‘ auf, Wort zu halten und entschieden für Patientensicherheit und humane Bedingungen in der Versorgung einzustehen.“
Patientenmissachtende Entscheidungen
Die Bundespsychotherapeutenkammer, die auch an den Verhandlungen im Plenum beteiligt war, nannte die Entscheidung „patientenmissachtend“. Der G-BA sei an der Reform „gescheitert“. „Auf den Stationen wird es weiter zu vermeidbarer Gewalt und Zwangsmaßnahmen kommen, da Patienten in psychischen Krisen nicht angemessen behandelt und ausreichend betreut werden können“, sagte Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer laut einer Mitteilung.
Das Ergebnis der G-BA-Beratung sei „angesichts dieser seit Jahren bekannten Personalmängel und Behandlungsdefizite beschämend“. Es sei verpasst worden, dass eine nachhaltige Erhöhung des Personals sowie mehr Pflegekräfte möglich sei. Mit den neuen Vorgaben sei keine Leitliniengerechte Versorgung der Patienten möglich, so Munz.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft, für die ihr Präsidenten Gerald Gaß persönlich die Verhandlungsführung übernommen hatte, kritisiert am Tag nach der Entscheidung das Votum des Gremiums deutlich. „Der Beschluss wirft die Psychiatrie um 40 Jahre zurück“, sagte er.
Zusammenfassend lasse sich sagen: „Mehr Personal für Dokumentation und Bürokratie, weniger Personal für die psychisch kranken Menschen“, heißt es in einer Mitteilung der DKG. „Mit dem kleinteiligen stationsbezogenen Nachweisverfahren verhindert die Mehrheit im G-BA moderne Versorgungskonzepte. Dies ist nicht nur Auffassung der DKG, sondern des überwiegenden Teils der Fachgesellschaften im Rahmen des Stellungnahmeverfahrens“, sagte Gaß.
„Es geht hier nur um das Ansinnen der Kassen, Kontrolle auszuüben und Versorgung einzuschränken“, heiß es von der DKG. Im Verhandlungsverlauf und noch in der letzten Plenumssitzung seien die Kliniken dem GKV-Spitzenverband in wesentlichen Punkten entgegengekommen, um einen Kompromiss zu erzielen. Auch Gaß appellierte an den Bundesgesundheitsminister sowie an die Bundestagsabgeordneten, den Beschluss des G-BA zu prüfen, ob das Gesetz richtig interpretiert worden sei.
Mit der Richtlinie sollte die Psychiatrie-Personalverordnung von 1990 abgelöst werden. Wenn die Richtlinie nicht vom BMG beanstandet wird, dann tritt sie zum 1. Januar 2020 in Kraft. © bee/aerzteblatt.de

Präsident Gerald Gaß: "Der Beschluss wirft die Psychiatrie um 40 Jahre zurück"
Patienten mit Knochenbrüchen, Blasen/Nierenbeckenentzündungen,
Magen-Darmbeschwerden, Trigeminusneuralgien, Haut: Psioriasis / Schuppenflechte, Kopfschmerzen - landen künftig wohl alle in der
Psychiatrie - vermutlich als Langzeit- bis immer Patienten. Schmerzpatienten, Schlafstörungen ... Essstörungen sowieso
Für all das gibt es viele viele bunte Psychopharmaka - warum?
Weil wir gegen Antibiotika zunehmend resistent werden/geworden sind?
Irgendwie verstand man unter Psychosomatik mal was anderes.
Wo bleiben denn die Suchtpatienten?
Ich verstehe das vollkommen. Patienten "gehen überflüssigerweise zum Arzt!" "Herr Doktor mein Magen, der Rücken, das Knie ..." besonders am
Montag das geht doch nicht. Warum sollte überhaupt Jemand manche
Menschen sehen, sprechen - mal die Hand geben? Wozu? Ab in die
Psychiatrie! Wo die Psychotherapie sich in Medikamentenvergabe wandelt. Leben verboten! Das - geht doch schon lange.

Heilung ist möglich!
Dem Namen nach ist diese wesentliche Ursache bekannt, jedoch nicht ihr wahres Ausmaß. Die Soziologie kennt sie vor allem unter dem Namen "kollektive Neurose". Leider wird sie allermeist ignoriert, geleugnet, fehlgedeutet, verharmlost / beschönigt oder gar schöngeredet.
Die meisten psychischen / psychosomatischen Störungen haben seelische Ursachen. Klingt das paradox? Nur für diejenigen, die unter beiden Begriffen das gleiche verstehen. Es gibt aber einen essentiell wichtigen Unterschied.
Der Leiter einer großen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sagte in einer trialogischen Planungsgruppe:
"Wir haben es hier mit der Psyche zu tun; die Seele gehört der Kirche".
Adorno / Horkheimer schrieben in "Dialektik der Aufklärung", daß die Wissenschaft den Fehler der Kirche übernommen habe.
Oswald Spengler schrieb in "Der Untergang des Abendlandes" u.a., daß alle "Hochkulturen" der nachvollziehbaren Geschichte untergegangen seien. Ich habe gute Gründe für die Vermutung, daß die Kollektive Neurose die jeweilige Ursache war. Und es wird auch die Ursache des drohenden Untergangs der gegenwärtigen "Hochkultur", der globalisierten zivilisierten Gesellschaft, sein.
Gab es nicht 2011 eine Zusammenkunft in Heidelberg, bei der die dort tagenden hochrangigen Wissenschaftler / Psychiater sich gegen die "dramatischen" Zunahmen bei den psych. Störungen für "machtlos" erklärt haben?
Warum gehen diese irrenden Fachleute nicht den Hinweisen auf die stets mögliche grundlegend-natürliche Heilung nach??
Angst?
Neurotische Angst(-Störung)?
Die ist eben auch heilbar...

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