Politik
Reform der Psychotherapeutenausbildung verabschiedet
Freitag, 27. September 2019
Berlin – Der Bundestag hat gestern Abend die Reform der Psychotherapeutenausbildung beschlossen. Mit dem Gesetz wird es Abiturienten ermöglicht, direkt ein Universitätsstudium der Psychotherapie zu absolvieren.
Die Approbation kann nach einer staatlichen Prüfung künftig bereits nach dem Studium, aufgeteilt in ein polyvalentes dreijähriges Bachelor- und ein zweijähriges Masterstudium, beantragt werden. Geplant ist, dass der neue Studiengang zum Wintersemester 2020 erstmals angeboten wird.
„Wir sorgen für eine moderne und attraktive Psychotherapeutenausbildung. Das ist gut – für Therapeuten und Patienten gleichermaßen“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gestern.
„Die längst überfällige Reform der Ausbildung ist endlich Wirklichkeit geworden“, lobte auch Dirk Heidenblut (SPD), Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages und Berichterstatter für Psychiatrie und Psychotherapie.
Kritik von Ärzten
Die Bundesärztekammer (BÄK) dagegen forderte gestern noch einmal „dringende Nachbesserungen“ an dem Gesetz. Der Gesetzgeber habe sich nicht auf eine Lösung der eigentlichen Probleme in der bisherigen Ausbildung Psychologischer Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten konzentriert. Stattdessen führe das Gesetz zu weitreichenden und für die Versorgungssicherheit der betroffenen Patienten problematischen Änderungen.
Auch der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) erneuerte heute seine Kritik an der Neuordnung der Psychotherapeutenausbildung. Sie „gefährdet die Patientensicherheit, wird doch ein Ausbildungstand suggeriert, den die Approbierten noch nicht erworben haben“, heißt es in einer Presseerklärung. Der SpiFa bezeichnet dies als „ausgewiesenen Etikettenschwindel“.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hingegen begrüßt das neue Gesetz. Es „sichert die Basis, dass psychisch kranke Menschen künftig eine qualitativ hochwertige psychotherapeutische Versorgung bekommen“, betonte BPtK-Präsident Dietrich Munz. Nach 15 Jahren Debatte habe die Bundesregierung einen „wegweisenden Kompromiss“ gefunden.
Neue Berufsbezeichnung „Psychotherapeutin/Psychotherapeut“
Die Berufsbezeichnung für Absolventen nach dem Psychotherapiestudium lautet künftig „Psychotherapeutin/Psychotherapeut“. Ärzte können den Zusatz „ärztlich“ verwenden. Die Verkürzung der bisherigen Berufsbezeichnungen Psychologischer Psychotherapeut (PP) und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut (KJP) sieht die BÄK weiterhin kritisch.
„Es ist völlig unverständlich, warum Öffentlichkeit und Patienten nicht den wissenschaftlichen Hintergrund der Qualifikation, nämlich die Psychologie, erkennen können sollen“, erklärte Heidrun Gitter, Vizepräsidentin der BÄK und Vorstandsbeauftragte für die ärztliche Psychotherapie. Psychotherapeuten seien eben nicht nur PP und KJP, sondern auch Ärzte mit einer entsprechenden Weiterbildung.
Der SpiFa hingegen begrüßt, dass die Bezeichnung Psychotherapeut auch weiterhin für Ärzte fest etabliert bleibe. „Damit ist strukturell die Zuständigkeit der Ärzteschaft für diesen bedeutenden Bereich der Medizin gesichert“, betonte Christian Messer, Vorsitzender des Ausschusses für Psychotherapie des SpiFa.
Unterfinanzierung der ambulanten Weiterfinanzierungsphase
An das Psychotherapiestudium anschließen können Psychotherapeuten eine Weiterbildung, in der sie sich für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder Erwachsenen und in einem Psychotherapieverfahren spezialisieren.
Diese ist nach Landesrecht in stationären und ambulanten Einrichtungen zu absolvieren. Mit der Weiterbildung kann die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung beantragt werden. Anders als heute erhalten Psychotherapeuten während der stationären Weiterbildung künftig ein Tarifgehalt.
In der ambulanten Weiterbildungsphase hingegen sollen Psychotherapeuten in Weiterbildung (PiW) künftig zwar mindestens 40 Prozent der von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gezahlten Vergütungen für ihre Behandlungsleistungen an den Ambulanzen der künftigen Weiterbildungsinstitute erhalten. Doch das reicht nach Ansicht der BPtK nicht aus: „Supervision, Selbsterfahrung und Theorievermittlung und ein Gehalt wie im Krankenhaus lassen sich damit nicht finanzieren“, erklärte BPtK-Präsident Munz.
Das sieht auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag so: „PiW müssen immer noch einen erheblichen Teil der Kosten ihrer Weiterbildung selbst tragen“, erklärte Maria Klein-Schmeink. An wichtigen Stellen habe der Bundesregierung mit dem Gesetz „der Mut für zukunftsfeste Lösungen gefehlt – das Gesetz bleibt auf halber Strecke stehen“, urteilte sie.
„Die Unterfinanzierung der ambulanten Weiterbildung ist enttäuschend“, sagte auch Barbara Lubisch, Vorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung (DPtV). Ihr Verband wolle sich für eine Bezahlung nach Tarif weiter einsetzen.
Künftig mindestens 1.000 Euro monatlich
Verbesserungen gibt es hingegen für die Übergangszeit, in der angehende Psychotherapeuten ihre bereits begonnene Ausbildung beenden wollen. Sie erhalten eine Praktikumsvergütung von mindestens 1.000 Euro monatlich für die obligatorische praktische Tätigkeit (Vollzeit) in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken. Zudem erhalten sie mindestens 40 Prozent von der Vergütung der Ausbildungstherapie.
Bisher werden Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) im Praxisjahr gar nicht oder nur gering bezahlt. Die Durchschnittsvergütung liegt bei rund 650 Euro monatlich.
PiA haben deshalb immer wieder auf ihre prekäre Lebenssituation aufmerksam gemacht, unter anderem mit dem Slogan: „Psychotherapeuten in Ausbeutung“. „Wir hätten uns eine großzügigere finanzielle Förderung für die Psychotherapeutengeneration gewünscht, die mit Protesten wesentlich zur Reform beigetragen hat“, erklärt der BPtK-Präsident.
Allgemein positiv bewertet wird, dass eine Härtefallregelung, etwa wegen Kindererziehungszeiten oder pflegebedürftiger Angehöriger, künftig ermöglicht, die Übergangsfrist zum Beenden der Ausbildung von 12 Jahren auf 15 Jahre zu verlängern.
Neues Angebot für schwer psychisch kranke Menschen
Über die Psychotherapeutenausbildungsreform hinaus enthält das neue Gesetz im Omnibusverfahren Regelungen, die die Versorgung vor allem von schwer psychisch kranken Menschen verbessern sollen.
Für sie wird ein neues intensives ambulantes Versorgungsangebot eingeführt, das Leistungen aus Einzel- und Gruppentherapie, medikamentöser Behandlung, Soziotherapie, häuslicher psychiatrischer Krankenpflege und Ergotherapie umfassen soll – koordiniert durch Psychiater oder Psychotherapeuten.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll bis zum 31. Dezember 2020 eine eigenständige Richtlinie für eine „berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung von Menschen mit komplexen psychiatrischen und psychotherapeutischen Handlungsbedarf“ erarbeiten.
Psychotherapeuten sollen deshalb auch befugt werden, Krankenpflege und Ergotherapie zu verordnen – auch die nach altem Recht ausgebildeten Psychotherapeuten. Zudem soll es den Niedergelassenen ermöglicht werden, noch während der stationären Behandlung des schwer psychisch kranken Patienten diagnostische Termine in den Räumen der Klinik durchzuführen, um die nahtlose ambulante Weiterbehandlung zu ermöglichen.
Gutachterverfahren soll abgelöst werden
Mit der Absicht, gruppentherapeutische Angebote zu fördern, hat der Gesetzgeber außerdem entschieden, das Gutachterverfahren für diese Leistung zum 31. Dezember 2020 aufzuheben. Der G-BA wurde beauftragt, die Psychotherapie-Richtlinie entsprechend zu ändern. Darüber hinaus wurde das Gremium auch beauftragt, bis Ende des Jahres 2022 sämtliche Regelungen zum Gutachterverfahren aufzuheben, sobald er ein anderes Qualitätssicherungsverfahren eingeführt hat.
Vor allem zum letzten Punkt gibt es heftige Kritik seitens der Psychotherapeutenverbände. „Eine Aufhebung des gesamten Antrags- und Gutachterverfahrens anzuordnen, bevor ein alternatives System der Qualitätssicherung entwickelt und evaluiert ist, ist unverantwortlich“, erklärt der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp).
Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie befürchtet, dass eine „unklare Qualitätsprüfung“ die aktuelle Vorab-Wirtschaftlichkeitsprüfung, die einen sicheren Rahmen für die Behandlungsplanung gibt“, nicht ersetzen kann.
Der bvvp kritisiert darüber hinaus die „Aushöhlung demokratischer Grundsätze“. Die Aufhebung des Gutachterverfahrens sei ohne Diskussions- und Reaktionsmöglichkeit durch Experten aus der Profession „mit dem Trick des Omnibusses“ sehr kurzfristig in das Gesetz aufgenommen worden.
Kassen tragen psychoonkologische Beratung
Schließlich soll künftig die psychoonkologische Beratung in Krebsberatungsstellen von der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung bezahlt werden. Bisher finanzieren sich die Beratungsstellen durch Spendengelder, Projektmittel und freiwillige Zahlungen verschiedener Kostenträger.
Der Bundesrat muss dem Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung noch zustimmen. Die Regelungen zur neuen Psychotherapeutenausbildung, einschließlich der begleitenden Regelungen im SGB V, sollen am 1. September 2020 in Kraft treten. Weitere Vorschriften, wie zum Beispiel die Ermächtigungsgrundlage für die noch zu entwickelnde Approbationsordnung, treten teilweise vorzeitig am Tag nach Verkündung oder zum 1. Januar 2020 in Kraft, heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium. © PB/aerzteblatt.de

Rückschritt in der Qualität
Sehr problematisch sehe ich die Ausbildung zum Psychotherapeuten / zur Psychotherapeutin in einem fünfjährigen Universitätsstudium. Dadurch wird die Qualität der Psychotherapie in Deutschland sehr stark leiden. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Studienabgänger / Studienabgängerinnen nach fünf Jahren Studium an einer Universität in der Lage sind qualitativ gute Psychotherapie anzubieten. In zwei Jahren Masterstudium wird es nicht möglich sein, die nötigen Praxiserfahrungen zu sammeln. Bei Ärzten z.B. Chirurgen würde ein solches Modell wohl keine Chance haben!
Weiter ist zu befürchten, dass sich das Psychologiestudium in Deutschland massiv verändern wird. Wenig gesuchte Studienrichtungen werden aus den Studienplänen verschwinden, weil die Universitäten auf die Psychotherapie setzen werden. Für die Psychologie ist eine solche Entwicklung sehr schädlich.
Unter anderem spiegelt sich hier die Unterschätzung der psychologischen Arbeit; das kennt ja jeder! Andererseits scheinen die Fachverbände für Psychologie in Deutschland zu wenig Einfluss zu haben.
Schade, dass mit dieser politischen Reform sehr viel fachliche Kompetenz kaputt gemacht wird.

Rückschritt in der Qualität
Sehr problematisch sehe ich die Ausbildung zum Psychotherapeuten / zur Psychotherapeutin in einem fünfjährigen Universitätsstudium. Dadurch wird die Qualität der Psychotherapie in Deutschland sehr stark leiden. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Studienabgänger / Studienabgängerinnen nach fünf Jahren Studium an einer Universität in der Lage sind qualitativ gute Psychotherapie anzubieten. In zwei Jahren Masterstudium wird es nicht möglich sein, die nötigen Praxiserfahrungen zu sammeln. Bei Ärzten z.B. Chirurgen würde ein solches Modell wohl keine Chance haben!
Weiter ist zu befürchten, dass sich das Psychologiestudium in Deutschland massiv verändern wird. Wenig gesuchte Studienrichtungen werden aus den Studienplänen verschwinden, weil die Universitäten auf die Psychotherapie setzen werden. Für die Psychologie ist eine solche Entwicklung sehr schädlich.
Unter anderem spiegelt sich hier die Unterschätzung der psychologischen Arbeit; das kennt ja jeder! Andererseits scheinen die Fachverbände für Psychologie in Deutschland zu wenig Einfluss zu haben.
Schade, dass mit dieser politischen Reform sehr viel fachliche Kompetenz kaputt gemacht wird.

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