Politik
Wissenschaftler für Pflegevollversicherung
Freitag, 27. September 2019
Düsseldorf – Für die Einführung einer Pflegevollversicherung wirbt der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang. Sie könnte das Armutsrisiko durch Pflegebedürftigkeit deutlich senken, schreibt Rothgang in einer heute veröffentlichten Studie für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Bislang ist die Pflegeversicherung als Teilkasko-Versicherung gestaltet; sie deckt nur einen Teil der Pflegekosten.
Nach Darstellung des Wissenschaftlers wären auch die zusätzlichen Kosten für eine Pflegevollversicherung für die große Mehrheit der Versicherten und der Arbeitgeber „überschaubar“. Voraussetzung wäre allerdings, die Trennung zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung aufzuheben, sodass künftig alle Versicherten in eine einheitliche soziale Bürgerversicherung einzahlen - auch Beamte und Selbstständige.
Nach den Berechnungen des Gesundheitsökonomen müssten aktuell gesetzlich Versicherte für eine Voll-Absicherung durchschnittlich gut fünf Euro im Monat mehr bezahlen als für das Teil-Modell, im Jahr rund 65 Euro. Der zusätzliche Beitrag der Arbeitgeber wäre mit durchschnittlich 25 Euro im Jahr noch geringer, kalkuliert der Wissenschaftler von der Universität Bremen.
Der Beitragssatz fiele nahezu identisch aus, auch langfristig: So läge 2060 der durchschnittliche Beitragssatz in einer Pflegebürgerversicherung als Vollversicherung nur um knapp 0,25 Prozentpunkte höher als bei einer Fortsetzung der Teil-Versicherung in der heutigen gesetzlichen Sozialen Pflegeversicherung (SPV).
Nur bei 10 Prozent der SPV-Versicherten würde eine Umstellung auf die Vollversicherung pro Jahr mehr als 100 Euro zusätzlich kosten. Dabei handelt es sich um die einkommensstärksten Haushalte. Für die fünf Prozent der Versicherten mit den höchsten Einkommen stiege der Beitrag um jährlich durchschnittlich 250 Euro an.
Derzeit müssen Gepflegte in stationären Einrichtungen jeden Monat im Schnitt 660 Euro aus eigener Tasche für Pflegeleistungen zahlen. Hinzu kommen die Kosten für Miete und Essen. Rechnet man auch die Zuzahlungen zur ambulanten Pflege hinzu, müssen Pflegebedürftige allein für Pflegeleistungen jährlich rund 8,5 Milliarden Euro selber tragen.
Die Eigenanteile zur Pflege sind seit Einführung der Pflegeversicherung vor über 25 Jahren kontinuierlich angestiegen. Allein seit Oktober 2018 nahmen sie um mehr als 110 Euro auf fast 1.930 Euro im Monat zu.
„Eine Diskussion über die zukünftige Finanzierung der Pflegekosten ist unerlässlich“, sagte Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), anlässlich der Ergebnisse. Dafür liefere das Gutachten wichtige Zahlen und Anstöße. Allerdings müsse die Bundesregierung zeitnah handeln. „Der Eigenanteil, den Pflegebedürftige in stationären Pflegeeinrichtungen zahlen, liegt mittlerweile bundesweit bei über 1.900 Euro“, so Müller.
Die aktuelle vorgesehene Stärkung der Pflege durch die Bundesregierung sei wichtig. Die Kosten der steigenden Ausgaben dürften aber nicht allein den Pflegebedürftigen aufgebürdet werden. © kna/aerzteblatt.de

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