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Politik

Nichtinvasive Pränataldiagnostik: Debatte um neuen vorgeburtlichen Bluttest

Dienstag, 15. Oktober 2019

/Voy_ager, stockadobecom

Bonn/Heidelberg – Die Einführung eines neuen nichtinvasiven Bluttests auf Einzelgener­krankungen hat bereits vor dem Markteintritt ein vielfach kritisches Echo ausgelöst. Es gibt aber auch Ver­ständnis für einen solchen Bluttest. Das Unter­nehmen Eluthia will den Test, der Mu­koviszidose, spinale Muskelatro­phie, die Sichelzell­krank­heit und die α- und β-Thalas­sämien beim Embryo in einem frühen Stadium erkennt, übermorgen vorstellen.

„Hier handelt es sich um eine neue, und zwar aus meiner Sicht ethisch bedenkliche Di­men­sion in Richtung ,Designerbaby', die über die nichtinvasive pränatale Diagnostik (NIPD) von Trisomien weit hinausgeht“, sagte der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundes­ausschusses (G-BA), Josef Hecken, heute der Rheinischen Post.

Denn dabei gehe es um weit mehr als den Ersatz des maximalinvasiven Tests mit Fehl­geburtsrisiko, der seit 30 Jahren Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei, durch einen risikoarmen Bluttest. „Hier sind fundamentale ethische Grundfragen unserer Werteordnung berührt, und der Gesetzgeber ist deshalb nach wie vor gefordert, Grenzen und Bedingungen der NIPD zu definieren“, sagte Hecken.

Gesundheitspolitiker sehen sich in der Verantwortung

Die Politik sieht sich in der Pflicht, wie die Antworten der zuständigen Spre­cher der Bun­destagsparteien auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes (DÄ) zeigen. Sie ziehen aller­dings unterschiedliche Schlussfolgerungen aus dem nun auf den Markt kommenden Test.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Union im Bundestag, Karin Maag, teilt die An­sicht des G-BA-Chefs, das man es „mit einer ethisch bedenklichen Dimension“ zu tun hat. „Die Frage darf doch nicht sein, wie eine Behinderung oder Krankheit möglichst früh er­kannt werden kann – die Frage, auf die wir als Gesellschaft eine Antwort finden müssen, lautet: Wie können wir Familien mit Kindern mit Krankheit und Behinderung dabei unter­stützen, dass ihr Leben gelingt?“, sagte sie. Sie betonte, dass die Union heute ein Positi­onspapier zu diesem Thema beschlossen habe. Das Papier befindet sich noch in der fina­len Abstimmung.

Maag mahnte zudem an, dass man aufpassen müsse, dass die neuen Bluttests die Wahr­nehmung nicht verschieben. „Deswegen müssen wir ganz grundsätzlich diskutieren, was es für un­ser Grundverständnis vom Menschen – egal ob gesund, krank oder mit einer Behinderung – bedeutet, wenn wir in den ersten Schwangerschaftswochen mit einem einfachen Blut­test gezielt nach – zweifelsohne schweren – Erkrankungen von Kindern suchen, für die es keine vorgeburtliche Behandlung gibt“, sagte sie.

Aus ihrer Sicht ist die Frage, was solche Tests für die Gesellschaft bedeuten, weiter breit zu debattieren. Wenn nötig müsse der Gesetzgeber auch Schlussfolgerungen ziehen. Da­bei müsse im Vordergrund stehen, wie Eltern, die Kinder mit Krankheiten und Behinde­rungen haben, noch besser unterstützt werden könnten. „Ich möchte auf keinen Fall hin­nehmen, dass solche Tests den Druck auf werdende Eltern noch weiter erhöhen“, so Maag.

Ablehnung auch von Grünen und Linken

„Schon mit der nichtinvasiven Pränataldiagnostik auf Trisomie steht die Frage auf der Tagesordnung, die damit einhergehenden ethischen Fra­gen politisch zu thematisieren und zu regeln“, sagte Harald Weinberg, gesundheitspoli­ti­scher Sprecher der Linken im Bundestag dem . Es sei absehbar gewesen, dass eine ganze Reihe ähnlicher Tests fol­gen würden. Diese Situation sei nun eingetreten. „Jetzt ist die Politik noch mehr unter Druck und muss zügig reagieren, also vermutlich das Gendiagnostik-Gesetz entsprechend anpassen“, erklärte er heute.

Ähnlich sehen das die Grünen. „Ich lehne die generelle Zulassung der Tests auf verschie­dene Krankheiten und Behinde­rungen sowie eine grundsätzliche Kostenübernahme durch die Solidargemeinschaft der Krankenversicherung ab“, erklärte Kirsten Kappert-Gon­ther, Sprecherin für Gesundheitsförderung der Grünen im Bundestag, dem . Da immer mehr Anbieter mit neuen vorgeburtlichen Bluttests auf den Markt dräng­ten, dürfe die Entwicklung „nicht ungesteuert verlaufen“, sagte die Fachärztin für Psy­chia­trie und Psychotherapie.

Die gesellschaftliche Debatte über den Sinn und die Grenzen dieser Tests habe gerade erst begonnen. Kappert-Gonther mahnte, der breiten gesellschaftlichen Debatte dürfe nicht durch die vorschnelle Zulassung weiterer Tests vorgegriffen werden. Sie betonte zugleich, dass eine offene Frage sei, wie man „den diagnostischen und thera­peutischen Nutzen dieser Tests aus ethischer Perspektive einschätzen“ müsse. „Ob ein Test medizi­nisch sinnvoll ist und für Schwangere hilfreich ist, muss jeweils abgewo­gen werden. Wir dürfen Schwangeren nicht die Verantwortung für ungelöste gesellschaft­liche Fragen aufbürden“, sagte sie.

Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Grünen, sprach von einem Geschäft mit der Angst. Mit dem vorgeburtlichen Bluttest auf Mukoviszidose komme ein weiterer Test auf den Markt, der keine Heilung verspreche. Die Anbieter solcher Tests wollten mit ihrem Produkt Geld verdienen. „Dass sich mit fortschreitenden Testmöglichkeiten die Er­wartungshaltung an Schwangere verschiebt, ein gesundes und nicht behindertes Kind auf die Welt zu bringen, nehmen sie in Kauf“, sagte Rüffer.

Von der AfD im Bundestag hieß es, man habe sich im Rahmen der Frage einer Kassenzu­lassung der Bluttests zur nichtinvasiven Pränataldiagnostik auf Trisomie 21 in der Rheini­schen Post zu der Problematik geäußert. Der gesundheitspolitische Sprecher der AfD, Axel Gehrke, habe dabei darauf hingewiesen, dass die AfD – sofern man den ethischen Teil der Debatte betrachte – grundsätzlich für eine Kultur des Lebens stehe. „Der Respekt vor menschlichem Leben muss den Vorrang haben“, so Gehrke. Letztlich entscheidend sei die Frage, wie viel Wissen werdende Eltern ertragen könnten und wie viel unausgespro­chene Handlungserwartungen eine Optimierungsgesellschaft an sie herantrage.

FDP gegen Verbot solcher Bluttests

Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, zeigte Verständ­nis für die Anliegen der Eltern. „Es ist sehr verständlich, dass Mütter und Väter schon vor der Geburt wissen möchten, ob ihr Kind gesund ist“, sagte sie dem . Die Sorge um das Wohl des eigenen Kindes sei für sie als Mutter „absolut nachvollziehbar“.

Im Falle einer Erkrankung könnten sich Eltern durch einen Bluttest so rechtzeitig auf ent­sprechende Therapien einstellen. Aschenberg-Dugnus betonte aber zugleich, dass sie ein generelles Screening, das von den Krankenkassen erstattet wird, ablehnt. „Eltern sollten aber auf Selbstzahlerbasis entscheiden können, ob sie einen Test durchführen möchten oder nicht. Ein allgemeines Verbot in Deutschland hilft keinem, wenn der Test dann im Ausland zulässig ist“, sagte sie.

Für Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, ist es „voll­kommen unverständlich“, wenn im Zusammenhang mit der Markteinführung des neuen Testverfahrens unmittelbar mit dem Begriff „Designer-Baby“ argumentiert wird. „Es geht hier nicht um einen Test auf Augen- oder Haarfarbe, sondern auf schwerwiegende Erkran­kungen, die mit sehr großem Leid für die Betroffenen und ihre Familien einhergehen“, sagte sie.

Der medizinisch wissenschaftliche Fortschritt in der Gendiagnostik habe zweifellos eine ethische Dimension. „Aber als Ärztin begrüße ich es, wenn statt invasiver nun vermehrt risikoarme, nichtinvasive Testverfahren zur Verfügung stehen“, erläuterte Dittmar. Sie könne verstehen, wenn Eltern mit einer genetischen Vorbelastung in der Familie einen solchen Test durchführen ließen. „Natürlich gibt es ein Recht auf Nichtwissen, aber eben­so ein Recht auf Wissen“.

Im Übri­gen bewege man sich Dittmar zufolge in Deutschland nicht im rechtsfreien Raum. Das Gendiagnostik-Gesetz erlaube nur Untersuchungen auf Eigenschaften des Embryos, die die Gesundheit während der Schwangerschaft oder nach der Geburt beeinträchtigen würden. Außerdem gebe es vor, dass die Tests von intensiver Aufklärung und Bedenkzeit für die schwangere Frau begleitet sein müssten.

Der Test mit dem Namen „Unity“, bei dem aus dem Blut der Mutter DNA-Schnipsel des Ungeborenen isoliert werden, kann nach Angaben des Unternehmens ab der 11. Schwan­gerschaftswoche durchgeführt werden. Er soll zunächst 695 Euro kosten. Um zu klären, ob der Embryo von einem der genetischen Defekte betroffen ist, wird zunächst geprüft, ob die Mutter eine Anlage für eine der Krankheiten hat. Nur dann kann das Kind betroffen sein.

Von Mukoviszidose ist in Deutschland eines von 3.300 Neugeborenen betroffen; rund 8.000 Menschen leben in der Bundesrepublik mit der Krankheit. Die Patienten haben im Verlauf ihres Lebens zunehmend Probleme mit der Atmung. Es gibt bislang noch keine Therapie, die die Krankheit ursächlich bekämpft. Während die meisten Patienten früher sehr jung starben, liegt die Lebenserwartung inzwischen bei rund 50 Jahren.

Mitte September hatte der G-BA entschieden, dass vorgeburtliche Bluttests auf Trisomien künftig bei Risikoschwangerschaften von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) be­zahlt werden. Voraussetzung ist eine ärztliche Beratung.

Im Frühjahr hatte der Bundestag über die ethischen Folgen solcher Tests beraten. Exper­ten erwarten, dass künftig Bluttests auf zahlreiche weitere Krankheitsrisiken angeboten werden. Befürworter verweisen auf die hohe Zuverlässigkeit der Tests und das geringere Risiko auf Fehlgeburten. Kritiker warnen davor, dass eine beständige Ausweitung der nichtinvasiven Pränataldiagnostik zu einer zunehmenden Diskriminierung von Menschen mit Behinderung führen könnte. © may/kna/aerzteblatt.de

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