Politik
Notfallsanitäter sollen ärztliche Aufgaben übernehmen dürfen
Donnerstag, 17. Oktober 2019
Berlin – Notfallsanitäter sollen unter bestimmten Bedingungen bei Patienten in lebensbedrohlichen Situationen eigenständig ärztliche Aufgaben übernehmen dürfen. Eine entsprechende Änderung am Notfallsanitätergesetz strebt die Große Koalition mit einer Ergänzung für das Gesetz über den Beruf der Anästhesietechnischen Assistenten und Operationstechnischen Assistenten an. Bei der Delegation durch Ärzte bleibt es dennoch. Das Gesetz wird kommende Woche Mittwoch im Ausschuss für Gesundheit angehört.
Den Plänen zufolge sollen Notfallsanitäter eigenständig heilkundlichen Maßnahmen ausführen dürfen, „die von der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes zu veranlassen, vom Ärztlichen Leiter Rettungsdienst oder entsprechend verantwortlichen Ärztinnen oder Ärzten standardmäßig vorzugeben, zu überprüfen und zu verantworten sind und sich auf notfallmedizinische Zustandsbilder und -situationen einschließlich von solchen Zustandsbildern und -situationen erstrecken, in denen ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt, wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind oder eine Medikamentengabe zu veranlassen ist“, heißt es wörtlich in dem Änderungsantrag, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
Bereits heute würden Notfallsanitäter in ihrer Ausbildung auf das eigenständige Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen im Rahmen von standardisierten Vorgaben (SOP's) qualifiziert, heißt es in der Begründung. Länderbeispiele, in denen bereits SOP´s für den Notfalleinsatz etabliert seien, zeigten, dass diese Vorgaben geeignet seien, „wesentlich zu Rechtssicherheit bei der Ausübung des Notfallsanitäterberufs beizutragen, wenn sie landeseinheitlich angelegt werden und auch besondere Situationen wie etwa die Gabe von Betäubungsmitteln erfassen“.
Da sowohl die Länder wie Verbände nach wie vor Rechtsunsicherheiten bei der Berufsausübung beklagten, sei es „angemessen“, gesetzliche Maßnahmen zu prüfen, die zu mehr Rechtsklarheit beitragen würden. Allerdings lehnt die Große Koalition es ab, den Notfallsanitätern eine eigenständige Heilkundekompetenz auf Basis des Heilpraktikergesetzes zuzugestehen.
Abgrenzungsproblematik bleibt, Delegation auch
Denn am Ende bleibe immer eine Abgrenzungsproblematik. So stelle sich zum Beispiel die Frage, ob der Zustand des Patienten überhaupt lebensbedrohlich gewesen sei, weiterhin. Das müsse ohnehin „situationsbedingt entschieden werden“. Insofern scheine es angemessen und sinnvoll, die Übertragung ärztlicher Aufgaben auf Notfallsanitäter weiterhin im Wege der Delegation vorzusehen.
Hierbei bietet es sich aus Sicht der Großen Koalition an, die vorhandenen standardisierten Prozeduren auszuweiten. Sie sollen in Zukunft auf Landesebene getroffen werden. Zudem müssen sie sich ausdrücklich auch auf die Notfallsituationen erstrecken, in denen die sogenannte „Notkompetenz“ greifen kann.
„Durch standardisierte Vorgaben für solche Fälle können die Möglichkeiten, in denen auf den Rechtsfertigungsgrund des rechtfertigenden Notstandes zurückgegriffen werden muss, mit hoher Wahrscheinlichkeit reduziert werden, zumal durch die heutigen modernen Kommunikationsmittel die Möglichkeit einer ärztlichen Beteiligung nahezu jederzeit gegeben ist“, so die Bundesregierung. Die vorliegende Neufassung schaffe damit einen „angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz des Lebens oder der Gesundheit“ der Patienten und den Interessen der Berufsangehörigen nach mehr Rechtssicherheit bei der Berufsausübung.
Bundesrat hat weitergehenden Ansatz
Erst am vergangenen Freitag hatte der Bundesrat Nachbesserungsbedarf beim Einsatzgebiet von Notfallsanitätern angemeldet. Die Länderkammer sprach sich daür aus, dass rechtliche Klarheit geschaffen werden müsse, wenn Notfallsanitäter im Einsatz lebensrettende Maßnahmen durchführen. Sie regte allerdings im Gegensatz zur Großen Koalition ein eigenständiges Handeln der Notfallsanitäter – und damit einen Wegfall der Delegation an.
Kritik kam daraufhin von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) in Abstimmung mit der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), dem Berufsverband Deutscher Chirurgen (BDC) und dem Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU). „Wir sprechen uns gegen die eigenständige Durchführung von invasiven Maßnahmen durch Notfallsanitäter aus“, sagte DGU-Generalsekretär und stellvertretender DGOU-Generalsekretär Dietmar Pennig.
Eine Substitution ärztlicher Leistung gerade im Kontext einer Notfallsituation werde „zum Wohle und zum Schutz der erkrankten und verletzten Patienten abgelehnt“. Die Bedeutung gut ausgebildeter Notfallsanitäter bejahnten die Fachgesellschaften und Berufsverbände zwar ausdrücklich. Sie sorgen sich aber darum, dass eine Substitution ärztlicher Leistung im Schadensfall zur Frage der Übernahme juristischer Konsequenzen führt.
Ruf nach Versicherung
Im März dieses Jahres hatten Notfallsanitäter und Deutsches Rotes Kreuz darauf hingewiesen, dass die Abgrenzung für das Handeln des Notfallsanitäters auch nach der Reform des Notfallsanitätergesetz 2013 im Einsatz problematisch ist. Je nach Fall und Einschätzung seien Notfallsanitäter demzufolge nicht einmal über eine Versicherung abgesichert und müssten im Zweifelsfall mit ihrem Privatvermögen haften. Handelten sie hingegen im Einsatz nicht, könnten sie auch wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt werden.
2013 hatte der Bundestag ein neues Notfallsanitätergesetz beschlossen. Der bisherige Beruf des Rettungsassistenten wurde damit in die Berufsbezeichnung „Notfallsanitäter“ überführt. Die Ausbildung wurde von zwei auf drei Jahre verlängert. Zudem wurden dem Notfallsanitäter weitere Aufgaben übertragen.
Bundesärztekammer (BÄK) und andere Ärzteverbände hatten bereits damals die Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten durch Notfallsanitäter kritisiert. Für Kritik von Ärzten hatte damals vor allem gesorgt, dass Notfallsanitäter in der Erstversorgung „in besonderen Fällen“ seit den Änderungen auch invasive Maßnahmen durchführen dürfen.
„Eine solche Situation ist gegeben, wenn das Leben des Patienten in Gefahr ist oder es wesentlichen Folgeschäden vorzubeugen gilt, die durch Verzögerungen von Hilfeleistungen drohen“, heißt es in der Begründung des Gesetzestextes. „Es muss sich um eine konkrete Gefährdungssituation handeln, die insbesondere voraussetzt, dass eine Ärztin oder ein Arzt nicht rechtzeitig anwesend sein kann.“
In diesem Fall diene die Übernahme von Tätigkeiten, die normalerweise der ärztlichen Behandlung vorbehalten sind, dem Schutz des Lebens oder der Gesundheit des Patienten als besonders hohem Schutzgut. „Die Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten ist zeitlich befristet“, heißt es weiter. „Sie besteht nur bis zum Eintreffen einer notärztlichen oder sonstigen ärztlichen Versorgung.“
Frist verlängert
Mit der Reform will die Bundesregierung auch die Übergangszeit verlängern, innerhalb der Rettungsassistenten die Möglichkeit zur Weiterqualifizierung gegeben wurde, die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Notfallsanitäter“ zu erwerben. Diese soll von bisher sieben auf nun zehn Jahre verlängert werden. Das soll Personalsorgen im Rettungsdienst beheben und weitere Nachqualifizierungen ermöglichen.
© may/aerzteblatt.de

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