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Politik

Zustände in den Notaufnahmen sind „erbärmlich“

Mittwoch, 23. Oktober 2019

/dpa

Berlin – Die Notsituation in den Notaufnahmen deutscher Krankenhäuser hält an. Das machte Thomas Fleischmann, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme an der Imland Klinik Rendsburg, deutlich, der von „erbärmlichen“ Zuständen sprach. „Die Mehrzahl der Notauf­nahmen in Deutschland ist völlig überfüllt. Viele Patienten können wir nicht so versor­gen, wie wir es wollen“, sagte er gestern auf einem wissenschaftlichen Symposium des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Berlin.

„Wir sind heute noch nicht einmal in der Lage, einen Norovirus unter Kontrolle zu be­kommen.“ Und wenn, wie vor zwei Jahren, eine große Grippewelle über das Land ziehe, werde das zu „einer Handlungsunfähigkeit“ in den Notaufnahmen führen. „Bei uns lagen damals Patienten 30 bis 40 Stunden in der Notaufnahme“, sagte er. „Manche Patienten mussten wir über zwei Bundesländer hinweg verlegen.“ Für ein Land wie Deutschland seien solche Zustände unwürdig.

Zudem gebe es einen „massiven Braindrain“ in den Notaufnahmen. „Wir haben eine Gene­ration von Ärzten in den Notaufnahmen verloren, die sagen: So wollen wir nicht mehr ar­beiten“, berichtete Fleischmann. Heute arbeiteten in den Notaufnahmen nur noch ältere Ärzte sowie junge Ärzte in Weiterbildung, „die in die Notaufnahmen gezwungen wurden“. Einen Facharztstandard gebe es in den Notaufnahmen nicht mehr. Und auch viele Stellen im pflegerischen Dienst seien unbesetzt.

Rückzug der Politik ist hochgefährlich

Fleischmann kritisierte, dass sich die Situation in den Notaufnahmen seit zehn Jahren ver­schlechtere. Und zehn Jahre sei dieser Entwicklung zugesehen worden. Im Dezember vergange­nen Jahres habe er allerdings Hoffnung geschöpft, als Bundesgesundheitsmi­nis­ter Jens Spahn (CDU) gesagt habe: „Die Güte eines Gesundheitssystems zeigt sich vor allem und besonders im Notfall.“

„Das fand ich toll“, sagte Fleischmann. Doch seit der Veröffentlichung eines Eckpunktepa­piers im Dezember 2018 sowie eines „Diskussionsentwurfs“ im Juli 2019 sei nichts mehr geschehen. In den vergangenen Wochen sei die Politik sogar „massiv zurückgerudert“, so Fleischmann. „Das ist hochgefährlich.“ 

Gesetzentwurf kommt noch dieses Jahr

Der Leiter der Abteilung „Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung“ im Bundesge­sund­heitsministerium (BMG), Joachim Becker, kündigte an, dass das BMG noch in diesem Jahr einen „überarbeiteten Entwurf“ präsentieren werde. Dem Ministerium sei es dabei wichtig, in der Notfallversorgung keine gut laufenden regionalen Strukturen zu zerstören.

„Uns geht es auch nicht darum, alles über einen Kamm zu scheren“, sagte Becker. „Im Ge­genteil: Wir wollen Strukturen, die gut laufen, nicht unterbinden, sondern wir wollen die Beteiligten in einen Prozess der gemeinsamen, vernetzten, koordinierten Entscheidungs­fin­dung bringen.“

Derzeit sehen die Pläne aus dem BMG unter anderem die Zusammenführung der ambu­lanten, stationären und rettungsdienstlichen Notfallversorgung vor. Dafür sollen gemein­sa­me Notfallleitstellen geschaffen werden, die rund um die Uhr sowohl über die Nummer 112 als auch über die 116117 des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes erreichbar sind.

An bestimmten Krankenhäusern soll es zudem Integrierte Notfallzentren (INZ) geben, in denen sowohl Klinik- als auch Vertragsärzte die Patienten im Nachgang einer qualifizier­ten Ersteinschätzung versorgen. Diese sollen von Krankenhäusern und Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gemeinsam errichtet und betrieben werden. 

600 Integrierte Notfallzentren reichen aus

„Wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung halten auch wir es für sinnvoll, dass es nicht in jedem Krankenhaus ein INZ gibt“, sagte Fleischmann. Er wünscht sich etwa 600 INZ in Deutschland, die eine Größenordnung haben, die auch medizinisch sinnvoll sei. „Es ist sowohl medizinisch als auch finanziell sinnvoll, weniger Notaufnahmen zu haben, die dafür größer sind“, betonte Fleischmann.

„Denn wenn die Ressourcen auf weniger Zentren verteilt werden, wird das System effek­­tiver.“ In den Notaufnahmen gebe es so hohe Vorhaltekosten, dass die Versorgung von 2.000 Patienten genauso teuer sei wie die Versorgung von 12.000 Patienten.

Fleischmann sprach sich für eine eigenständige Finanzierung der Notaufnahmen aus. „Wir haben es satt, am Hungertuch des Krankenhauses zu hängen“, sagte er. Wenn man die INZ nun klug finanziere, könne man sowohl Geld einsparen als auch die Zentren aus ihrem „Hungerzustand“ herausführen.

Umverteilungspotenzial von 30 bis 40 Prozent

Fleischmann zufolge gibt es ein Umverteilungspotenzial von der Notaufnahme in die Portalpraxis des kassenärztlichen Bereitschaftsdiensts „von 30 bis 40 Prozent, vielleicht sogar 50 Prozent“. Er erklärte: „Ich fände es toll, wenn ich eines Tages Schulter an Schul­ter mit einem niedergelassenen Kollegen in einem INZ arbeiten könnte.“

Fleischmann lobte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) für ihre Aktivitäten im Bereich des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes. Da passiere gerade „enorm viel“. Er bezeichnete es auch als sinnvoll, den Sicherstellungsauftrag bei den Kassenärztlichen Vereinigungen zu belassen.

Bernhard Gibis, Leiter des Dezernats „Ärztliche Leistungen“ der KBV, erklärte, dass die KBV die Rufnummer 116117 als Plattform einführen wolle, um die Patienten an die Orte zu steuern, an denen sie am besten versorgt werden könnten. „Es braucht Jahre, bis eine solche Nummer etabliert ist“, sagte er. „Ist sie aber erst einmal in den Köpfen, bleibt sie auch drin.“ © fos/aerzteblatt.de

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