Medizin
Lebenserwartung von Frauen im Osten etwas höher als im Westen
Montag, 4. November 2019
Berlin – 30 Jahre nach dem Fall der Mauer haben sich die Ost-West-Unterschiede in der Gesundheit deutlich verringert. Frauen haben in den neuen Bundesländern inzwischen sogar eine minimal höhere Lebenserwartung. Eine Studie im Journal of Health Monitoring (2019; DOI: 10.25646/6076) zeigt, dass es große regionale Unterschiede innerhalb der einzelnen Bundesländer in Ost und West gibt, die oft Folge einer sozioökonomischen Deprivation sind.
Frauen haben in den neuen Bundesländern derzeit (2015/17) eine Lebenserwartung von 83,22 Jahren, in den alten Bundesländern sind es 83,17 Jahre. Der Unterschied beträgt zwar nur 0,05 Jahre, er ist aber ein Novum in der jüngsten deutschen Geschichte. Kurz nach dem Mauerfall starben Frauen in den neuen Bundesländern um 2,30 Jahre früher. Bei Männern betrug der Unterschied sogar 3,25 Jahre. Auch bei den Männern hat sich die Situation im Osten verbessert. Dort sterben Männer mit 77,25 Jahren jedoch noch immer um 1,36 Jahre früher als im Westen mit 78,1 Jahren.
Größere Unterschiede gibt es nach wie vor bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In den neuen Bundesländern (mit Berlin) erkranken im Verlauf des Lebens 13,0 % an Koronarer Herzkrankheit, Schlaganfall oder Herzinsuffizienz. In den alten Bundesländern (ohne Berlin) sind es nur 11,7 %. Doch auch hier sind die Unterschiede deutlich geringer als vor der Wende. In der DDR war die kardiovaskuläre Sterblichkeit bei Frauen noch um 52 % und bei Männern um 44 % höher als in der BRD. Dies lag damals vor allem an einer ungesünderen Lebensweise.
Die ostdeutsche Bevölkerung war bewegungsärmer (gefördert wurde nur der Leistungssport), fettleibiger, und die Menschen litten häufiger unter Hypertonie und Diabetes. Bei den Männern war ein riskanter Alkoholkonsum weiter verbreitet als im Westen. Einzige Ausnahme war das Rauchen. Ostdeutsche Männer rauchten nur etwas häufiger (40,6 versus 39,2 %), Frauen waren mit einer Raucherinnen-Quote von 20,5 versus 28,3 % weniger „emanzipiert“ als im Westen. Inzwischen rauchen auch die Frauen im Osten etwas häufiger als im Westen.
Frauen in Ostdeutschland erkranken seltener an Lungen- und Brustkrebs
Auf die Häufigkeit von Lungenkrebs hat sich dies bisher noch nicht ausgewirkt. Die Inzidenz ist bei Frauen in Ostdeutschland noch immer niedriger als in Westdeutschland. Allerdings vergehen beim Lungenkrebs meist mehrere Jahrzehnte, bis der wichtigste Risikofaktor für das Bronchialkarzinom sich auf die Erkrankungs- und wegen der schlechten Prognose auch auf die Sterbezahlen auswirkt.
An Brustkrebs erkranken Frauen in den neuen Bundesländern übrigens nach wie vor deutlich seltener. Als Schutzfaktoren werden unter anderem die höhere Geburtenrate, ein niedrigeres Alter bei der Geburt des ersten Kindes und eine seltenere Kinderlosigkeit in der DDR-Zeit vermutet. Der Geburtenknick nach der Wende könnte hier mittelfristig zu einem Anstieg der Erkrankungszahlen führen.
Unter psychischen Störungen leiden Frauen im Osten häufiger als im Westen. Die 12-Monatsprävalenz betrug in der DEGS 1-Studie des Robert Koch-Instituts in den neuen Bundesländern 36,6 % gegenüber 33,7 % in den alten Bundesländern. Männer leiden in den neuen Bundesländern mit 20,4 % seltener an psychischen Störungen gegenüber 23,0 % in den alten Bundesländern. Entgegen weit verbreiteter Ansichten sind Depressionen in den neuen Bundesländern nicht häufiger, sondern sogar etwas seltener als in den alten Bundesländern. Stationäre Behandlungen wegen neurotischer Störungen sowie Belastungs- und somatoformen Störungen sind dagegen in Ostdeutschland häufiger.
Männer und vor allem Frauen waren in der DDR häufiger adipös als in der BRD. Bei den Männern hat sich der Ost-West-Unterschied völlig und bei Frauen weitgehend angeglichen. Das gleiche gilt für die sportliche Inaktivität, die in Ost und West deutlich abgenommen hat.
Ländliche Regionen im Nachteil
Sehr viel größer als der Ost-West-Gegensatz sind die Unterschiede innerhalb der einzelnen Bundesländer. Sie sind nach der vorliegenden Analyse vor allem auf eine sozioökonomische Deprivation in ländlichen Regionen zurückzuführen. Dort ist die Lebenserwartung etwa 5 Jahre niedriger als in den reicheren städtischen Regionen.
Dieser Unterschied ist nach den von Privatdozent Thomas Lamper vom Robert Koch-Institut vorgelegten Daten nicht nur in Sachsen-Anhalt oder in Mecklenburg-Vorpommern deutlich. Auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein und selbst in Bayern gibt es Problemregionen mit hoher Deprivation und niedriger Lebenserwartung.
Für den Epidemiologen ist deshalb die Zeit gekommen, sich statt des Ost-West-Gegensatzes mehr mit den regionalen Unterschieden innerhalb von Ost- und Westdeutschland zu beschäftigen. © rme/aerzteblatt.de
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